Elterliche Sorge

Den Vätern die Rechte, den Müttern die Pflichten

Der Schatten einer Familie, die sich an der Hand hält.
Mit der Gesetzesnovelle hat der Vater ein Recht auf das Kind erhalten - und damit auch Macht über die Mutter, meint Karoline Ruhdorfer. © picture alliance / dpa / M. C. Hurek
Von Karoline Ruhdorfer · 18.05.2015
Seit zwei Jahren können Eltern gemeinsam das Sorgerecht für ihr Kind ausüben – egal, ob sie zusammen oder getrennt leben. Diese Gesetzesnovelle hat Streitereien ums Kind verschärft, meint Karoline Ruhdorfer vom Netzwerk "Mütter-Initiative".
Durch ein Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte sah sich der deutsche Gesetzgeber gezwungen, unverheirateten Vätern mehr Rechte einzuräumen. Rechte, wie sie es seit der Einführung des Bürgerlichen Gesetzbuches zu Beginn des 20. Jahrhunderts noch nicht gegeben hat. Unverheiratete Mütter und ihre Kinder geraten so in eine noch nie da gewesene Situation des Ausgeliefertseins an den Kindesvater.
Setzt er gegen ihren Willen ein gemeinsames Sorgerecht durch, muss sich die Mutter mit einem Mann arrangieren, mit dem sie im Streit lebt. Doch dieser Streit wird dadurch nicht etwa befriedet, sondern verschärft.
Sie muss beim Vater vorsprechen, muss um seine Unterschrift bitten, wenn es gilt, Tochter oder Sohn taufen zu lassen, beim Kindergarten anzumelden oder einen Reisepass zu beantragen. Auch ein Umzug des Kindes muss von ihm abgesegnet sein.
Gezwungen, ihr Baby dem Vater zu übergeben
Man stelle sich nun eine Beamtin vor, die ihre Versetzung von Passau nach Würzburg erhält. Ist der Vater mit dem Umzug des Kindes nicht einverstanden, hat die Mutter zwei Möglichkeiten: Entweder sie lässt ihr Kind zurück oder sie verzichtet auf ihr Erwerbseinkommen. Doch verzichten kann sie nicht wirklich.
Zwar ist der Vater grundsätzlich verpflichtet, während der ersten drei Lebensjahre nicht nur dem Kind, sondern zusätzlich auch der Mutter einen Unterhalt für ihre Betreuungsarbeit zu zahlen. Aber wovon sollen die beiden danach leben?
Selbstverständlich hat er zudem ein Recht auf Umgang mit dem Kind. Das heißt, die Mutter wird - unter Androhung einer empfindlichen Geldstrafe - gezwungen ihr Baby dem Vater zu übergeben. Ein Mann, der nie in häuslicher Gemeinschaft mit dem Kind gelebt hat, erhält das Kleine für mehrere Stunden zur freien Verfügung. Ob er ein Gewalttäter, ein Alkohol- oder Drogenabhängiger ist, wird nicht berücksichtigt.
Hier spielen sich oft herzzerreißende Szenen ab. Ein Umgangspfleger holt das schreiende Kind mit mehr oder weniger Gewalt von der Mutter weg und überreicht es dem Erzeuger. Väterrechtler verbrämen das mit dem Slogan "Allen Kindern beide Eltern". In Wirklichkeit erhält der Vater ein Recht auf das Kind und damit Macht über die Mutter. Ihr Schutz, wie in Artikel 6 des Grundgesetzes gefordert, wird mit Füßen getreten.
Ein Mann müsste Frau sein
Mütter, die sich zur Wehr setzen, die nicht akzeptieren wollen, dass schon ihr Kleinkind beim Vater übernachten soll, müssen vor dem Familiengericht ihre Erziehungsfähigkeit beweisen. Ihnen wird Bindungsintoleranz vorgeworfen!
Hier kann endlich das familiengerichtliche Helfersystem zuschlagen. Es besteht aus Umgangspflegern, Verfahrensbeiständen, Gutachtern. Sie alle können ihr Mütchen an der jungen Frau kühlen und verdienen nicht schlecht an der neuen Rechtssituation. Für die Mütter aber kann es schlecht ausgehen: ihnen droht sogar die Wegnahme des Kindes. Eine solche Konstellation wäre vor der Gesetzesnovelle nicht entstanden, als noch das alte Kindschaftsrecht der Achtziger Jahre galt.
Und wie steht es um die gesetzlichen Pflichten der außerhäuslichen Väter? Viele – im August 2014 waren es 400.000 – zahlen keinen Unterhalt, obwohl sie wirtschaftlich dazu in der Lage wären. Und gegen ihren Willen, so stellte das Bundesverfassungsgericht 2008 fest, können sie auch nicht gezwungen werden, sich persönlich um ihr Kind zu kümmern.
Ein Bußgeld, das einer Mutter blüht, deren Kind nicht zum Vater will, bleibt ihm also erspart. "Mann" müsste Frau sein: viele Rechte – wenig Pflichten.

Karoline Ruhdorfer, 47 Jahre alt, hat drei Kinder und ist nicht verheiratet. Sie arbeitet als Hauswirtschaftslehrerin unweit von München – und engagiert sich im Netzwerk "Mütter-Initiative". Aus diesem Engagement kennt sie die Folgen des Streits um das Sorgerecht. Sie selbst allerdings teilt sich die elterliche Sorge einvernehmlich mit dem Vater ihrer Kinder.

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