Elitärer Charakterkopf mit Jahrhundertbiographie

27.09.2007
Ernst Jünger war einer der umstrittensten deutschen Autoren. Sein Buch "In Stahlgewittern" machte ihn international bekannt und berüchtigt. Seinen Gegnern galt er als Anti-Demokrat, seinen Bewunderern als großer Stilist. Nun hat der Jünger-Forscher Helmuth Kiesel eine erstaunlich unaufgeregte Biographie vorgelegt, die Jüngers Arbeiten in den historisch-politischen und geistesgeschichtlichen Kontext einordnet.
Dass er überhaupt ein Autor wurde und nicht schon in jungen Jahren starb, grenzt an ein Wunder: Als Stoßtruppführer und furchtloser Haudegen kämpft der Leutnant Ernst Jünger im Ersten Weltkrieg in vorderster Linie, er tötet und entrinnt nur selbst knapp dem Tod, vierzehnmal liegt er verwundet im Lazarett. 1918 erhält er mit 23 Jahren den höchsten Orden "Pour le mérite". Zwei Jahre später erscheint "In Stahlgewittern", die literarische Summe seiner Kriegserfahrungen, ein Buch, das ihn sofort berühmt und bis heute berüchtigt macht.

"Ich weiß, dass ich zeit meines Lebens vielen ein Ärgernis gewesen bin..." resümiert der 87-jährige Ernst Jünger, als er 1982 den Goethe-Preis der Stadt Frankfurt am Main entgegennimmt. Zuvor tobt ein monatelanger publizistischer Streit um die Preisverleihung. Jüngers Gegner nennen ihn einen ewigen Krieger und elitären Anti-Demokraten, der in der Weimarer Republik übelste nationalistische Texte verfasste und Adolf Hitler ein Widmungsexemplar der "Stahlgewitter" sandte. Auf Ernst Jünger ließ der Diktator auch dann nichts kommen, als der Autor mit dem Roman "Auf den Marmorklippen" ein zwar verklausuliertes, aber deutlich erkennbares Porträt der NS-Gewaltherrschaft zeichnete, und schließlich auch noch zum Widerstandskreis der Pariser Wehrmachtsgeneräle zählte.

Diesen 'kritischen‘ Jünger, der mit den Nazis eben keinen Pakt schloss, betonen wiederum seine Verteidiger. Sie nennen Jünger einen der größten Schriftsteller des Jahrhunderts, den brillanten Stilisten und philosophischen Kopf, der in größeren Zusammenhängen denkt und schreibt als seine Zeitgenossen. Man verweist auf Frankreich, wo Jünger hohes Ansehen genießt: Der frühere Staatspräsident Francois Mitterand besuchte Jünger höchstpersönlich, am 22. September 1984 war der Autor Ehrengast bei der deutsch-französischen Versöhnungsfeier in Verdun.

Das leidenschaftliche Für und Wider hat über die Jahrzehnte auch stets die biographisch-philologische Beschäftigung dominiert. Mit Erleichterung liest man dagegen die wohltuend sachliche, elegant geschriebene Biographie des renommierten Jünger-Forschers Helmuth Kiesel. Mit profunder Textkenntnis und unter Auswertung bislang wenig beachteter Quellen stellt der Heidelberger Philologe vor allem den jeweils notwendigen historisch-politischen, soziologischen und geistesgeschichtlichen Kontext her, in dem Jüngers Auffassungen und Prägungen entstehen.

Heraus schält sich ein zum Teil bewundernswerter, seiner Überzeugungen stets sicherer Einzelgänger, der konsequent den Weg einer schließlich achtzigjährigen Autorschaft beschreitet. Dabei verhehlt Kiesel keineswegs die Verirrungen und auch Ungeheuerlichkeiten eines absolut elitären Denkens, das Klaus Mann schon 1930 so charakterisierte: "Dass er schreiben kann, erst das macht ihn gefährlich. Ein Geist von der finsteren Glut Jüngers kann Unheil stiften."

Helmuth Kiesel gelingt in seiner Biographie der Spagat zwischen einer wissenschaftlich exakten und trotzdem äußerst lesbaren Darstellung, die ein breites Publikum anspricht und hoffentlich erreicht.

Rezensiert von Joachim Scholl


Helmuth Kiesel: Ernst Jünger. Die Biographie
Siedler Verlag München
715 Seiten, Euro 24,95.
Mehr zum Thema