Elektronische Zigaretten auf dem Prüfstand

Von Michael Engel · 27.05.2013
Sind elektronische Zigaretten schädlich für den Konsumenten? Und welche Gefahren bestehen für den Passivraucher? Diese Fragen sind bis heute nicht eindeutig geklärt. Wissenschaftler der Fraunhofer-Gesellschaft in Braunschweig haben den Test gemacht.
Die Prüfkammern des Braunschweiger Fraunhofer Instituts für Holzforschung liegen im Kellergeschoss. Sechs sind es an der Zahl, rund zwei Meter hoch und ebenso breit. Dr. Tobias Schripp öffnet eine dicke Metalltür.

"Sie sehen hier, dass der gesamte Raum mit Edelstahl ausgekleidet ist, um jegliche Emission in den eigentlichen Prüfraum zu verhindern. Das ist besonders wichtig, da nur damit eine wirkliche Einschätzung der Freisetzung der Emissionen erfolgen kann."

Sind die elektronischen Zigaretten schädlich? Welche Substanzen werden überhaupt in die Luft gepustet, die dann auch von den Passivrauchern im Raum eingeatmet werden? Um das herauszufinden, stellte sich Doreen Markowitz, eine wissenschaftliche Mitarbeiterin der Fraunhofer Gesellschaft, für den ungewöhnlichen Versuch zur Verfügung. Über Stunden saß die Raucherin als Versuchsperson in der winzigen Prüfkammer, um die Produkte verschiedener E-Zigaretten-Hersteller zu verqualmen:

"Also ich musste innerhalb von sechs Minuten quasi im Abstand von einer Minute einen tiefen, gleichmäßigen Atemzug durchführen. Ich hatte eine Stoppuhr in der Kammer und somit habe ich das ganz genau unter Kontrolle gehabt."

Durch ein kleines Fenster in der Tür hatte Tobias Schripp immer Sichtkontakt zur Kollegin. Der Experte für die Analyse unserer Atemluft wollte herausfinden, welche Substanzen in die umgebende Luft gelangen, wenn eine elektronische Zigarette geraucht wird:

"Es gab die Theorie, dass Formaldehyd durch die Vernebelung entstehen könnte. Durch einen Verbrennungsprozess sozusagen, der an der Heizwendel stattfindet. Dies konnten wir nicht nachweisen. Wir haben kein Formaldehyd bei unserer Analytik gefunden. Und das ist natürlich ein wesentlicher Unterschied zur normalen Tabakzigarette, die selbst sehr viel Formaldehyd durch den Verbrennungsprozess freisetzt."

Nicht Rauch, sondern Dampf wird eingeatmet
Eine elektronische Zigarette besteht aus einem Akku, einem Verdampfer, einer Heizspirale, sowie einem Depot für die "Betriebsflüssigkeit" – auch "Liquid" genannt. Liquids werden im Verdampfer elektrisch erhitzt und bei 65 bis 120 Grad Celsius verdampft. Es gibt sie mit oder ohne Nikotin, zudem enthalten sie Aromen wie Amaretto, Mandel, Vanille oder Apfel. Trägerflüssigkeit ist Propylenglykol, ein Lösungsmittel, das beim Ausatmen vernebelt wird und den sichtbaren Dampf erzeugt.

"Beispielsweise war die Propylenglykol-Konzentration in der Kammer bei der normalen Tabakzigarette größer als bei der Benutzung der E-Zigarette. Also in unserer Studie haben wir das Propylenglycol im Bereich von einem Mikrogramm pro Kubikmeter gefunden, während also etwa das 100-fache in der normalen Tabakzigarette der Fall war."

Tabakprodukte enthalten nur geringe Mengen an Propylenglycol, um sie vor Austrocknung zu bewahren. Dass beim Rauchen einer Tabakzigarette dann aber 100-mal mehr davon in der Atemluft enthalten ist als bei der E-Zigarette, das hat die Wissenschaftler schon überrascht. Doch auch geringe Mengen schädigen die Lunge. Das Deutsche Krebsforschungszentrum in Heidelberg warnt vor einer Lungenreizung: Von einer Unbedenklichkeit könne keine Rede sein, sagt Dr. Martina Poetschke-Langer:

"Von der gesundheitlichen Seite her können wir dieses Chemikaliengemisch E-Zigarette nicht einfach so als harmlos ausblenden, weil wir alarmierende Kurzzeitstudien haben und zum zweiten die Langzeitwirkung der E-Zigarette überhaupt nicht kennen. Also hier findet ein gigantischer Menschenversuch eigentlich statt. Wollen wir dem einfach so zusehen, oder wollen wir wenigstens denjenigen, die den Ausstieg aus der traditionellen Zigarette geschafft haben, denen zu helfen, dass sie auch den Ausstieg aus der E-Zigarette hinbekommen? Das wäre unser Ziel."

Krebsforschungszentrum spricht von "gigantischem Menschenversuch"
Für Menschen, die noch nie geraucht haben, ist die elektronische Zigarette nicht zu empfehlen, urteilt das Deutsche Krebsforschungszentrum. Im Vergleich mit Tabak ist die E-Zigarette – chemisch-analytisch betrachtet – zwar ungefährlicher. So gibt es zum Beispiel keinerlei Krebs erzeugende Verbrennungsprodukte, kein Formaldehyd, und auch das Propylenglycol kommt nur in geringen Mengen vor. Gleichwohl ist nach Ansicht der Braunschweiger Wissenschaftler auch die elektronische Zigarette problematisch, weil mit ihr Substanzen in die Atemluft gelangen, die dort nicht hingehören.

Dr. Tobias Schripp: "Im Prinzip müsste man sagen, ein Produkt ist ja nicht ungefährlich, nur weil man seine Gefährlichkeit noch nicht bewiesen hat. Das heißt, im Prinzip müsste man jetzt die Reihenfolge etwas umkehren. Die Hersteller müssten jetzt in der Pflicht sein nachzuweisen, dass ihre Werbeaussage, dass sie ein gesünderes Produkt auf den Markt bringen, dass sie dies schlicht und ergreifend noch einmal objektiv beweisen. Und dann werden wir natürlich trotzdem über epidemiologische Studien diskutieren müssen, die dann sicherlich ein paar Effekte auch auf die E-Zigarette zurückführen werden."

Völlig unbekannt ist zum Beispiel die Wirkung der Aromastoffe in den Liquids. Vanille- oder Apfelaromen werden bisher in aller Regel den Nahrungsmitteln beigemischt. Sie landen dann im Magen. Bei der E-Zigarette hingegen in der Lunge. Erst in vielen Jahren werden Wissenschaftler wohl wissen, wie gefährlich die E-Zigarette wirklich ist: Sie werden es an den Erkrankungen der E-Zigaretten-Raucher ablesen.
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