Elektronische Pop-Musik

Götter aus Düsseldorf

Die Band Kraftwerk auf dem "Pohoda"-Musikfestival in der Slowakei 2014
Kraftwerk auf dem "Pohoda" Musikfestival in der Slowakei 2014. © imago/CTK Photo
Von Christian Werthschulte · 30.10.2015
Kraftwerk, Die Krupps, Neu!: Es sind Bands aus Düsseldorf, die zu Beginn der 70er-Jahre die elektronische Pop-Musik begründeten. Der Düsseldorfer Sound und ein erhellendes Buch über die Szene stand im Zentrum einer Konferenz auf dem Düsseldorfer New Fall Musikfestival.
"Jede Band sagt: Wir hatten unser eigenes kleines Studio. Wir haben für uns unseren Sound entwickelt. Wir hatten nie das Gefühl, wenn wir auf die Straße gehen, dass irgendeiner das gut findet, was wir machen. Sagen DAF. Sagen Neu!. Sagen Kraftwerk und Die Krupps"
Der das sagt, ist Rüdiger Esch, 49 Jahre alt und Bassist bei der Düsseldorfer Band Die Krupps. Esch hat letztes Jahr das Buch "Electric_City" veröffentlicht. Es beschäftigt sich mit der elektronischen Musikszene in Düsseldorf zwischen 1970 und 1986. Die Atmosphäre in der Rheinmetropole war einmalig. Josef Beuys zog an der Kunstakademie viele an, die keine Lust auf die geregelten Lebensstile des fordistischen Nachkriegsdeutschland hatten. Mittendrin waren zwei Menschen, die den Sound von Düsseldorf über ein Jahrzehnt lang prägen sollten: Schlagzeuger Klaus Dinger und Produzent Conny Plank. Dinger spielte in der ersten Besetzung von Kraftwerk, gemeinsam mit Plank und Gitarrist Michael Rother gründete er die Band Neu!.
"In England sind Neu! Götter"
Neu! und Kraftwerk wurden die Protagnisten der elektronischen Musikszene Düsseldorfs. In ihrer Heimat waren sie nur Randfiguren, der Erfolg kam erst über das Ausland.
Esch: "Neu! sind riesig in England. Plattenläden in London haben drei Neu!-Platten im Schaufenster hängen. Das würde man in Düsseldorf und Deutschland nirgendwo sehen. Neu! sind Götter und Kraftwerk sind ohnehin Götter da."
Das Buch "Electri_City" stellt eine Verbindung zwischen diesen Düsseldorfer Bands her, die in den Köpfen der Musiker so nicht existiert hat, wie auch Esch selbst zugibt. Er gehört zur zweiten Generation Düsseldorfer Elektronik-Musiker und ist 20 Jahre jünger als Kraftwerk und Neu!. Ende der 1970er, zur Hochzeit von Punk, hat er begonnen, Musik zu machen.
Geschichte der Szene als Interviewcollage erzählt
Esch: "Die Stimmung war damals nicht so, dass man die Bands, die heute so glorreich klingen, auf Händen getragen hätte. Bei den Kraftwerk-Jungs wusste man ja auch nur, dass die jetzt berühmt waren und Geld verdienten. In allen Clubs, in denen wir standen sind die eigentlich immer schlecht bedient worden, weil man sie spüren lassen wollte, wie unbeeindruckt man ist."
In seinem Buch erzählt Esch die Geschichte dieser Szene als Interviewcollage und stellt so Querverbindungen her – nicht nur zwischen den Musikern aus Düsseldorf, die sich teils gar nicht kannten. Sondern auch zwischen der post-industriellen Rheinmetropole und dem Sound post-industrieller Städte wie dem englischen Sheffield. Um endgültig die Welt zu erobern, musste die elektronische Musik aus Düsseldorf sogar das alte Europa hinter sich lassen. In der ehemaligen Autostadt Detroit wurde in den 1980ern ein junger Afro-Amerikaner namens Derrick May vom Futurismus der Kraftwerk-Platten angezogen.
May: "Das Zeugs war cool. So klar, so präzise, so perfektionistisch, dass es einfach funky sein musste. Steif, aber funky."
Weißer Roboter-Funk aus Düsseldorf
May schuf daraufhin seine eigene Version einer Zukunft, beeinflusst vom schwarzen Funk von George Clinton dem weißen Roboter-Funk von Kraftwerk aus Düsseldorf: Techno.
Techno ist das bisher letzte Kapitel im Mythos Kraftwerk. Das lange Nachleben der Düsseldorfer Elektronik-Musik steht im Mittelpunkt der akademischen ELECTRI_CITY Conference, die noch bis Samstag andauert. Und dabei kommen die internationalen Akademiker auch zu Revisionen des Mythos Kraftwerk und ihres Images als perfekte Pop-Konzeptionisten, wie Organisator Enno Stahl erläutert.
Stahl: "Johannes Ullmaier hat das sehr schön gezeigt. Auf der einen Seite hab es Can, auf der anderen Seite den Jazz, mit dem sie auch kokettiert haben. Da gab es Leute, die wahnsinnig gut waren. Was konnten Kraftwerk also tun? Die Lücke wurde ja immer kleiner. Und das war sehr interessant zu sehen, dass das vielleicht auch aus der Not geboren war alles."
Auch heute gibt es in Düsseldorf eine lebendige elektronische Musikszene um den Club "Salon des Amateurs" in der Düsseldorfer Altstadt. Dazu gehört auch die Musikerin Lena Willekens.
Auch Willekens hat Kunst studiert, heute produziert sie elektronische Musik und legt in Berlin, London und Düsseldorf auf. Auf der Straße erkennt sie dort keiner.
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