Elbphilharmonie

In Architektur gegossene Ambivalenz

Die Elbphilharmonie am 28. November 2016 im Hafen in Hamburg.
Die Elbphilharmonie am 28. November 2016 im Hafen in Hamburg. © imago/Manngold
Von Klaus-J. Rathjens · 09.01.2017
Er liebt sie und er hasst sie: Klaus-J. Rathjens – studierter Kirchenmusiker und Kapellmeister verschiedener Opernhäuser, Theater und Festivals – kann der Elbphilharmonie die hohen Kosten nicht verzeihen. Denn dem Prachtbau stehe eine chronische Unterversorgung der kulturellen Basis gegenüber. Aber ohne dieses Fundament könne die Elbphilharmonie nicht bestehen.
Irgendwann hatte Carl Laeisz die legendäre Sparsamkeit und Profitgier der hanseatischen Pfeffersäcke satt. Als der Hamburger Reeder im Jahr 1901 starb, hinterließ er der Stadt die Stiftung einer Konzerthalle. 1908 eröffnet, war sie die größte und modernste in Deutschland.

Das kann man schon lange nicht mehr behaupten. Doch da die Laeiszhalle nach hundert Jahren immer noch die einzige ihrer Art in Hamburg war, bestand Handlungsbedarf. Eine neue Halle sollte aber nicht nur einfach eine Halle sein, nein – sie sollte ein neues Wahrzeichen werden. Ein Ort der Musik als Symbol der gesamten Stadt – das klang gut! Doch welche Verantwortlichen auch immer für die Planung zuständig waren, die dahinter stehende Kompetenz muss schon aufgrund der Weigerung angezweifelt werden, eine Orgel für die neue Halle zu finanzieren. So wären wichtige, klassische Werke wie das "Deutsche Requiem" von Johannes Brahms nicht spielbar gewesen. Glücklicherweise fand sich ein hanseatischer Musikfreund, der das Instrument spendete.

Musiker senken verschämt die Köpfe

Der Grundstein wurde gelegt, und eigentlich sollte die Elbphilharmonie längst fertig sein. Stattdessen wurde sie neben dem Berliner Flughafen zum Synonym für chaotische Bauplanung und Kostenexplosionen. Das Image-Desaster war perfekt. Hier bauten sich also die Eliten einen Luxustempel ihrer Hochkultur? Wir Musiker sind es gewohnt, die Tiraden über die Kultursubventionen zu ertragen. Trotzdem senkten wir verschämt die Köpfe, wenn die Rede auf den neuen Prachtbau kam, der ja unseretwegen errichtet wurde.


Doch allmählich wurde der Ton versöhnlicher. Die Presse begann, über Ausstattung und Akustik zu schwärmen und die Musiker konnten wieder ihre Köpfe heben. Aber schon 100 Kilometer weiter nördlich, in Schleswig, wurde die Problemlage der deutschen Kulturlandschaft deutlich. Das dortige Theater wurde 2011 wegen Einsturzgefahr geschlossen und für ein neues Haus fehlten der Stadt vier Millionen Euro. So sehen die beiden Seiten unserer Kulturmedaille aus: vier fehlende Millionen in Schleswig und 865 verbaute Millionen in Hamburg. Unser föderales System stellt prachtvolle Kulturbauten in den urbanen Zentren neben die Not der Provinz.
Großer Saal in der Elbphilharmonie 
Großer Saal in der Elbphilharmonie und der sogenannte Reflektor, der den Schall im ganzen Raum verteilt.© Deutschlandradio / Axel Schröder

Es fehlt das kulturelle Fundament

Natürlich: Der Hamburger Senat betont, dass die Elbphilharmonie einen eigenen Etat besäße, der die anderen Kulturausgaben der Stadt nicht beeinträchtige. Aber das ist Augenwischerei. Denn welche Summe hätte man bei angemessener Planung sparen können? Und wie hätte diese Summe die übrige Kultur alleine an der Basis in Hamburg befruchten können? Erst wenn der Senat dafür sorgt, dass Musikschulen, Chöre, Band-Probenräume und andere Kultureinrichtungen gut versorgt sind, erst dann wäre das eigentliche Fundament der Elbphilharmonie gelegt. Erst dann erhielte sie ihre Daseinsberechtigung.

Ich gebe es gerne zu: Ich hasse und liebe sie zugleich, die Elbphilharmonie. Ich bin mir sicher, dass die Menschen in 50 Jahren froh sein werden, sie zu besitzen – in völliger Vergessenheit ihrer Kosten. Und als Musiker betrachte ich sie als ausgleichende Gerechtigkeit zur permanenten Unterfinanzierung des Kulturbereiches. Aber es gelingt mir einfach nicht, ihre Kosten zu verdrängen. Und es kommt noch ein Punkt hinzu. Dem Gebäude fehlte bislang eine Komponente, die andere Großprojekte in der Vergangenheit durchaus begleiteten: der gesamt-gesellschaftliche Wille, etwas Großes und Zukunftsweisendes zu schaffen. Dieses Manko kann nur durch eine große Breitenwirkung der neuen Halle ausgeglichen werden. Das schafft kein Luxustempel der Eliten. Hoffentlich sind sich die Verantwortlichen dessen bewusst.

Klaus-J. Rathjens studierte Kirchenmusik an der Hamburger Musikhochschule und war Leiter der Schauspielmusik am Schleswig-Holsteinischen Landestheater. Es folgten Engagements als Korrepetitor und Kapellmeister an Opernhäusern, Theatern, auf Tourneen und Festivals (Rossini-Festspiele, Ludwigsburger Schlossfestspiele) Parallel dazu arbeitet er als Arrangeur und Komponist, schrieb Bühnenmusiken, u.a. zur deutschsprachigen Bühnenfassung des Disney-Films "Das Dschungelbuch", sowie weihnachtliche Klarinettentrios. Interessiert am "Crossover" arrangierte er für sein Pop-Rock-Trio und das Hamburger Sinfonieorchester den Genre-Klassiker "Pictures at an Exhibition".

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