Eishockey

Puck und Präsident

Drei Arbeiter schreiben in der Chizhovka-Arena eine Treppe fest. Die Multifunktionshalle ist einer der Austragungsorte der Eishockey-WM 2014.
Noch ein paar Schrauben festdrehen, ein paar Oppositionelle verhaften: Die Vorbereitungen für die Eishockey-WM in Minsk laufen auf Hochtouren. © picture alliance / dpa / Tatyana Zenkovich
Von Anja Schrum und Ernst-Ludwig von Aster · 04.05.2014
Im Herrschaftssystem des weißrussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko ist Sport ein wichtiges Element. Dazu zählt auch die Ausrichtung der Eishockey-WM ab dem 9. Mai. Bis zuletzt hatte die Opposition gegen das Turnier protestiert. Vergeblich.
Sonnabend, 18 Uhr, in der Minsker Chizhovka-Arena. Auf dem Eis schießen sich die Teams von Junost Minsk und dem Eishockey-Klub Gomel warm für das Playoff-Spiel. Beide Mannschaften treten in der Extraliga an, der höchsten Eishockey-KIasse Weißrusslands.
In einem Tribünenblock entrollen rund 200 Gomel-Fans ein Transparent mit dem Logo ihres Vereins: Ein zähnefletschender Raubtierkopf in einem kreisrunden, knallroten G. Zwischen den Blöcken gehen Männer in Kampfanzügen mit schweren Springerstiefeln auf und ab. "OMON" steht auf ihren Uniformen. Das ist eine Spezialeinheit der belarussischen Sicherheitskräfte.
Noch gut eine Viertelstunde bis zum Anpfiff. Nur langsam füllen sich die Sitzreihen in der neuerbauten Arena. Vor allem Familien mit Kindern, Rentner und junge Leute wollen das Spiel sehen. Doch gut zwei Drittel der 9.000 Plätze bleiben an diesem Abend leer – und das trotz freiem Eintritt.
Seit wenigen Monaten erst ist Junost Minsk Hausherr in der neuen gebauten Chizhovka- Arena. Die große Halle ist einer von zwei Austragungsorten der Eishockey-Weltmeisterschaft 2014, die in wenigen Tagen in Minks beginnt.
In der Vorhalle warten Eishockeyfreunde vor der Garderobe, ordern Getränke und Popcorn am Verkaufstresen. Der Boden ist in weiß, blau und rot gefliest - den Vereinsfarben von Junost Minsk. Mit einem Bier in der Hand mustern zwei Gomel-Fans die neue Halle. Ihr Verein muss zuhause mit einer viel kleineren Arena auskommen. Bei wichtigen Spielen müssen Fans draußen bleiben:
"Wissen Sie, in Weißrussland gibt es eine Mannschaft namens Junost und diese Mannschaft mag keiner hier im Lande. Das hängt auch damit zusammen, dass der Präsident persönlich Fan dieser Mannschaft ist. Das macht die ganze Situation natürlich pikant."
Junost Minsk ist die Lieblingsmannschaft von Präsident Alexander Lukaschenko, sagen die Fans. Der regiert seit 20 Jahren das 9,5 Millionen-Einwohner-Land. Autoritär und undemokratisch. Die beiden Gomel-Fans nehmen noch einen Schluck Bier, blicken in Richtung Eingang. Sicherheitskräfte kontrollieren die Besucher, inspizieren Taschen, schicken alle Zuschauer durch türhohe Metalldetektoren, tasten dann noch einmal jeden Fan ab. Die beiden Gomel-Fans grinsen.
"Auf die WM sind wir gut vorbereitet", sagen die beiden Fans. Das einzige, was sie stört, sind die akribischen Kontrollen. Es gibt viel zu viele Sicherheitsleute hier, meinen sie.
Tickets kosten zwischen 10 und 50 Euro
16 Teams treten zur Weltmeisterschaft in Minsk an. Zwischen 10 und 50 Euro kosten die Eintrittskarten. Doch in dieser Preisklasse ist kaum noch etwas zu haben. Für einige hundert Euro werden mittlerweile die Karten für die Final-Spiele angeboten. Das ist viel bei einem durchschnittlichen Gehalt von 400 bis 500 Euro. Ein Mitt-Vierziger mit hagerem Gesicht, in weißem Junost-Trikot hat Glück gehabt. Er hat rechtzeitig Tickets besorgt:
"Ich habe bereits zwei Karten für ein Spiel gekauft. Für diese Arena. Für das Spiel Schweiz gegen Norwegen. Ich hoffe, es wird ein spannendes Spiel sein. Mehr Karten waren nicht möglich."
Ein Großteil der Tickets ist verkauft, melden kurz vor Turnierbeginn die Veranstalter. Für den Fan steht jetzt schon fest: Die Veranstaltung wird ein Erfolg:
"Ich glaube, dass Minsk als Austragungsort und Weißrussland im Allgemeinen an Image gewinnen werden. Finanziell bringt es auch etwas. Und Eishockey nimmt einen Sonderplatz unter den Sportarten ein. Es ist eine Sportart, die viele Fans hat und es ist eine Ehre für uns, eine Weltmeisterschaft in unserem Land auszurichten."
Das erste sportliche Mammut-Ereignis in der jungen Geschichte Weißrusslands. Ein Erfolg vor allem für den autoritären Präsidenten Alexander Lukaschenko. Die letzten beiden Weltmeistmeisterschaften in der Slowakei und in Skandinavien konnte er nur aus der Ferne verfolgen. Wegen andauernder Menschrechtsverletzungen darf Lukaschenko - genauso wie mehr als 200 seiner Gefolgsleute - nicht in die EU einreisen. Jetzt richtet er die WM im eigenen Land aus. Trotz politischer Proteste und Boykott-Aufrufe blieb die Internationale Eishockey-Föderation bei ihrer Standort-Entscheidung.
Auf dem Eis in der Halle wird ein roter Teppich ausgerollt. Eine junge Frau im goldglitzernden Kleid stöckelt auf hohen Absätzen in den Innenraum, greift zum Mikrofon. Die Nationalhymne schallt durch die nur spärlich besetzte Arena. Alle stehen auf. Aber kaum jemand singt mit.
Vorgänge in der Ukraine sorgen für Nervosität
Nur wenige Kilometer weiter, im Büro der weißrussischen Menschenrechtsorganisation "Viasna" schiebt Valentin Stefanowitsch ein DIN A 4-Blatt von der Tastatur seines Computers. "Immer wenn ich grübele, dann male ich etwas", sagt der Jurist. Drei Pilze sind diesmal aufs Papier gekritzelt, eingerahmt von Zahlengruppen. Ein wenig ertappt lächelt Stefanowitsch, schiebt die Zeichnung unter einen Stapel Papier:
"Nach den Ereignissen in der Ukraine ist die Regierung hier sehr nervös. Vor allem wenn sich Leute öffentlich äußern. Neulich habe einige Fußballfans vom FC Bate Borisov ein Foto von sich im Internet veröffentlicht. Mit Plakaten, auf denen sie die proeuropäische Maidan-Bewegung in Kiew unterstützen. Die Polizei hat herausgefunden, wer mitgemacht hat und hat sie dann verhaftet."
Begründung: Teilnahme an einer illegalen Demonstration. Ein Fall für Stefanowitsch und seine Kollegen von der Menschrechtsorganisation: Protest einlegen, auf die Meinungsfreiheit verweisen, die weißrussische Verfassung zitieren. Gebracht hat es auch diesmal wenig. Einige Fans mussten für fünf Tage ins Gefängnis:
"Die Regierung möchte die Eishockey-WM nutzen, um ein schönes Bild von Weißrussland zu zeichnen: Eine offene Gesellschaft, nette, herzliche Leute - ein ganz normales europäisches Land eben. Wir sind nette und herzliche Leute. Und natürlich freuen wir uns auf die Besucher. Aber wir sollten auch an die Menschenrechtslage hier erinnern."
Seit 1996 dokumentiert "Viasna" Menschrechtsverletzungen, unterstützt politische Gefangene, kämpft gegen die Todesstrafe. Der Jurist zieht einen dicken Stapel Unterlagen aus der Schreibtischschublade. Eingaben, Beschwerden. Drei Weißrussen sind derzeit zum Tode verurteilt, zehn politische Gefangene sitzen in Gefängnissen und Arbeitslagern. Stefanowitsch schiebt die Unterlagen beiseite, startet seinen Computer. Stoisch blickt ihm ein alter Elefantenbulle als Bildschirmschoner entgegen. Auf der Internet-Seite von "Viasna" veröffentlichen die Anwälte täglich Berichte über Verhaftungen und Verurteilungen:
"Unsere Website ist auf allen Computern in Staatsunternehmen und im kompletten Bildungssystem, an Schulen und Universitäten, blockiert. Auch dagegen haben wir Widerspruch eingelegt. Ich musste erst einmal rauskriegen, wer das veranlasst hat. Am Ende sagte uns der Generalstaatsanwalt: Ich habe es veranlasst."
Begründung: Viasna arbeite illegal. Vor mehr als zehn Jahren wurde der Nichtregierungsorganisation die nötige offizielle Registrierung verweigert, vor zwei Jahren ihr altes Büro beschlagnahmt. Stefanowitsch landete wie viele Kollegen auf einer sogenannten schwarzen Liste der Sicherheitsbehörden, durfte einige Monate lang nicht ins Ausland reisen:
"Erst verliert eine Organisation ihre Registrierung. Wenn man weitermacht heißt es: Ihr arbeitet illegal. Dann kommt ein Gesetz, dass man keinerlei finanzielle Unterstützung aus dem In- und Ausland annehmen darf. Und am Ende heißt es dann: Ihr seid kriminell."
Organisationen werden nach Belieben unter Druck gesetzt
Seit 20 Jahren regiert Alexander Lukaschenko so das Land. Vor allem mit Dekreten aus der Präsidialverwaltung. Ein fein abgestimmtes, juristisch ausgeklügeltes System, das es ermöglicht Organisationen nach Belieben unter Druck zu setzen. Oppositions-Parteien, ebenso wie Sportclubs. "Together we celebrate" - "Gemeinsam feiern wir" - für den offiziellen Slogan der Eishockey-WM hat Stefanowitsch dann auch nur ein spöttisches Lächeln übrig:
"Die Stadtverwaltung von Minsk hat schon öffentlich angekündigt, dass sie die Stadt von Obdachlosen, Alkoholikern und Prostituierten säubern wird. Was heißt säubern? Das erinnert mich alles an die Olympischen Spiele 1980 in Moskau, wo sie auch die Stadt von allen sogenannten 'asozialen Elementen' befreit haben. Für mich sind das Maßnahmen eines totalitären Systems. Das entscheidet, wer das Recht zu Leben hat, wo und wie."
Ein grüner Stadtbus rollt den Pieramozcau-Prospekt entlang. Sportstudenten drängen sich auf den Sitzen und im Gang. An den Fensterscheiben prangen kleine Aufkleber: Ein Wisent im Eishockeytrikot: "Volat", das WM-Maskottchen.
Vorbei geht es an einer Tennisanlage, einem neuen Fußballstadion. Dann kommt eine Sporthochschule, daneben ein Sporthotel. Die Studenten verlassen den Bus. Wenige hundert Meter weiter glänzen drei futuristische Gebäude in der Frühlingssonne; ein gigantisches Ensemble aus spiegelndem Glas und glänzendem Metall. Minsk-Arena, Eisschnelllaufhalle oder Radrennbahn - jedes der Gebäude gleicht einem riesigen Ufo.
Vom VIP-Eingang Nummer 1 der Minsk-Arena fährt ein Aufzug in den sechsten Stock. In Zimmer 627 telefoniert Nikolai Sergienko an seinem Schreibtisch. Dabei blickt der 62jährige über Zettelberge und Heiligenbildchen hinweg durch ein Fenster auf die Kräne der benachbarten Baustelle. Der Direktor der Minsk-Arena beendet eilig das Telefonat, guckt auf die Uhr. Er habe maximal eine Stunde Zeit, sagt er und deutet auf den Kalender an der Wand. Shakira war schon hier, Rammstein oder Elton John, jetzt kommt die Eishockey-WM:
"Auf die WM bereitet sich nicht nur die Stadt Minsk vor, sondern unsere ganze Republik Belarus. Wir wollen einen hervorragenden Service bieten. Und wir möchten, dass die Fans - insbesondere die aus dem Ausland - nicht nur super Spiele und Top-Mannschaften erleben, sondern auch unser Land, die Republik Belarus, kennenlernen. Und wir haben etwas zu bieten. Heute Morgen habe ich im Radio gehört, dass angeordnet wurde, während der WM alle Restaurants bis sechs Uhr morgens offen zu halten."
Wieder klingelt das Handy. Nikolai Sergienko gibt ein paar kurze Anweisungen, schüttelt den Kopf, springt auf und geht zum Garderobenschrank. "So kann man nicht arbeiten", schimpft Sergienko, schiebt sein Handy unter einen Stapel Handtücher und schließt die Schranktür. Rein äußerlich wirkt der 62-jährige mit dem kantigen Schädel und dem schlichten, grauen Anzug nicht wie ein weltgewandter Event-Manager. Eher wie ein Kolchos-Chef.
"Sie kennen mich ja gar nicht", sagt Sergienko und holt ein abgegriffenes, braunes Fotoalbum aus dem Schrank. Das erste Bild zeigt ihn als jungen Rekruten. Sergienko hat die Militärakademie besucht, als Offizier in Afghanistan gekämpft, in Tschernobyl aufgeräumt und schließlich im Ministerium den Katastrophenschutz koordiniert. Außerdem war er vier Mal Abgeordneter im weißrussischen Parlament.
"Die meisten kennen dieses Land doch gar nicht"
"Alexander Gregorewitsch habe ich des Öfteren getroffen", sagt Sergienko und deutet auf ein Bild, das ihn neben Präsident Lukaschenko zeigt. Jetzt betreut der Oberst a.D. eines der Prestige-Objekt des Präsidenten, obwohl er eigentlich schon in Rente ist: Die Minsk Arena, den zentralen Austragungsort der Eishockey-WM. Hier finden alle Final-Spiele statt.
"Wir müssen uns nichts vormachen Wir kennen die politischen Nadelstiche gegen Weißrussland. Aber wir möchten allen zeigen, dass nicht alles, was über uns gesagt wird, der Wahrheit entspricht. Wir wollen zeigen, wie es hier wirklich ist. Die meisten kennen dieses doch Land überhaupt nicht."
Ein junger Mann betritt das Büro, eine Tasche unter dem Arm. Es ist Sergienkos Sohn, er arbeitet beim Inlandsgeheimdienst KGB. Der Direktor bittet, sie kurz allein zu lassen.
Fünf Minuten später eilt Sergienko endlose Flure entlang, dann geht es durch eine unscheinbare Tür hindurch - und plötzlich blickt man hinab in eine riesige Multifunktionshalle. Blaue Sitzreihen führen in einem Oval steil nach unten. Das Hallendach ist eine beeindruckende Stahlkonstruktion unter der ein mächtiger Video-Würfel hängt:
"Das ist unsere Arena von oben gesehen. Es ist eine Arena, in die 15.000 Zuschauer passen. Eine sehr gute, überdachte Arena. Dieses Dach zum Beispiel ist dem Prinzip des Fahrrad-Rades nachempfunden. Nirgendwo auf der Welt gibt es so etwas. Sehen sie, da oben in der Stahlkonstruktion laufen Menschen, wir nennen sie "Alpinisten". Dieses Dach kann 135 Tonnen Last tragen."
Der Bau des ganzen Komplexes, also der Minsk-Arena, des Eisschnelllaufstadions und der Radrennbahn hat zusammen über 320 Millionen Euro gekostet, erzählt Sergienko stolz. 1.000 Leute sind hier beschäftigt, von der Putzfrau bis zum Direktor. Eine erhebliche Investition in einem Land, das finanziell immer wieder durch den Internationalen Währungsfond oder Kredite aus Russland gestützt werden muss. - Nikolai Sergienko blickt kurz auf die Uhr. Er muss weiter - die WM organisieren.
Im vierten Stock eines maroden Betonblocks eilt Wladimir Bereschkov über den Redaktionsflur. Die abgewetzten Holzdielen federn bei jedem Schritt. Der 49-jährige biegt nach links, schiebt sich seitlich durch die Tür ins Vorzimmer. Seine Sekretärin blickt kurz auf, lächelt.
Oben - auf der Ablage einer alten Wohnzimmerschrankwand - blicken mehr als ein Dutzend Stofftiere mit verstaubten Augen ins Leere. "Spacy" aus Deutschland, das Eishockey-WM Maskottchen 2001, neben dem russischen Bären von 2007, daneben der finnische Biber.
"Pressbol war 1991 die erste unabhängige Sportzeitung in der ehemaligen Sowjetunion", erzählt Bereschkov. "Wir waren eine Gruppe idealistischer Journalisten und Sportler in Weißrussland, die endlich über Sport ohne Sowjetideologie berichten wollten".
Sein Büro liegt gleich nebenan. An der Wand hängen Dutzende Eishockey-Trikots. Aus Russland, Kanada, Deutschland. Bereschkov streckt sich, streicht kurz über ein weiß-rot-weißes Exemplar, mit einem schwertschwingenden Ritter auf der Brust. Sein Lieblingsstück.
"Damit trat 1991 die weißrussische Nationalmannschaft kurz nach der Unabhängigkeit des Landes an", erzählt er. Heute ist das Sportgeschichte. Jetzt sind die Farben rot und grün, eingeführt kurz nach der Machtübernahme von Alexander Lukaschenko.
Ein Stockwerk höher bohren Bauarbeiter. Bereschkov verzieht das Gesicht, schiebt einen Stapel Unterlagen beiseite, schafft Platz am Besprechungstisch. Sein dunkler Anzug verbirgt kaum die Statur des ehemaligen Eishockey-Profis. Von klein auf jagte er dem Puck nach, erst in der Sowjetunion, dann in der Republik Belarus.
"Man bezeichnet uns oft als oppositionelle Zeitung, da frage ich dann die Leute, wie kann eine Sportzeitung oppositionell sein? In jedem anderen Land wäre so etwas undenkbar, bei uns aber nicht. Nur weil wir als eine private Zeitung unsere Meinung ausdrücken. Wenn die Behörden etwas bekannt geben, dann glauben wir nicht alles, sondern betrachten es kritisch. Aus dem Grund werden wir als Oppositionelle angesehen."
Eine unabhängige Berichterstattung gibt es in Weißrussland kaum noch. Fernsehen und Hörfunk sind in staatlicher Hand. Die wenigen privaten Zeitungen werden drangsaliert. Trotzdem deckte "Pressbol" 2004 Manipulationsversuche bei Fußballspielen zur EM-Qualifikation auf. Die Zeitung berichtete auch, dass ein hochrangiger weißrussischer Sportfunktionär in Mafiageschäfte und einen Mord verwickelt war:
"Wir wurden mehrmals verwarnt vom Informationsministerium. Die Begründung war, Missbrauch der Meinungsfreiheit. Das ist ein Artikel, der es erlaubt, eine Zeitung ohne Gerichtsverhandlung zu schließen."
Als die Zeitung eine Geldstrafe nicht zahlen kann, pfänden Justizbehörden einen Teil seiner Wohnungseinrichtung. Wiederholt verweigert das Nationale Olympische Komitee der Zeitung die Akkreditierung für Olympische Spiele. Bereschkov nimmt es sportlich. Er faltet die Hände, schiebt den Oberkörper nach vorne, drückt die Schultern nach oben. Die Anzugjacke spannt. Man sieht dem 49-jährigen an, dass er Bodychecks wegstecken kann. "Ich stehe ständig vor Gericht", sagt er. "Schwarze Löcher" steht über der aktuellen Titelgeschichte. Eine Serie über verschwundene Sport-Millionen:
"Wir haben schon über Eishockey und Fußball berichtet und heute berichten wir über die Veruntreuung der Gelder im Handball. Es geht da immerhin um vier Millionen US-Dollar an Staatsgeldern. Man hat das Geld genommen und verschwendet, den Club in die Pleite getrieben und dann sind die Verantwortlichen verschwunden."
Lukaschenko ist "leidenschaftlicher Fan und Spieler"
Bereschkov legt die Zeitung beiseite. "In letzter Zeit rügt auch Präsident Alexander Lukaschenko immer wieder die Geldverschwendung im Sport", sagt er. Im Januar durfte Bereschkov erstmals an einer Chefredakteurs-Runde beim Präsidenten teilnehmen. Natürlich ging es um Sport, sagt er. Vor allem um Eishockey. In den letzten zwei Jahrzehnten hat der Präsident mehr als 25 Eisstadien in dem kleinen Land bauen lassen:
"Er selbst ist ein leidenschaftlicher Fan und Spieler. Er ist mit Leib und Seele ein Sportler, er spielt auch Eishockey. Er ist auf dem Dorf aufgewachsen. Wo es keine Möglichkeit gab Eishockeyspieler zu fördern. Wäre das anders gewesen, dann würden wir heute in einem anderen Land leben. Weil er dann nämlich Profi in der internationalen Eishockeyliga wäre."
Ein feines Lächeln umspielt die Lippen des Sportredakteurs. Statt Profi wurde Lukaschenko Präsident. Der sich jetzt persönlich um die Eishockey-Weltmeisterschaft kümmert:
"Man kann sagen, dass unser Präsident sich persönlich für jeden Nagel, für alles was verbaut wird, verantwortlich fühlt. Selbst für die Qualität des Eises. Er behandelt diese Weltmeisterschaft wie sein eigenes Kind."
Die Eishockey WM - ein Kind des Präsidenten. Und mit den Kindern des Präsidenten, das weiß jeder in Weißrussland, legt man sich lieber nicht an. So findet sich auch in der unabhängigen Sportzeitung kein kritisches Wort zu der Veranstaltung. Im Gegenteil. "Für mich ist es das das größte Sportereignis der jungen weißrussischen Geschichte", sagt Bereschkov.
Im Stadtzentrum rollt ein Kleinbus über die Clara-Zetkin-Straße. Tatjana Kaminskaya sitzt hinter dem Fahrer, hält das Mobiltelefon in der Rechten, blickt immer wieder aufs Display.
"Es ist das erste Mal, das Minsk Gastgeber für eine so große Veranstaltung ist. Wir haben noch nie so viele Leute auf einmal in unserer Stadt gehabt. Natürlich sind wir da aufgeregt. Wir erwarten 20.000 Besucher oder sogar mehr."
Tatjana Kaminskaya lächelt etwas unsicher. Sie ist Mitte 20, kommt frisch von der Linguistischen Universität, das hier ist ihr erster Job. "Leading specialist of Tourism Department" - "Leitende Spezialistin der Tourismus Abteilung" - steht auf ihrer neuen Visitenkarte. Sie arbeitet für Centerkurort - den staatlichen Reiseveranstalter in Weißrussland. Er vertreibt die Tickets für die WM und organisiert Unterkünfte für die Fans.
Je länger die Fahrt dauert, desto mehr Wohnblöcke kommen ins Bild. Graue Kolosse, mal 15, mal 20 Stockwerke hoch. Nach knapp 20 Minuten holpert der Wagen über einen Sandweg in eine der Satelliten-Siedlungen. Leuchtendweiß ragen drei 13-Geschosser in die Höhe, ein dunkelorangener Zierstreifen setzt Farbakzente zwischen dem dritten und vierten Stock. Das Fan-Dorf für die Eishockey-WM.
"Für die ersten Tage vom 9. bis 11. Mai haben wir schon Tausende von Buchungen. Das Fan-Dorf ist komplett ist ausgebucht. Die Gäste kommen vor allem aus Russland und Lettland. Die Leute wollen unser Land und ihre Verwandten besuchen. Und sie wollen nicht viel Geld zahlen."
Der Fahrer stoppt vor Hausnummer 95. Tatjana Kaminskaya eilt über den frisch gepflasterten Parkplatz, durch die Glastür geht es in die kleine Empfangshalle. In der Pförtnerloge wartet eine stämmige Mittfünfzigerin, vor sich ein Mobil-Telefon und ein großes Schlüsselbund: Frau Swetalana, die Chefin des Wohnheims. Zur Zeit leben hier noch mehr als tausend Studenten:
"Natürlich werde ich bei der WM im Einsatz sein. Wir sind alle im Einsatz. Wir arbeiten in drei Schichten. Da machen alle mit. Und ich als Chefin werde bestimmt alle drei Schichten an allen 17 Tagen übernehmen. Man hat mir gesagt: Du brauchst gar nicht nach Hause zu gehen, du kannst gleich hierbleiben."
Einige Studenten kommen durch die Eingangstür, zeigen unaufgefordert ihren kleinen roten Ausweis. Die Chefin nickt. Eine 20-Jährige bleibt vor einer Stelltafel in der Mitte des Raumes stehen, überfliegt die Aushänge. Sie wohnt in Zimmer 1504. So richtig freuen über die WM kann sie sich nicht:
"Wir müssen alle hier ausziehen und werden auf andere Studentenwohnheime verteilt. Und da sind die Bedingungen meist schlechter. Man hat uns angeboten, als Touristenbegleiter oder an den Rezeptionen zu arbeiten. Ich denke, ich werde es versuchen. Es gibt da noch eine Informationsveranstaltung zu den Arbeitsbedingungen."
Es wird ein Fest, aber nicht für alle
Studenten raus, Fans rein. Die Studentin zuckt mit der Schulter, geht auf ihr Zimmer. 5.000 Fans sollen während der WM in den drei Blöcken wohnen. Wenn die Studenten ausgezogen sind.
In der Chizhovka-Arena ist das erste Drittel des Eishockey-Spiels vorbei. Die Mannschaft von Gomel führt 1 zu 0. Die Fans stehen in der Vorhalle, trinken ein schnelles Pausen-Bier.
"Die Schiedsrichter sind fairer als beim ersten Spiel. Beim ersten Spiel waren viele Entscheidungen einseitig, zugunsten der Heim-Mannschaft, also Junost. Heute läuft das besser und wir haben bereits ein Tor gemacht."
Zur Weltmeisterschaft wird er wieder von Gomel nach Minsk fahren. Er hat Karten gekauft. "Für welches Spiel?", fragt sein Freund: Für die Partie gegen Kasachstan, sagt er. Da müssen beide lachen. Das ist nicht gerade ein Top-Spiel. So ist es eben, neckt ihn sein Freund: "Es wird ein Fest – aber nicht für alle".
Das sieht Valentin Stefanowitsch genau so. Der Menschenrechtler sitzt im "Viasna"-Büro. Eigentlich interessiert er sich nicht für Sport, sagt er. Trotzdem beschäftigt ihn die WM:
"Manchmal kommt man sich vor wie in einem Kafka-Roman. Das hier ist kein freies Land. Und ich muss sagen, dass ich persönlich Angst habe, dass einige Regierungskritiker und Oppositionelle verhaftet werden, damit es bei der Eishockey-WM ruhig bleibt."
Valentin Stefanowitsch schiebt die Unterlagen zusammen. Er hat mit seinen Kollegen lange diskutiert, ob "Viasna" zu einem Boykott der Eishockey-WM aufrufen soll. "Was sollen dann unsere Landsleute von uns denken?", fragten die einen. "Einfach zuschauen und schweigen können wir aber auch nicht", sagten die anderen. Am Ende fanden die Menschenrechtler einen Kompromiss:
"Die Teilnehmer sollen keine offiziellen Delegationen nach Minsk schicken. Wenn die Sportler Eishockey spielen wollen, dann sollen sie es tun. Aber bitte ohne Politiker. Touristen können gerne kommen. Aber die Politiker sollten zuhause bleiben."