"Einzigartig in der Fernsehlandschaft"

Moderation: Stephan Karkowsky · 08.04.2013
Für Andres Veiel ist "Das kleine Fernsehspiel" im ZDF "eine der ganz wenigen Inseln" im TV. Die vielen Abrufe in der Mediathek des Senders wiesen darauf hin, dass es ein verstärktes Bedürfnis nach dieser Form von Auseinandersetzung mit der Wirklichkeit gebe.
Stephan Karkowsky: Mit dem ZDF wurde vorige Woche auch ein Filmförderinstrument 50 Jahre alt, die ZDF-Reihe "Das kleine Fernsehspiel". Der Name ist schon etwas angestaubt, das Konzept aber scheint 50 Jahre ganz gut überlebt zu haben. Eine Redaktion des öffentlich-rechtlichen Fernsehens gibt Jungfilmern die Chance, ihre ersten Projekte zu realisieren und im Fernsehen zu zeigen – auch diesem jungen Punk hier:

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Stephan Karkowsky: Und man konnte deutlich hören, dass er das in New York gesagt hat. Michael Mayer war das über "Das kleine Fernsehspiel". Für Jahrzehnte gab es Menschen auch außerhalb der Kulturmetropolen die Möglichkeit, anspruchsvolle Filmkunst zu erleben. Aber wofür braucht man das eigentlich heute? Wir wollen darüber reden mit dem Theater- und Filmregisseur Andres Veiel, im Kino vielfach ausgezeichnet für den RAF-Spielfilm "Wer, wenn nicht wir". Herr Veiel, guten Morgen!

Andres Veiel: Hallo, guten Morgen!

Karkowsky: Viele kennen Sie natürlich auch von ihrem Dokumentarfilm "Die Spielwütigen". Für den haben Sie sieben Jahre lang vier Schauspielschüler und -schülerinnen begleitet und ihren Alltag dokumentiert. Auch das lief als "Kleines Fernsehspiel" im ZDF, obwohl das gar nicht Ihr Erstling war. Wie kam es dazu?

Veiel: Ja, das war ein sehr spezielles Projekt, eben sieben Jahre, und da sagen andere Sender erst mal, wenn man dann ankommt und sagt, na, in acht Jahren könnt ihr das dann ausstrahlen – wer weiß, ob es uns dann überhaupt noch gibt als Fernsehanstalt. Also, da gehört schon ein gewisser Mut dazu, und das ZDF ist da voll eingestiegen.

In der Mitte ist eine Redaktion aufgelöst worden, nämlich die Redaktion Fernsehspiel/Theater, und dann ist das "Kleine Fernsehspiel" mit Verve eingesprungen, weil das Projekt sonst gegen den Baum gegangen wäre. Und das war für uns sehr wichtig, weil das war nicht klar zwischendrin, also es gab da so einen Knick nach dreieinhalb Jahren Arbeit, und dann ist es eben – konnte es fertiggestellt werden.

Karkowsky: Wie läuft das denn eigentlich normalerweise? Kommt da ein junger Regisseur, bringt seine Idee vor, das ZDF sagt ja und finanziert dann den Film und gibt eine Sendegarantie?

Veiel: "Das kleine Fernsehspiel" ist ja ein Rat von Redakteuren, die alle mitspracheberechtigt sind. Das heißt, selbst wenn ein Redakteur erst mal sagt, wir wollen das, dann bedeutet das noch lange nicht, dass es durchkommt. Also, da wird richtig lange debattiert, überlegt – und wenn es dann durchkommt, dann ist zumindest – bei mir, so wie ich es erlebt habe, der Einmisch-Faktor sehr gering.

Das heißt, mit sehr viel Unterstützung, sehr viel Offenheit und Neugier eben auch auf Neues, auf etwas Ungewohntes. Und das ist ja was, was im Fernsehen eher ausstirbt, weil die Haupttendenz ist ja, Sehgewohnheiten zu bestätigen. Und das "Kleine Fernsehspiel" will genau da ansetzen, nämlich was Neues zu wagen, und das heißt natürlich auch immer, bestimmte Konventionen zu brechen und damit auch nicht unbedingt auf Quote gehen zu können.

Karkowsky: Gibt es eine Sendegarantie, bevor der Film fertig ist?

Veiel: Also ich glaube – das müssten Sie eigentlich einen Redakteur fragen. Ich glaube, keine absolute. Ich nehme an, dass sie einzelne Filme dann erst mal so, wie sie abgeliefert wurden, auch abgelehnt haben. Aber letztendlich glaube ich nicht, dass ein Film gar nicht ausgestrahlt wurde. Da wurde eben was geändert. Weil das wäre ein Desaster, also wenn man dann zwei Jahre arbeitet und das dann nicht ausgestrahlt würde, würde der Produzent, könnte seinen Laden zumachen.

Karkowsky: Da ist ja von Zeit zu Zeit zu hören, auch der Sendetermin sei ein Problem. Wenn der erst mal festliegt, dann ist er wie in Beton gegossen, irreversibel, was dazu führen könnte, dass die Kinoauswertung kaum noch eine Chance kriegt, weil der Film fast parallel im Fernsehen läuft.

Veiel: Das ist in der Tat komplizierter geworden. Also das "Kleine Fernsehspiel" hat eine längere Zeit gar keine Kinokoproduktionen mehr gemacht, eben mit genau dem Argument. Sie wollen bald senden, sie wollen - sie hatten einen Stau, und wenn dann jeder Filmemacher erst mal winkt und sagt, ich brauche jetzt zwei Jahre für meine Kinoauswertung, dann hat das "Kleine Fernsehspiel" ein Problem. Das hatte sich nur so ausgewirkt, dass die Produzenten einfach mit sehr viel weniger Geld, nämlich ohne Kinogelder dann diese Filme machen mussten, was natürlich dann immer auch irgendwann an der Qualität nagt, weil die Selbstausbeutung hat dann auch mal eine Grenze.

Karkowsky: 50 Jahre "Das kleine Fernsehspiel" im ZDF. Sie hören dazu den Filmregisseur Andres Veiel. Herr Veiel, was sagen Ihre Kollegen denn? Sie kennen doch eine Menge, die schon mit dieser Redaktion zusammengearbeitet haben.

Veiel: Also, ich glaube, die Offenheit und die Neugier, die ist einzigartig in der Fernsehlandschaft. Die Suche auch nach neuen Formaten, dass man eben ins Risiko geht. Also sehr viele schreiben ja eigentlich das Medium Fernsehen ab, weil die Quotenjagd alles dominiert und damit eigentlich nur der Versuch da ist, eben, ja, das zu bestätigen, was wir schon immer gesehen haben, immer auch Nummer sicher zu gehen. Und das ist eine der ganz wenigen Inseln, die es auch im Sender nicht einfach hat.

Das muss man auch ganz klar sagen, es gab immer wieder Tendenzen, dass man gesagt hat, braucht man das überhaupt noch, wollen wir das nicht abschaffen? Und da gehört sehr viel Mut und Engagement von Redaktionsseite dazu, sich auch über Verbündete draußen dagegen zu verwehren. Und die 50 Jahre zeigen ja, dass sie darin erfolgreich sind.

Karkowsky: Ja, aber diese 50 Jahre haben ja die Medienlandschaft stark verändert. Wenn Sie mal nachdenken, 1963, da war "Das kleine Fernsehspiel" wirklich eine Filmoase in einem Land, in dem es nur zwei Sender gab. Damals gab es in Deutschland nur ARD und ZDF. Die Dritten mussten erst noch gegründet werden. Heute gibt es Video-on-Demand, es gibt die ZDF-Mediathek, es gibt ein Vielfaches des Filmangebotes der frühen 60er, das verändert doch auch die Funktion des "Kleinen Fernsehspiels", oder?

Veiel: Ja, aber es ist eben eine der ganz wenigen Inseln, im ZDF die einzige, wo zum Beispiel lange Dokumentarfilme produziert werden. Also wenn man sagt, man will ein Gegengewicht schaffen von dieser Informationsflut, dass scheinbar alles ja überall abrufbar ist, dass wir überall Zehn-, Fünfzehn-Minuten-Häppchen bekommen, aber ein Film, der sich intensiver mit Zusammenhängen, mit Hintergründen auseinandersetzt, der eindringt in die tieferen Schichten von Wirklichkeit, da ist es wirklich immer noch eine der ganz wenigen Oasen, wo so was möglich ist, und das zeigt ja, nicht nur jetzt bei Festivals, sondern auch im Fernsehen selbst oder auch in der Mediathek die Abrufe – es gibt ein verstärktes Bedürfnis nach dieser Form von Auseinandersetzung mit Wirklichkeit. Und da hat "Das kleine Fernsehspiel" als Inspirator und als Mentor, würde ich sogar sagen, oder Kurator der eben aus dieser Flut von Angeboten dann im Jahr eben 26 auswählt und sagt, die wollen wir wirklich machen. Und das ist einzigartig, und das würde ich einfach mal unter Reservatenschutz stellen.

Karkowsky: Das ist ein schönes Wort. Nun hat es ja auch eine Inflation der Filmfestivals gegeben, das kann man nicht anders sagen. Es gibt sie fast überall, zusätzlich für jedes Genre dann noch mal einzeln. Die Filmförderung hat sich professionalisiert. Da ist "Das kleine Fernsehspiel" doch nur noch ein Baustein unter vielen für die Karriere eines Regisseurs, oder?

Veiel: Ja, aber wenn man gerade den Dokumentarfilm anguckt, da gibt es ja nicht viel. Das ist eine sehr schmale, begrenzte Landschaft. Da gibt es die ARD, die zwölf Sendeplätze hat, dann gibt es in den dritten Programmen noch, wie im SWR die Debütreihe, dann gibt es eben im ZDF "Das kleine Fernsehspiel". Die Privaten kümmern sich um den längeren Dokumentarfilm gar nicht, da kommt er einfach nicht vor, weil er aus deren Haltung ein Quotenkiller ist. Das heißt, wenn man diese Art von Filmkunst weiter bestehen lassen will, dann ist "Das kleine Fernsehspiel" einer der ganz wichtigen Tragsäulen.

Karkowsky: Man hat durch die ZDF-Satire "Lerchenberg" mit Sascha Hehn seit Langem mal wieder vom "Kleinen Fernsehspiel" gehört in dem Sinne, dass es Schlagzeilen machte auch unter diesem Label. Das lief dann ja leider erst mal testweise nur auf ZDF-Neo. Glauben Sie, dass das Label dem Zuschauer tatsächlich noch etwas sagt, oder ist das vor allen Dingen etwas für Regisseure wie Sie?

Veiel: Ich glaube, dass es darüber hinaus schon eine Wirkung hat. Also, wenn man sich anguckt, welche wesentlichen Filme da auch in den letzten Jahren produziert wurden, also wie viele Wettbewerbsfilme zum Teil mit Geldern vom "Kleinen Fernsehspiel", wie viele Beiträge im Forum, im Panorama jetzt allein auf der Berlinale fertiggestellt wurden, dann ist es vielleicht eine Frage der Öffentlichkeitsarbeit, dass die Verdienste anders oder besser herausgestellt werden sollten, dass es eben flächenwirkender ankommt.

Aber ich glaube, die Wirkung ist ja jetzt nicht nur eine subjektive, dass eine Hand voll Filmemacher interessante Filme machen, sondern auch für den Zuschauer, dass es diese Filme überhaupt gibt. Das sind ja Juwelen. Die sind ja in sich, in ihrer Machart immer einzigartig. Und wenn das ausstirbt, wenn wir nur noch Konfektionsware kriegen, dann geht auch ein Bestandteil von Filmkultur verloren, und das wäre bitter.

Karkowsky: 50 Jahre "Das kleine Fernsehspiel" beim ZDF. Danke an Regisseur Andres Veiel, der sich mit uns darüber seine Gedanken gemacht hat. Wer jetzt mehr wissen möchte über die Reihe "Das kleine Fernsehspiel": In Berlin startet heute die Deutsche Kinemathek – Museum für Film und Fernsehen im Kino "Arsenal" eine Reihe mit großen Erfolgen des "Kleinen Fernsehspiels", und parallel dazu wiederholt das ZDF im Anschluss einige Folgen im Doppelpack, also gleich zwei hintereinander am späten Abend, heute geht es los. Noch in der ZDF-Mediathek abrufbar ist außerdem der Film "Polnische Ostern" mit Henry Hübchen und die Satire "Das Lachen ist nur aufgemalt - ein Tag im Leben eines Mainzelmännchens". Auch das stammt aus der Redaktion "Das kleine Fernsehspiel".


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