Einser-Jurist und Kneipier

Von Eva Mayer-Wolk · 08.11.2005
Die "Sonderbar" in Heidelberg ist eine der schrägsten Kneipen der Republik, und das seit 30 Jahren. Deren Chef ist Michael Markert. Er gilt inzwischen als Heidelberger Urgestein, obwohl er aus Hamburg stammt. Eigentlich hätte den Einser-Juristen eine steile Karriere im Rechtswesen erwarten sollen, doch dann ist er lieber Kneipier geworden.
Donnerstagabend, gegen 21 Uhr. In der "Sonderbar" in Heidelberg ist noch nicht allzu viel los. Antonio, Marek und Jakob, die seit zwei bis vier Jahren hier arbeiten, haben Zeit, ein bisschen zu plaudern. Über den Chef.

Antonio: " Der Michael ist ein ganz, ganz großer, blonder Hamburger - also Betonung auf Hamburger…"

Marek: "… sehr direkt, kann manchmal sehr verletzend sein, aber hat auch 'ne ziemlich soziale Ader Leuten gegenüber. Ist 'n ehrlicher Kerl. "

Jakob: " Also 's gibt viele, die halt kurz reinkommen - also nicht viele, einige! Also, die neu sind und kommen rein, und der Michel drückt denen halt 'nen Spruch rein - und dann geh'n sie wieder raus."

Hört sich ja schräg an. Was ist das bloß für ein Kerl? Macht vor über 30 Jahren ein Einser-Jura-Examen, um dann in der berüchtigten Heidelberger Unteren Straße eine Kneipe aufzumachen - d i e Szene-Kneipe bis heute! Fragen wir ihn selber.

Michael: " Das war ein Witz; ich hab' Geschichte studiert und hab' zwischendurch Jura eigentlich nur nebenbei gemacht. Und zum Examen war ich topfit. Und dann kam mir so die Idee: Wenn man jung ist, soll man reisen, arbeiten kann man, wenn man älter ist. "

Der Vater hatte Michael zum Jura-Studium geraten. Der wollte dann zwar lieber Historiker werden, für die geplante Doktorarbeit über Römisches Recht konnte er das zusätzliche Studium aber gut brauchen. Und weil er so leicht lernte, schloss er Jura mit Eins ab. Der Doktorarbeit kam dann aber die Studentenbewegung dazwischen, und einem ernsthaften Beruf die Reiselust - nach dem Examen trieb sich Michael erstmal in Indien, Burma, Thailand, Kambodscha und Indonesien herum. Das kostete Zeit.

Michael: " …und dann kam ich irgendwann zurück und stellte fest: Für 'nen anständigen Beruf bist du zu alt. Und dann hab' ich gedacht, och Gott, machste Kneipe, liegt dir ja. Und dann waren wir die Szene-Kneipe. Die Untere Straße war damals d i e Drogenstraße. Und dann beschloss der Oberbürgermeister: Die Kneipe wird geschlossen. Dann haben wir, glaube ich, sechs, sieben Jahre prozessiert. Und dann ham se mich zum Schluss gefragt - daher kommt der Name "Sonderbar": "Wie wollen Sie sie nennen?" Eigentlich wollte ich sie wieder "Pinte" nennen. - Bitte tun Sie uns e i n e n Gefallen: Wir haben schon so viel Ärger mit dem OB - nennen Sie's anders! Seitdem heißt sie halt "Sonderbar". Unter den Fachleuten heißt sie immer noch Pinte."

Kinder hat der 68er mit der langen, grauen Matte und der schlaksigen Gestalt nicht. Null Bock auf diese Art Verantwortung - lieber das eigene Leben frei gestalten, sagt er. Seine Mutter war früh gestorben, und mehrere Stiefmütter haben ihm dann den Familiensinn endgültig ausgetrieben. Dabei ist er als Chef der Sonderbar alias Pinte und seit 1991 auch des Restaurants "Reichskrone" schon so was wie ein Big Daddy für seine Mitarbeiter: hart, aber herzlich - wie Marek, Antonio und Jakob bestätigen.

Marek: " Ja, also ich denk mal, wer in Hamburg auf der Reeperbahn aufgewachsen ist, der hat schon einiges hinter sich. War ja wohl auch mal Amateurboxer, so wie ich das mitgekriegt hab', also… Ja, ist halt schon 'n harter Typ irgendwie. Scheut sich auch nicht, mal auszuteilen, wenn's hart auf hart kommt. Aber 's hat nachgelassen. Also ich kenn' den Laden jetzt seit 15, 16, 17 Jahren, und es war… Da ging's schon noch anders zur Sache. Also ich mein', er wird langsam bissl älter - das kann er sich auch ruhig anhören, ist mir egal…"

Jakob: " Choleriker vor dem Herrn, aber nachher ist wieder alles vergessen."

Antonio: " Also, wenn er dich anschreit, darfst du ihn auch anschreien. Und danach ist alles in Ordnung!"

Michael: " Wenn ein richtig dicker Hund passiert - dann grins' ich. Ich kann aber wie so 'n HB-Männchen bei Kleinigkeiten hochgehen. Bei Frauen nennt man das hysterisch, aber Männer sind ja nur launisch."

Antonio: " Er ist wirklich ein ganz toller Chef. Er gibt uns als Mitarbeiter wirklich sehr viel Freiheit. Und nicht nur als Mitarbeiter, auch als Mensch. Er sagt auch, wenn Freunde von euch hierher kommen, lad' sie ruhig ein!"

Michael: " Ich muss mich um meine Leute kümmern, weil die auch dann einspringen, wenn ich sie brauche. In den letzten Tagen sind wieder einige in Urlaub, da springt die Eine ein: "Ich kann fünf Stunden arbeiten", obwohl sie 'n Kreuzbandriss hat, "fünf Stunden halt' ich aus". Und da muss ich, wenn sie Probleme haben, was brauchen, Geld, sonst was, da muss ich auch für sie da sein. Und dann geb' ich ihnen auch ziemlich viel Verantwortung. Also jeder soll sich als sein eigener kleiner Chef fühlen. Denn das nimmt mir nur Arbeit ab. Und macht den Leuten einfach mehr Spaß."

Jakob: " Er macht halt seinen Job gut. Er führt die Kneipe jetzt seit fast 30 Jahren, und ich mein', das muss man ja erstmal fertig bringen. "

Da ist was dran. - Und Marek stimmt der Reporterin zu: Für diese lange Strecke, diesen harten Job, diverse Flaschen Whisky über die Jahre und das Baujahr 1942 sieht Michael auch noch ziemlich ordentlich aus.

Marek: " Er hat sich für sein Alter erschreckend gut gehalten, ja, das ist wohl wahr. In der Tat. Also für jemand, der seit 30 Jahren hinterm Tresen steht, muss ich ehrlich sagen: Hut ab. Ich mein', er sieht anders aus, wenn du ihn bei Tageslicht siehst, dann… "

Reporterin: (lacht) "Aber nachts kann man ihn noch herzeigen?"

Marek: " Auf alle Fälle!"