Einsamkeit als rauschhafter Zustand

21.06.2013
Der Band "Märkischer Juni" verbindet die kontemplativen Gedichte von Eva Strittmatter mit farbsatten Aquarellen des Künstlers Hans-Jürgen Gaudeck. In intensiven Momentaufnahmen geht die 2011 verstorbene Strittmatter, die zu den meistgelesenen deutschen Lyrikerinnen zählt, dem Kreislauf der Natur und den letzten Dingen auf den Grund.
Eva Strittmatter (1930-2011) wurde 1972 mit der Gedichtsammlung "Ich mach ein Lied aus Stille" bekannt. Ihr umfangreiches lyrisches Werk erreichte in der DDR Rekordauflagen und noch heute zählt sie zu den am meisten gelesenen deutschsprachigen Lyrikerinnen.

Nun lädt das Buch "Märkischer Juni" zu einem ereignisreichen Dialog ein, der sich zwischen 41 Gedichten Eva Strittmatters und Aquarellen des Berliner Künstlers Hans-Jürgen Gaudeck entwickelt. Während von den Versen eine große Ruhe und Konzentration ausgeht, schlagen die zart-transparenten, dann wieder farbsatt-präsenten Aquarelle wechselnde Tonlagen an.
Frei von jeder Ambition lehrt Strittmatters Poesie eine nahezu kontemplative Haltung. Sie führt auf den Grund der Dinge, um das, was gemeinhin als unsichtbar gilt, erkennbar zu machen. "Ihr habt das Schweigen nicht gesehn/ Hinter den Hügelsenken/ In diesem Schweigen muss man stehn. (Nur stehen. Und nicht denken.)", heißt es im Gedicht "Schweigen".

Immer wieder bestimmt eine tiefe Stille die verhalten klingenden Momentaufnahmen, in denen den Zyklen im Naturkreislauf nachgelauscht wird. Der Vorgang des Dichtens wird als sensible Einübung in eine intensive Wahrnehmung verstanden, die sich jenseits von eiliger Geschäftigkeit und Effektivität vollzieht. Einsamkeit wird als ein rauschhafter Zustand erfahren.

Zeit – ein verloren geglaubtes Gut - ist im Augenblick der Lektüre wieder verfügbar. Zu unruhigen Bewegungen kommt es nur dann, wenn das sprachliche Material nicht ausreicht, um auszudrücken wie "septemberlich" die Sonne scheint oder wie "frühlinglich" das Wasser rauscht. Dann wieder strotzt eine süße Kraft aus den Versen ("Grüner Juni"), herrscht "tropische Stimmung im märkischen Garten", in dem "Regendünste" die Luft andicken und der Holunderduft sämig schwer und narkotisierend wirkt. Sie bilden einen bizarren Kontrast zu einem Gedicht wie "März", wo jedes Lebewesen vom Frost "geschliffen" und jeder Winter als "Unrecht" erfahren wird.

Obwohl die Gedichte und Aquarelle jeweils ihr eigenes Tempo und einen spezifischen Zugriff auf eben diese inneren Vorgänge entwickeln, ergeben sich aus dem visuellen Wechselspiel von Textur und Maltechnik reizvolle Dissonanzen wie zaghafte Berührungen. Das "Lebensblau" im Gedicht "Blauer Tag", das Strittmatter auch als ein "Blau aus allen Ewigkeiten" beschreibt, versteht man angesichts des benachbarten Aquarells plötzlich besser. Gaudeck ist es gelungen, eine geradezu metaphysische Mischung aus Licht und Dunkel zu schaffen. Oder die sanfte Kargheit eines Farbstrichs fesselt den Blick dort, wo im Gedicht vom schleichenden "Farbtod" die Rede ist und ein "mürber Geruch" die Nebelschwaden ankündigt.

Bei der nächsten Fahrt ins Brandenburgische sollte der "Märkische Juni" auf jeden Fall im Reisegepäck sein.


Besprochen von Carola Wiemers

Eva Strittmatter, Lyrikerin
Eva Strittmatter© picture-alliance / Berliner Zeitung

Eva Strittmatter:
"Märkischer Juni, Gedichte, Mit Aquarellen von Hans-Jürgen Gaudeck"
,
Steffen Verlag, Berlin 2013,
91 Seiten, 14,95 Euro