Einkommen und Moral

Wer freiwillig arbeitet, arbeitet besser

Enno Schmidt und Daniel Häni, Gründer der Volksinitiative "Bedingungslosen Grundeinkommens" mit dem Tesla Werbemobil, und Deutsche Aktivistinnen- und Aktivisten zur Einführung der direkten Demokratie in Deutschland mit ihrem Omnibus, beim Fototermin vor dem Bundeshaus auf dem Bundesplatz in Bern, am 12.05.2016.
Trotz goldenen Werbemobils: Die Schweizer Volksinitiative "Bedingungsloses Grundeinkommen" fand bei der Abstimmung im Juni 2016 keine Mehrheit. © picture alliance / dpa / Lukas Lehmann
Von Philip Kovce · 20.02.2017
So wie die Menschen im Mittelalter Geiseln der Kirche waren, sind wir heute Geiseln der Arbeit, kritisiert der Ökonom und Philosoph Philip Kovce. Er plädiert dafür, die Arbeit vom Zwang zu befreien – auch mithilfe eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Als Martin Luther vor 500 Jahren 95 Thesen gegen den Ablasshandel an die Wittenberger Kirchentür schlug, war es üblich, sich mittels Geld von moralischer Schuld freizukaufen. Die Ökonomie des Ablasshandels sah vor, dass man Ablassbriefe erwerben und damit Zertifikate für moralisches Fehlverhalten sein Eigen nennen konnte.
Man kaufte sich damit ein Recht darauf, zu sündigen – wobei man gerade dadurch, dass man für dieses Recht bezahlte, die Sündhaftigkeit der Tat außer Kraft setzte. Man sühnte eine kommende Untat mittels vorheriger Geldbuße. Ein äußerst lukratives Geschäftsmodell. Damals.

Teufelspakt zwischen Geld und Moral

Die Zeiten haben sich längst geändert. Doch der Teufelspakt zwischen Geld und Moral, den schon Luther aufkündigen wollte, er besteht unter umgekehrten Vorzeichen noch heute. Tauschten wir früher Geld gegen Moral, so tauschen wir heute Moral gegen Geld. Gaben wir früher an der Kirchentür Geld ab, um moralische Schulden abzuwenden, so geben wir heute an der Bürotür Moral ab, um finanzielle Schulden abzuwenden. Waren wir früher Geiseln der Kirche, so sind wir heute Geiseln der Arbeit.

Einkommen trotz moralischer Bedenken

Wir sind inzwischen auf ein Einkommen ebenso unausweichlich angewiesen wie das Mittelalter auf die Erlösung – und deshalb sind wir längst bereit, für ein Einkommen sämtliche moralische Bedenken zu opfern.
Wer dieser Tage daran denkt, was Luthers Thesen schließlich bewirkten, der erkennt darin eine Selbstbestimmungsinitiative. Luther wehrte sich dagegen, dass die Kirche dem Einzelnen den unmittelbaren Zugang zu Gott versperrte, nicht zuletzt dadurch, dass sie ihm die Heilige Schrift vorenthielt.

Gewissensfreiheit statt Ablasshandel

Die Luther-Bibel, die er gemeinsam mit dem genialischen Verleger Gutenberg unters Volk brachte, ermöglichte dem Einzelnen eine ungeahnte Glaubensautonomie. Sie zerschlug das klerikale Kartell. Die Gewissensfreiheit wurde geboren. Und das Geschäftsmodell des Ablasshandels brach zusammen. Wer Gottes Gnade erfahren konnte, ohne dafür zahlen zu müssen, der verzichtete gern auf die Zahlung.
Und wie sieht es heute aus? Heute findet der Ablasshandel in Sachen Arbeit statt. Wer heute eine Selbstbestimmungsinitiative ergreifen will, der muss nicht beim Glauben, sondern beim Arbeiten ansetzen. Arbeit ist nicht bloß Erwerbsarbeit. Arbeit ist nicht bloß das, was bezahlt wird. Arbeit ist Tätigkeit – alles das, was ich selbst verantworte. Arbeit ist das Menschlichste der Welt, wenn ich darüber selbst bestimmen und nicht dazu gezwungen werden kann.

Die Arbeit vom Zwang befreien

Wer Arbeit vom Zwang befreien will, der muss dafür sorgen, dass Freiheit die Bedingung der Arbeit ist. Freiheit als Bedingung der Arbeit sorgt dafür, dass Arbeit selbstbestimmte Tätigkeit ist. Selbstbestimmte Tätigkeit hat ihren Preis: Freiwilligkeit. Freiwilligkeit ist das neue Gütesiegel der Arbeit. Wer freiwillig arbeitet, arbeitet besser. All die unberechenbaren Tätigkeiten, die Maschinen auch künftig nicht übernehmen können, lassen sich nur freiwillig ergreifen.
Freiwilligkeit lässt sich nicht kaufen, sondern nur ermöglichen. Das ermöglicht beispielsweise ein bedingungsloses Grundeinkommen, indem es jeden Einzelnen fragt, was er eigentlich tun und wie er tätig sein will.
Wenn wir uns fragen, was wir eigentlich tun und wie wir tätig sein wollen, dann können wir uns von falschen Abhängigkeiten befreien und freie Verbindlichkeiten eingehen. Wir sind dann weder darauf angewiesen, dass andere uns fremdbestimmen, noch darauf, dass wir selbst andere fremdbestimmen. Wir können uns dann auf Augenhöhe begegnen und selbstbestimmt zusammenarbeiten. Diese neue Arbeitsautonomie, die den modernen Ablasshandel aufkündigt, ist die Grundlage einer freien Gesellschaft.

Philip Kovce, 1986 geboren, ist Ökonom und Philosoph. Er forscht am Basler Philosophicum sowie an der Wittener Seniorprofessur für Wirtschaft und Philosophie. Außerdem gehört er dem Think Tank 30 des Club of Rome sowie dem Forschungsnetzwerk Neopolis an. Zahlreiche Veröffentlichungen, darunter: Was würdest du arbeiten, wenn für dein Einkommen gesorgt wäre? Manifest zum Grundeinkommen (mit Daniel Häni, Ecowin 2017)

Philip Kovce - 1986 in Göttingen geboren, lebt als freier Autor in Berlin. Er ist Mitbegründer des Basler Philosophicums, Mitarbeiter des Lehrstuhls für Volkswirtschaftslehre und Philosophie an der Universität Witten/Herdecke sowie Mitglied des Think Tank 30 des Club of Rome. Veröffentlichungen (Auswahl): Der freie Fall des Menschen ist der Einzelfall. Aphorismen (Futurum Verlag); An die Freude. Friedrich Schiller in Briefen und Dichtungen (hrsg., AQUINarte Kunst- und Literaturpresse); Die Aufgabe der Bildung. Aussichten der Universität (hrsg. mit Birger P. Priddat, Metropolis Verlag).
© Ralph Boes
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