"Einführung in die griechische Seele"

Fillipos Tsitos im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 18.07.2010
"Genau so haben sich die Griechen in die Krise gewirtschaftet", sagt Fillipos Tsitos über Stavros, den Helden in seinem Film "Kleine Wunder in Athen" - einen faulen Kioskbesitzer, der mit seinen Freunden den Tag vertrödelt und plötzliche in eine Sinnkrise gerät.
Liane von Billerbeck: Und der Regisseur des Films, Fillipos Tsitos, ist jetzt bei uns zu Gast. Herzlich willkommen!

Fillipos Tsitos: Hallo und danke!

von Billerbeck: "Kleine Wunder in Athen", dieser Titel, der passt ja eigentlich auf all das, was man aus Griechenland derzeit so hört, obwohl man da ja annehmen müsste: Die brauchen eher ein großes statt ein kleines Wunder. Sie waren gerade in Griechenland, wie haben Sie Ihr Land erlebt?

Tsitos: So erfreulich ist das Ganze da nicht gerade, also, Kollegen von mir erzählten zuletzt, dass Produktionsfirmen, Werbeproduktionsfirmen dichtgemacht haben und Leute warten auf Geld, die sie nie sehen werden. Der Taxifahrer hat mir erzählt, dass Tankstellen dichtmachen, also, so leicht ist es nicht und angenehm, also, das sieht man an den Menschen.

von Billerbeck: Wenn Sie jetzt nach Ihrem Film gefragt werden, spielt dann die Krise immer eine Rolle, also, haben Sie quasi - ohne es vorab zu wissen - den Spielfilm zur Krise gemacht?

Tsitos: Jein, also, ich habe versucht, eine gewisse griechische Seele zu skizzieren, wie ein Mann von einem bestimmten Milieu in Athen tickt. Das habe ich versucht. Und da es auch Freunde von ihm da gibt, dann haben wir so ein Ensemble zu skizzieren, um zu zeigen, wie sie ticken, und das passt irgendwie. Ich habe es nicht vorausgesehen. Obwohl, ich muss sagen, dass die … jeder zweite Grieche sagte irgendwann, früher: So wie es geht, wir werden es schwer haben.

von Billerbeck: Oder könnte man positiv sagen, Ihr Film ist eine Einführung in die griechische Ökonomie, als Komödie?

Tsitos: Eine Einführung in die griechische Seele auf jeden Fall, beziehungsweise Ökonomie.

von Billerbeck: Sie beschreiben ja, Sie haben das eben auch schon gesagt, einen Kioskbesitzer, Stavros, einen, der eigentlich nichts weiter tut, als gemeinsam mit seinen Freunden der Zeit dabei zuzusehen, wie sie vergeht, während gegenüber emsige Chinesen heftig arbeiten. Da werden doch schlicht alle Vorurteile bedient, die diejenigen haben, die sagen: Ja, genau so haben sich die Griechen in die Krise gewirtschaftet.

Tsitos: Ja, das werden die Leute wahrscheinlich sagen und da habe ich es schwer, weil … ja, zum Beispiel jetzt gebe ich ein Interview, aber ich kann nicht einfach in so einer kurzer Zeit differenzieren und wirklich die Wahrheit Nummer eins von der Wahrheit Nummer zwei unterscheiden. Was ich sagen kann, ist vielleicht, dass die bestimmten Leute, die ich Ihnen zeige, die sind zwar Parasiten, die leben aber nicht wirklich auf Kosten von jemand anderes. Die haben ein sehr, sehr eingegrenztes Leben, sie bekommen keine Hilfe von nirgendwo, sie wollen auch keine Hilfe, weil das einzige, was sie wollen, ist, einfach da rumsitzen und Bier trinken und philosophieren, so wie sie Philosophie verstehen. Es gibt natürlich andere Griechen, die auch (…) wurden und so weiter und so fort, aber die Leute, die in meinem Film sind, sind nicht diese.

von Billerbeck: Der Held Ihres Films, Stavros, der hockt da zwar mit seinen Freunden vor seinem Kiosk und macht eigentlich nichts und man könnte glauben, ja, der lebt eben so, Sie haben es ja gesagt, der lebt nicht auf Kosten von irgendjemandem, der ruht in sich, der will eben so leben. Aber so ganz ist es nicht, er wirkt dann doch ein bisschen unruhig. Was fehlt ihm denn?

Tsitos: Das Problem der Griechen ist, wie sie sich definieren können als Menschen. Also, man wächst in Griechenland mit der Riesenlast der Antiken. Das kommt von der Schule, von der Gesellschaft, vom Ausland, von den Touristen, von jedem, den man trifft in der Welt, kommt diese Last auf griechische Rücken, also: Du stammst daher - was mehr oder weniger nicht stimmt. Also, man lebt dort und man spricht eine ähnliche Sprache, aber mehr gemein haben wir nicht, das sind vollkommen andere Zeiten. Und es ist unglaublich schwer, damit umzugehen. Man muss irgendwie im Leben sich selbst definieren und wenn man auf der Hand sowas Tolles hat, ist es nicht so einfach, einfach wegzugucken und sagen, okay, jetzt fange ich von null oder von der letzten hundert Jahre und nicht von den letzten 250 Jahren. Und das ist das Problem von dem Helden, das tiefe Problem von dem Helden.

Als Grieche … Es gibt Leute, die meinen, die sind vollkommen, weil sie einfach Griechen sind und da herkommen, wo sie herkommen und da leben, wo sie leben. Und es reicht auch, das ist eigentlich das Problem. Deswegen wussten auch die meisten Griechen nicht was anzufangen mit den Ausländern, die plötzlich Anfang der 90er angefangen haben zu arbeiten, also, das war völlig neu, dass Ausländer nach Griechenland kommen, um Arbeit zu suchen. Das war mehr oder weniger absurd. Die Ausländer kamen nach Griechenland, um die Antiken zu gucken oder ins Meer zu gehen oder zu essen, also Tourismus, mehr nicht. Und dass man plötzlich massenweise Ausländer aus Albanien oder aus Russland oder aus Pakistan oder aus Afrika sieht, die ankommen und mit die Jahre da festsitzen und ein Leben bauen, das war erst mal ein Gefühl von Erstaunen. Was ist jetzt los, was passiert jetzt? Was machen die jetzt hier, und so?

von Billerbeck: Haben Sie diesen Rucksack der griechischen Geschichte … tragen Sie den auch mit sich rum?

Tsitos: Ich werde ihn jeden Tag ein bisschen los. Ja, also, das half auch, dass ich sehr schnell weg …, also mit 25, nicht sehr schnell, 25, weg von Griechenland war, und wenn man weg ist, dann kann man das in Ruhe alles beobachten und richtig sehen, was ist und was nicht.

von Billerbeck: Sie leben seit 1991 in Berlin. Sehen Sie als Wahlberliner Ihre Landsleute kritischer oder inzwischen sogar mit einem, in Anführungsstrichen, deutsch gefärbten Blick?

Tsitos: Ja, ich werde beschuldigt von meinen griechischen Freunden, dass ich die Welt …

von Billerbeck: Hier sind Sie der Grieche und da sind Sie der Deutsche?

Tsitos: Ja, das ist typisch für diese Art von Leben. Aber ich nehme es auch nicht so ernst, weil das ist so was von klischeehaft. Man darf sowas nicht ernst nehmen. Nein, ich sehe den Griechen und Griechenland ein bisschen cooler, ein bisschen ruhiger als wenn ich dort bin. Wenn ich dort bin, dann werde ich angenommen vom Leben und man kann nicht so klar sehen. Mir fehlt natürlich Griechenland, wenn ich hier bin, und mir fehlt Berlin, wenn ich in Athen bin, ist klar. Und wenn einem etwas fehlt, dann etwas Gutes. Nur einmal habe ich mich erwischt, mich zu freuen, im Stau in Athen zu sein und hupen - und ich habe mich erwischt, das hat … macht mir Spaß, aber das hat nur zehn Minuten gedauert.

von Billerbeck: Der Mann im Film, der ist ja so um die 50 und das ist ja bekanntermaßen das klassische Alter für eine Krise, eine Midlifecrisis, wie man immer sagt. Und in diese Situation, in dieses Alter, da brechen ja auch bei Stavros Veränderungen ein. Da taucht ein Mann auf, der möglicherweise ein Bruder ist, da soll ein Denkmal für interkulturelle Solidarität ausgerechnet in seiner Straße gebaut werden. Wie reagiert er denn auf diese Veränderungen?

Tsitos: Erst mal wird er von Panik überfüllt, dass er plötzlich nicht mehr Grieche ist möglicherweise, weil ein Bruder kommt aus Albanien, und die Mutter von ihm plötzlich albanisch spricht. Das ist Panik, ich glaube, das erste, was … wenn er kein Grieche ist, was ist er dann? Ein Kioskbesitzer irgendwo? Also, griechisch zu sein ist sehr wichtig für ihn, denkt er. Sich selbst zu sein, das ist das Wichtige und das muss er lernen überhaupt während des Films, und das tut er, glaube ich, auch - ein bisschen, ein bisschen, nicht ganz, aber ein bisschen.

von Billerbeck: Nun ist uns ja … könnte man diese Geschichte, die Sie da erzählen, ja auch bleischwer erzählen. Sie haben sich aber für das schwerste Genre entschieden, nämlich für die Komödie. Warum?

Tsitos: Ich liebe das, ich liebe tragische Komödien und komische Tragödien, das ist meine Art sowieso, wie ich das Leben sehe. Ich kann nicht in einer Situation nur die eine, die traurige Seite oder nur die komische Seite sehen. Auch wenn ich, keine Ahnung, auf einer Beerdigung bin oder so, kann ich auch die komische Seite … muss ich - so bin ich, und so sehe ich das Leben und entsprechend mache ich so die Filme.

von Billerbeck: Der Film wird am kommenden Donnerstag in die Kinos kommen, also mitten im Hochsommer. Das ist normalerweise keine gute Zeit, um einen Film starten zu lassen. Warum machen Sie es dennoch?

Tsitos: Na ja, man hat mehr Chancen, aufzufallen, wenn man in einer niedrigen Saison den Film startet. Wenn der Film gut ist, da gibt es nicht so viele gute in der Nähe und man fällt leichter auf. Mal schauen. Und das ist schon letztes Jahr passiert mit dem anderen griechischen Film, der einen gewissen Erfolg hatte, …, und ich nehme an, dass auch die Leute mehr den Begriff Griechenland in ihrem Gewissen haben. Insofern werden sie sich interessieren für Griechenland…

von Billerbeck: Im Sommer ist Griechenland näher als im Winter?

Tsitos: Nein, in der Krise ist Griechenland näher als überhaupt.

von Billerbeck: Der Regisseur Fillipos Tsitos war bei uns zu Gast, sein Film "Kleine Wunder in Athen" ist vom kommenden Donnerstag an, also ab dem 22. Juli, in den deutschen Kinos zu sehen. Danke Ihnen fürs Kommen!

Tsitos: Ich danke Ihnen!


Filmhomepage: Kleine Wunder in Athen
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