Eine Woche ohne Smartphone

Von Michael Engel · 05.06.2013
Auch ohne Handy geht die Welt nicht unter. Diese erstaunliche Erfahrung haben gerade 35 Schülerinnen und Schüler aus Braunschweig gemacht. Das Jugendamt der Stadt bat die Jugendlichen, ihr Smartphone für eine Woche abzugeben. Ein Experiment.
Schülerin: "Na ja, das ganze Handy ist natürlich ein Super-Gesamtpaket. WhatsApp ist natürlich klar, da schreibe ich mit meinen Freunden. Und sonst ist verstärkt wirklich mehr Musik, Uhr und halt WhatsApp."

"Also durchaus öfter mal zu Hause anrufen. Und sonst einfach mal per WhatsApp den Freunden schreiben, was gerade so ansteht. Ja."

Nahezu zeitgleich leuchten im Klassenzimmer etwa 20 Handy-Bildschirme auf. Nach sieben Tagen freiwilligen Verzichts streicheln die Schülerinnen und Schüler über die glatten Oberflächen ihrer Smartphones. Sie alle haben hautnah erlebt, wie es ist, wenn man nicht mehr über SMS, WhatsApp und Facebook erreichbar ist. Erstaunliche Erfahrung: Auch ohne Smartphone geht die Welt nicht unter ...

Eine entspannte Woche

Schülerin: "Also ich fand das eigentlich sehr entspannt die Woche, muss ich sagen. Ich fand das gar nicht so schlimm. Ich hab’ zwar Kalender und so vermisst, aber ich bin auch gut ohne klar gekommen."

Schüler: "Ach, es war auch gar kein Problem. Also es gibt durchaus andere Möglichkeiten ins Internet zu kommen. Über einen PC und dann mit Skype oder Facebook und daher, es ist kein Problem."

Schülerin: "… weil man nicht immer die ‚Sucht‘ hat – in Anführungsstrichen – draufzuschauen."

Für Sarah Winkens – Medienexpertin beim Jugendamt der Stadt Braunschweig - ist dieses Ergebnis einigermaßen überraschend: Sie hatte anfangs noch vermutet, dass der Leidensdruck in einer Zeit ohne Smartphone viel höher sein würde.

Mehr Freizeit, kein Kommunikationszwang, bessere Laune

Sarah Winkens: "Die Ergebnisse, die ich erzielen wollte, waren, dass die Schülerinnen und Schüler erleben, wie es ist, ohne Handy, ohne Smartphone zu sein. Und all die Gefühle, die sie damit verbunden haben, ob da mehr Freizeit durch fehlenden Kommunikationsdruck ist, genau das zu sensibilisieren und herauszufinden, oh, ich hab’ jetzt plötzlich mehr Freizeit, und gerade das, was mit dem Kommunikationsdruck angesprochen worden ist, dass die gesagt haben: Ich war total froh, dass ich nicht immer gucken musste, ob bei WhatsApp jemand geschrieben hat und ich gleich antworten musste."

Und tatsächlich: Mehr als die Hälfte der Jugendlichen betonten den entspannten Charakter der handylosen Woche. Mehr Freizeit, kein Kommunikationszwang, bessere Laune.

Es gab aber auch gegenteilige Stimmen, die vor allem die schlechte Erreichbarkeit bemängelten. Schwierig wurde es besonders am Wochenende: Einladungen gingen ins Leere, weil die SMS nicht ankam. Eine Schülerin ging zu einer Party, die schon wieder abgesagt war. Mit Smartphone wär’ das nicht passiert. Viele Schülerinnen und Schüler griffen zum Telefon der Eltern oder zum PC, um das Wichtigste per Festnetz zu regeln.

Schüler: "... da war ich dann öfter bei Facebook. Ich muss mich ja noch irgendwie verabreden, also Telefonieren war jetzt nicht so. Ich kannte die ganzen Handy-Nummern gar nicht. Aber meine Mutter möchte halt ganz gerne wissen, wo ich bin und was ich da auch mache. Und dann ist die Kommunikation auch schwieriger ohne Handy. Also eigentlich unmöglich war es dann. Ja, da haben sie sich etwas Sorgen gemacht."

Schülerin: "Meine Mutter will immer, wenn ich nicht nach Hause komme, dass ich ihr dann Bescheid sage. Dann kann ich von mir aus noch zwei Stunden länger in der Stadt bleiben. Aber sie will’s halt wissen. Und das war halt doof. Weil ich wusste, oh Scheiße, weil meine Mutter nicht weiß, dass ich sonst länger weg bin, und dann macht Sie sich halt Sorgen."

Es sind nicht nur die Jugendlichen, die das Smartphone schätzen. Auch Eltern sind froh über das mobile Medium, um den Kontakt zu den Kindern zu halten - wollen wissen, wo sie sind, wann sie nach Hause kommen, ob alles in Ordnung ist. Von einer Mediensucht der Jugendlichen könne keine Rede sein, meint Professorin Tanja Witting von der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaften nach einer Veranstaltung mit den Jugendlichen:

"Ich hab’ hier auf der Ebene der Jugendlichen keinen einzigen gesehen, der gefährdet war. Ich hab’ hier junge Menschen kennen gelernt, die sehr aufgeschlossen waren, aufgeschlossen waren an dem Thema, aufgeschlossen waren bezüglich der Interaktion miteinander, die reflektiert haben, die verschiedene Standpunkte zugelassen haben und mit Argumenten diese Standpunkte beleuchtet haben, und die auch sehr distanziert sich verhalten können gegenüber ihrem Medienkonsum und durchaus sehen, wo wird es grenzwertig, und wo sind die Dinge einfach in Ordnung und tun ihnen gut."

Kommunikationssüchtig sind die Jugendlichen also keineswegs. Dies herauszufinden, war unter anderem auch das Ziel der Studie im "Aktionsjahr Mediensucht" der Stadt Braunschweig. Für die 16-jährigen Schülerinnen und Schüler, die an dem Versuch teilgenommen haben, ist die "Mediensucht" im Grunde kein Thema. Sie brauchen ihr Smartphone einfach nur, um Kontakt zu halten.

Schülerin: "Ja, ich finde das immer so ein bisschen schwierig, wenn man sagt, ist der süchtig, oder brauch’ er einfach nur das so in Kontakt mit anderen Leuten zu stehen. Also ich finde gleich ‚süchtig‘ zu sagen, ich finde, das ist immer schwierig, das auseinanderzuhalten. Ich denke eigentlich nicht, dass in unserer Klasse jemand ist, der wirklich süchtig ist. So wie ich das definiere. Süchtig, denke ich nicht."

Und doch hat sich etwas verändert nach dem Smartphone-Verzicht, und dazu haben auch die Diskussionen in der Klasse beigetragen: Viele denken heute kritisch über die Sinnhaftigkeit der mitunter sehr banalen Botschaften, die am laufenden Meter verschickt wurden und einfach immer nur viel Zeit gekostet haben. Weniger ist manchmal mehr, mehr Zeit zum Reden zum Beispiel. Aber auf ein Smartphone ganz verzichten? Geht gar nicht!

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