Eine Welt aus Worten und Bildern

Von Wolfgang Martin Hamdorf · 05.01.2010
Eigentlich wollte Lucia Puenzo nie Regie führen, sondern schreiben. Nun macht sie beides - und zwar recht erfolgreich. Ihr erster Roman "Das Fischkind" erschien Anfang vergangenen Jahres im Wagenbach Verlag, die Verfilmung kommt in Deutschland derzeit in die Kinos.
Lala flüchtet ins Nachbarland Paraguay, ihr Vater wurde ermordet, ihre Freundin sitzt in Untersuchungshaft. Film und Roman "Das Fischkind" erzählen von der Liebe einer Tochter aus gutem Hause zu dem Hausmädchen indigener Herkunft.

Auch Lucia Puenzo wirkt auf den ersten Blick wie die typische Frau der liberalen argentinischen Oberschicht: Blond und schlank, herzlich, aber dabei auch durchaus distanziert. Sie strahlt Energie und Zielsicherheit aus, wirkt dabei aber durchaus nachdenklich, und immer bereit, schnell in andere, imaginäre Welten einzutauchen.

"Schreiben wollte ich immer. Neben dem Filmstudium habe ich deswegen auch Literatur studiert. Aber ich wollte nie Regie führen. Aber dann habe ich einen Kurzfilm gedreht, ein Jahr vor XXY, meinem ersten Spielfilm – und dann ging alles sehr schnell, in drei Jahren ein Kurzfilm und zwei Spielfilme."

Die 34-Jährige ist keine "selfmade" Regisseurin, sie ist buchstäblich mit dem Film groß geworden: Ihr Vater Luis Puenzo drehte die Innenszenen zu seinem erfolgreichen Film "La Historia Oficial" teilweise im heimischen Wohnzimmer. 1985 erhielt er dafür den Oscar und wurde ein weltweit bekannter Produzent. Er hat auch beide Filme seiner Tochter produziert und Lucias Bruder führte die Kamera.

"Als Schriftstellerin bin ich viel unabhängiger. Der argentinische Film wird dauernd von finanziellen Sachzwängen bestimmt, die Regisseure müssen immer kürzen und streichen: Ganze Szenen, Statisten, Hunde oder andere Tiere fallen dem knappen Etat zum Opfer. Wenn ich einen Roman schreibe, habe ich die absolute Freiheit, keiner kürzt mir etwas weg, weil es zu teuer ist."

Aber Lucia Puenzo musste in ihren Filmen keine Abstriche machen, denn im Gegensatz zu den meisten argentinischen Filmdebüts entstanden ihre ersten Filme als solide internationale Koproduktionen. Der Name des Vaters hat Gewicht in der internationalen Filmwelt, auch wenn die junge Filmemacherin nicht gerne darüber spricht - sie möchte nicht auf die Rolle der Tochter reduziert werden. Trotz der unterschiedlichen Machart sieht sie Gemeinsamkeiten zu den spröden, sparsamen Filmen ihrer Generation:

"Der neue argentinische Film hat die Umgangssprache wieder wichtig gemacht. Es sind nicht mehr die großen pathetischen Worte der Filme früherer Jahre. Das war der Bruch, die Sprache klingt heute wieder echt. Auch wenn dann jeder seinen eigenen Weg gegangen ist."

In ihren vier Romanen und zwei Filmen sucht sie Geheimnisse hinter einer scheinbaren Normalität. Ihr Debüt XXY ist ein brillant inszenierter und psychologisch komplexer Film über ein hermaphroditisches Mädchen, auf der Suche nach seiner sexuellen Identität. Das Motiv für das Drehbuch fand sie in der gleichnamigen Kurzgeschichte ihres Ehemannes, des 56-jährigen argentinischen Schriftstellers Sergio Bizzio.

Lucia Puenzo liebt die Geheimnisse. Fragen nach ihrem Privatleben weicht sie aus. Im Leben, im Film und in der Literatur erzählt sie Inhalte zwischen den Zeilen:

"Mich stört es wirklich sehr, wenn man mir mehr erzählt, als ich wissen will. Das fand ich schon als Kind schrecklich, wenn man mir etwas erzählt hat, bevor ich überhaupt gefragt hatte. Für den Kinozuschauer ist das auch nicht gut. Ich mag keine Filme die dir alles erklären, was du sowieso schon weißt. Viele Leute sagen mir während der Arbeit: 'Das wird doch keiner verstehen!' Aber ich vertraue in den Zuschauer und das er genau das versteht, was er verstehen muss."

Ambivalenz ist ihr Markenzeichen und so zeigt der Film "Das Fischkind" ganz andere Facetten als der Roman: Das Buch ist humorvoll, skurril und überschäumend, der Erzähler ist der Hund des Hauses. Der Film zeichnet dagegen ein düsteres Bild einer korrupten argentinischen Oberschicht in einem "cine noir"-Krimi voller überraschender Wendungen.

"Es hätte mich nicht gereizt, das Gleiche noch einmal zu machen. Dann hätte ich selber nicht die Regie geführt, sondern vielleicht nur das Drehbuch geschrieben. Ein Film und ein Buch sind zwei völlig unterschiedliche Dinge und für mich war es verführerisch, aus dem eigenen Werk etwas völlig anderes zu machen."

Nach dem Film hat sie sich wieder auf das Schreiben gestürzt. "La furia de la langosta" ("Die Wut der Languste") ist ihr vierter Roman. Tiere sind eine Konstante in ihrem Werk, die andere sind ungewöhnliche Charaktere auf der Suche nach der eigenen Identität: In ihrem nächsten Filmprojekt geht es um einen autistischen Jungen, der bei den letzten Walfischen in Patagonien zu sich selbst findet.