"Eine völlige unzureichende Energiepolitik"

Matthias Miersch im Gespräch mit Gabi Wuttke · 18.09.2010
Wenn heute Nachmittag in Berlin gegen das Atomkonzept der Bundesregierung demonstriert wird, ist Matthias Miersch mit von der Partie. Die vier Energiekonzerne würden Kanzlerin und Minister "an der Nase herumführen", klagt der Niedersachse.
Gabi Wuttke: Züge und Busse sind unterwegs nach Berlin, denn heute Nachmittag soll das Regierungsviertel von Atomkraftwerken aus ganz Deutschland umzingelt werden, um gegen verlängerte Laufzeiten zu demonstrieren. Auch Matthias Miersch wird sich einreihen, die Niedersachsen haben ihn in den Bundestag gewählt und er ist zum umweltpolitischen Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion aufgestiegen. Guten Morgen!

Matthias Miersch: Ja, guten Morgen!

Wuttke: Herr Miersch, als in Brokdorf 1986 mehr als 100.000 Menschen demonstrierten, waren Sie 18; haben Sie Ihr Nein zur Atomkraft quasi mit der Muttermilch eingesogen oder hat sich das entwickelt?

Miersch: Also ich war noch nie für Atomkraft, aber dass ich wirklich zum richtigen Demonstrant geworden bin und vor allen Dingen auch die Demokratiefrage damit verbinde, das hat sich nun schon in den letzten 20 Jahren erst entwickelt.

Wuttke: Steht für Sie die Demokratiefrage im Vordergrund oder Ihr Nein zur Atomkraft?

Miersch: Beides, glaube ich. Es ist in diesen Wochen wichtig, einmal eine völlige unzureichende Energiepolitik, die wir daran sehen, dass dieser Konsens, der geschlossen wurde im Jahr 2000, aufgekündigt wird ohne Grund; und zum anderen die Art und Weise, wie wirklich vier Konzerne die Kanzlerin, die Minister an der Nase herumführen beziehungsweise durch die Manege führen, das kann alles nicht die Wahrheit sein.

Wuttke: Da liefern Sie mir ein schönes Stichwort, denn es stellt sich ja die Frage, warum es die SPD in Regierungsverantwortung nicht hingekriegt hat, den Atomausstieg wasserdicht zu machen?

Miersch: Na ja, wasserdicht, das ist so eine Frage. Verträge und auch Gesetze kann man jederzeit ändern, wenn man es will. Wir haben den Gesamt- und den Grundkonsens gesucht 2000, und insofern war das eigentlich mit den Konzernen ja eine beschlossene Sache; und wenn jetzt eine Regierung oder eine Parlamentsmehrheit hingeht und das aufkündigt, dann ist das sehr, sehr schwer wieder rückgängig zu machen. Wir werden das natürlich juristisch angreifen, weil wir deutliche verfassungsrechtliche Probleme sehen. Aber erst mal ist nichts in Stein gemeißelt, das ist in einer Demokratie so.

Wuttke: Aber die Energiebetreiber waren nach den Erfahrungen mit Rot-Grün jetzt schlau genug, einen Vertrag auszuhandeln, von dem sie sich eine längere Stabilität erhoffen.

Miersch: Also die können sie sich nicht erhoffen, das kann man schon gleich mal sagen. Erstens glaube ich wird das rechtlich alles nicht halten, zum anderen, wenn es einen Regierungswechsel gibt – das muss man immer wieder betonen –, haben alle Parteien, die augenblicklich die Opposition stellen, angekündigt, das wieder rückgängig zu machen. Insofern kann von Vertrauensschutz et cetera keine Rede sein. Sie sind die Vertragsbrecher, sie haben das unterschrieben, diese vier Konzerne, und insofern wissen wir, dass auf deren Wort kein Verlass ist.

Wuttke: Gorleben oder nicht Gorleben, das ist derzeit auch eine wichtige Frage. Ab Oktober wird wieder geprüft, ob der Salzstock als Atommüllendlager taugt. Haben Sie Alternativen?

Miersch: Also es ist dringend notwendig, Alternativen zu suchen, denn wir wissen eigentlich spätestens seit der Asse, dass Salz nicht infrage kommt. Und augenblicklich prüft die Europäische Kommission alternative Gesteinsformen, sie wird in den nächsten Monaten dort Empfehlungen abgeben. Dass jetzt auf Gorleben nach dem Motto gesetzt wird "Augen zu und durch", ist eine Katastrophe und ist nicht zu akzeptieren, wird aus meiner Sicht auch scheitern. Dann ist Herr Röttgen aber nicht mehr Umweltminister, sondern bestenfalls Oppositionsführer in NRW.

Wuttke: Was ist denn für Sie als Niedersachse das Wichtigste: die geologische Beschaffenheit, die, wie Sie sagen, von der EU jetzt geprüft wird, oder Hauptsache nicht im eigenen Bundesland?

Miersch: Nein, nach dem Sankt-Florians-Prinzip kann es nicht gehen, aber es geht danach, dass man wirklich gucken muss ... Die erste Frage, die wir uns nach der Asse stellen müssen: Ist zum Beispiel das Kriterium der Rückholbarkeit eins? Das ist bislang nicht im Fokus der Endlagersuche. Und danach muss man dann auswählen, welche Gesteinsformationen überhaupt infrage kommen. Und wir wissen heutzutage, dass die Wissenschaft auf Ton, auf Granit setzt, und da müssen wir überlegen, inwieweit wir in Deutschland geeignete Flächen haben.

Wuttke: Damit Sie als Sozialdemokrat bei Ton und Granit nicht auf Stein beißen, wie sieht es denn aus mit den andern Bundesländern und ihren geologischen Beschaffenheiten, und zwar in den Bundesländern, wo auch der meiste Atommüll anfällt?

Miersch: Ja, das ist ja das Kuriosum, die sind nämlich gerade ... Diese Gesteinsarten kommen natürlich in Süddeutschland vor allen Dingen vor. Und hier ist es nach dem Prinzip, wir können das überall machen, aber Gorleben soll es sein. Das ist eine verlogene Politik, finde ich, und insofern machen wir augenblicklich mit allen Oppositionsparteien Druck, dass man sich nicht vorzeitig auf Gorleben festlegt. Aus meiner Sicht wie gesagt ist Gorleben gescheitert, da kann man aufgrund der Asse-Erfahrungen nicht weitermachen. Es geht auch um Salzrechte, es geht um Wasser, welches oberhalb dieses Salzstockes sich befindet. Also es wäre eigentlich eine fatale Entwicklung, dieses jetzt wieder aufzunehmen, noch dazu, wenn die Bundesregierung Enteignung et cetera plant.

Wuttke: Sie sagen, Gorleben kann es nicht sein, dafür bestehen nicht die Grundbedingungen; die Bundesregierung sagt, Gorleben, die Prüfung ist ergebnisoffen. Man hat, wenn man jetzt mal auf das Regierungsviertel und auf die Regierungsbank schaut, das Gefühl, Ihre Meinung ist jetzt nicht die maßgebliche, vielmehr sind die Messen gelesen.

Miersch: Na ja, also wir haben ja durchaus Gesetze und diese Gesetze werden auch die Regierung irgendwann immer wieder mal einholen. Und deswegen glaube ich geht das nach einem sehr, sehr, sehr strengen Verfahren und das werden die nächsten Jahre ergeben. Ich habe nur den Eindruck, dass diese Regierung überhaupt bis in vier Jahren oder fünf Jahren denkt, da weiß sie, dass sie nicht mehr in der Verantwortung ist, und sie wollen jetzt ...

Wuttke: ... hört, hört! ...

Miersch: ... ja, das glaube ich schon. Ich glaube, dass sie augenblicklich wirklich nach dem Prinzip handeln, Augen zu und durch. Das wird aber Widerstand geben, und deswegen sind die Castortransporte im November wieder eine Gelegenheit zu demonstrieren, und diese Regierung wird sich mehreren Rechtsverfahren vorm Bundesverfassungsgericht ausgesetzt fühlen. Und dann werden wir mal sehen, was am Ende rauskommt. Gorleben glaube ich kann es und darf es nicht sein.

Wuttke: Im Interview der "Ortszeit" von Deutschlandradio Kultur der umweltpolitische Sprecher der SPD Matthias Miersch. Danke schön!

Miersch: Ja, bitte schön!
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