Eine verwegene Hoffnung

    Von Anne Kretzschmar · 19.03.2007
    Lange Jahre bevor die EWG und später die Europäische Gemeinschaft entstand, hatte ein österreichischer Graf eine verwegene Hoffnung: Die Menschen selbst sollten ein geeintes Europa schaffen. Richard Nicolaus Graf Coudenhove-Kalergi ist der Vater der Paneuropa-Bewegung der Bürger.
    Richard Nicolaus Graf Coudenhove-Kalergi war ein österreichischer Adliger, Sohn eines kaiserlich und königlichen Botschafters, Schriftsteller, Philosoph und Politiker. 1923 schrieb er ein Buch. Der Titel: "Pan-Europa".

    Auszug: "Dieses Buch ist bestimmt, eine große politische Bewegung zu wecken, die in allen Völkern Europas schlummert. Ob ein Gedanke Utopie bleibt oder Realität wird, hängt meist von der Zahl und Tatkraft seiner Anhänger ab. Solange an Paneuropa Tausende glauben - ist es Utopie; wenn erst Millionen daran glauben - ist es politisches Programm; sobald hundert Millionen daran glauben - ist es verwirklicht.

    Die Zukunft Paneuropas hängt also davon ab, ob die ersten tausend Anhänger die Glaubens- und Werbekraft besitzen, um Millionen zu überzeugen und die Utopie von gestern in eine Wirklichkeit von morgen zu wandeln. Ich rufe die Jugend Europas auf, dieses Werk zu vollbringen."

    "Paneuropa": So nannte Coudenhove-Kalergi seine Vision von einer europäischen Staatengemeinschaft. Seine Idee: die Vereinigung Europas nach dem Vorbild der Vereinigten Staaten von Amerika - als wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Gegenpol zu den USA, Russland und Asien. Seine Überzeugung war:

    "Europa ist eine Kulturgemeinschaft und eine Schicksalsgemeinschaft. Nur soll es sich als solche erkennen."

    Europa sollte sich eine Identität stiftende Verfassung geben, als Garant für einen dauerhaften Frieden. 1924 gründete der Graf in Wien die Paneuropa-Union - als Nichtregierungsorganisation, die aber bald auch Regierungsmitglieder für sich gewinnen konnte. 1929 warb der französische Außenminister Aristide Briand vor dem Völkerbund in Genf für die föderale Verbindung Europas. Die Vision schien auf die Tagesordnung der Realpolitik zu rücken. Vier Jahre und eine Weltwirtschaftskrise später war die Hoffnung dahin.

    In Hitlerdeutschland wurde die Paneuropa-Union verboten. Coudenhove-Kalergi ging 1938 ins Exil und wurde Geschichtsprofessor in den USA. Seine Paneuropa-Idee gab er nicht auf - denn auf dem alten Kontinent zeigte sich ab 1939 in aller Deutlichkeit, was passiert, wenn Europa uneins bleibt.

    Hitler: "Seit 5.45 Uhr wird zurück geschossen."

    Nie zuvor war Europa derart verwüstet worden wie im Zweiten Weltkrieg. Deshalb knüpfte Coudenhove-Kalergi an seine Paneuropa-Idee wieder an und gründete 1947 die Europäische Parlamentarier-Union. An der deutsch-französischen Grenze rissen europabegeisterte junge Leute symbolträchtig die Grenzpfähle nieder. In Teilen der Nachkriegsjugend herrschte tatsächlich Europabegeisterung - doch die ganz große paneuropäische Bürgerbewegung blieb aus.

    Stattdessen nahm sich die Politik des Themas an und versuchte, die europäische Einigung von oben zu organisieren. Coudenhove-Kalergi unterstützte dies, kritisierte aber die Konzentration auf die Wirtschaft bei der Annäherung der europäischen Staaten. Für ihn fehlte etwas:

    "Was hier geschehen muss, ist das, was in früheren Jahrhunderten in Deutschland geschehen ist: wo die Bayern, die Württemberger, die Preußen sich einmal gesagt habe, wir sind zwar Bayern, Württemberger, Preußen, wir sind zwar Hannoveraner, aber wir sind doch alle auch Deutsche. Das Gleiche muss in Europa geschehen.

    Es ist aber noch nicht geschehen, es gibt noch keinen richtigen europäischen Patriotismus. Es gibt viele Leute, die alle Vorteile der Europäischen Union wollen, aber die keine Opfer bringen wollen. Und so lange das so ist, wird die Sache zusammenbrechen in dem Moment, in dem Opfer gefordert werden."

    Coudenhove-Kalergi hoffte vergebens darauf, dass sich Europa von unten aufbauen ließe. Aber als Visionär eines geeinten Europa hat er geistige Grundlagen für die europäische Entwicklung gelegt.