Eine Trembita und das größte Osterei der Welt

Von Martin Sander · 15.06.2012
Kolomea ist eine Stadt im Westen der Ukraine, die zwischen 1772 und 1918 in österreichischer Hand war - zwischen den Kriegen gehörte sie zu Polen. Heute ist es eine Stadt, die sich um das Kulturerbe der Gegend kümmert – vor allem um das Erbe der Huzulen, eines Bergvolkes.
Michajlo Tafijczuk bläst in die Trembita, eine über drei Meter lange Holztrompete, mit der man einst die wichtigsten Nachrichten verbreitete, vom Tod oder von einer Hochzeit im Huzulenland. Michajlo Tafijczuk, 73 Jahre alt, lebt in Bukovec, einem Dorf hoch oben in den Karpaten, rund eine Stunde Fahrt von Kolomea. Von Beruf ist er Schmied. Doch am liebsten führt er seine Musikinstrumente vor, die er alle selbst hergestellt hat.

Michajlo Tafijczuk: "”Das ist eben so eine Hochzeitsmelodie. Was Sie in der Werkstatt gesehen haben, war das Rohmaterial. Das hier ist die fertige Geige, in Handarbeit ausgehöhlt. Nur oben ist ein Fichtenbrett. Alles andere ist aus einem Stück.""

Bereits als Kind hat Michajlo Tafijczuk den Instrumentenbau entdeckt und die ukrainische Volksmusik. Zur sowjetischen Zeit arbeitete er in einer Kolchose und spielte seine Instrumente bei Hochzeiten und anderen Festen. Auch eine Leier hat er gebaut, in der Ukraine traditionell ein Instrument der Blinden.

Jaroslava Tkatschuk: "”Das ist eine Geschichte, die von den letzten Tagen Christi erzählt. Christus ist vom Kreuz gestiegen und er hat einen Mann mit einem Korb voller Eier getroffen. Um Christus zu helfen, hat der Mann das Kreuz genommen, dabei sind alle Eier herausgepurzelt. Und damals sind angeblich die bemalten Ostereier aufgekommen. Das ist so eine alte huzulische Legende.""

Jaroslava Tkatschuk, die Direktorin des Huzulen-Museums in Kolomea, kümmert sich um die Erinnerung an alte Legenden und die Bewahrung von Volksbräuchen. Kolomea gilt als Tor zum Land der Huzulen, einem Bergvolk, in dem viele Westukrainer das Herz ihrer Nation sehen. Eine der Traditionen, die in anderen Teilen der Ukraine unterging, aber von den Huzulen bis heute gepflegt wird, ist die Bemalung beziehungsweise Beschriftung von Ostereiern.

Jaroslava Tkatschuk: "In einem Dorf konnten bis zu 40 Arten von Ostereiern beschrieben werden. Jedes Ei, jedes Ornament hat seine eigene Bedeutung: für die Ernte, für die Gesundheit, für das Kind, für Versöhnung, für die Schönheit, gegen Gewitterdonner, für das Glück in der Familie."

Jaroslava Tkatschuk steht die Begeisterung ins Gesicht geschrieben, wenn sie erzählt, wie sie und einige Kollegen begannen, Ostereier zu sammeln.

Jaroslava Tkatschuk: "”In der Zeit der Sowjetunion war das beschriebene Osterei verboten, so wie die Religion. Wenn Frauen vor dem Osterfest Eier auf dem Markt verkaufen wollten, kam die Miliz und zerstörte die Eier. Wir sind auf die Dörfer gegangen und fingen an, die Ostereier zu sammeln.

Wir haben die kommunistischen Machthaber überzeugt, dass es bei den Eiern nicht um sakrale Kunst geht und dass es keine Verbindung zur Kirche gibt. Unser größtes Problem war, dass die Eier nicht kaputt gehen.""

Die Ostereiersuche in der Umgebung von Kolomea begann in den 70er-Jahren des 20. Jahrhunderts. Heute verwalten Jaroslava Tkatschuk und ihr Team das wohl einzige Ostereiermuseum der Welt - mit Exponaten aus vielen Ländern, vor allem aber aus der Region von Kolomea. Untergebracht ist die Sammlung seit 2000 in einem 14 Meter hohen Osterei aus Beton.

Vor den Besuchern neben der Kasse arbeitet Ruslana Kozak. Sie übt den seltenen Beruf einer Ostereikonservatorin aus.

Ruslana Kozak: "Wir nehmen ein schweres Gerät, etwa so ein schweres Skalpell, und wenn wir hören, dass etwas platzt, dann teilen wir das Ei in zwei gleiche Teile und entfernen das Eiweiß, das Eigelb und natürlich den durchsichtigen Schleim, der noch drin ist."

Denn die ukrainischen Ostereier werden nicht ausgepustet, sondern mit Inhalt bemalt. Für die Konservierung im Museum werden sie mit einer Masse aus Papier und Klebstoff ausgefüllt. Dann können sie inventarisiert werden.

Jaroslava Tkatschuk: "”Es hat 15 Jahre gedauert, bis wir eine Methode zur Konservierung der Ostereier gefunden hatten. Aber wir haben sie gefunden. Unsere Ostereier kann man nicht zerbrechen. Sie springen wie Tennisbälle.""

Jaroslava Tkatschuk freut sich über die Erfolge ihrer Arbeit. Die Museumsdirektorin ist davon überzeugt, durch die Bewahrung der "Pysanki", der bemalten Ostereier, eine politische Mission erfüllt zu haben.

Jaroslava Tkatschuk: "Als wir das Museum eröffneten, gab es ein großes Echo in der ganzen Ukraine. Das war 1987, wenige Jahre vor dem Zerfall der Sowjetunion. Wir lachen und sagen manchmal: Das kleine Osterei hat vielleicht eine große Rolle gespielt bei der Zerstörung der Sowjetunion, bei der Zerstörung dieses Monsters. Es war ein Anstoß für die Wiedergeburt der Ukraine."

Alle Beiträge der Reihe im Überblick:
Vielvölkergeschichte und Postkommunismus -
Reportagen aus der Westukraine