"Eine Tasse Kaffee am Flughafen ist teurer als ein Emissionszertifikat!"

Matthias Groote im Gespräch mit Nana Brink · 27.09.2013
Deutschland muss sich seiner internationalen Verantwortung beim Klimaschutz stellen, sagt SPD-Europapolitiker Matthias Groote. Berlin sei zu lange ein Bremsklotz bei Verhandlungen über den Emissionshandel gewesen und der Autoindustrie zu stark entgegen kommen.
Nana Brink: Seit den großen Klimakonferenzen wissen wir: Jede Erderwärmung um mehr als zwei Grad ist kaum mehr beherrschbar. Will heißen: Mit jedem Anstieg wächst auch das Risiko für Dürren und Stürme, außerdem steigt der Meeresspiegel und damit die Gefahr von Überschwemmungen. Ein Teufelskreis also. Die 195 Mitgliedsstaaten des Weltklimarates legen heute einen ersten Bericht vor und schon jetzt ist durchgesickert: Die Gefahren der Klimaveränderungen sind keineswegs geringer geworden! Was also muss die Politik tun? Matthias Groote sitzt für die SPD im Energie-, Umwelt- und Industrieausschuss des Europaparlaments und ist jetzt zu mir ins Studio gekommen. Schönen guten Morgen, Herr Groote!

Matthias Groote: Guten Morgen, Frau Brink!

Brink: Das internationale Ziel ist ja, den Temperaturanstieg bis zum Ende dieses Jahrhunderts auf zwei Grad zu beschränken. Wird das überhaupt gelingen?

Groote: Das wird sehr schwer werden, wenn Politik nicht umsteuert, wenn wir nicht neue Ziele definieren und die Fakten, die uns die Wissenschaft liefert, in praktisches politisches Handeln umsetzen.

Brink: Genau darüber wollen wir mal ein bisschen genauer reden, der Weltklimarat hat ja mehrere Szenarien entworfen, nur eines davon hält ja eine Erderwärmung um zwei Grad für möglich. Die Wissenschaftler allerdings geben keine Handlungsempfehlung. Aber was muss denn aus Ihrer Sicht dringend getan werden, wenn Sie das lesen, was da heute veröffentlicht wird?

Groote: Wir müssen den CO2-Ausstoß abbremsen. Und das Tückische beim Klimawandel ist, wenn man heute handelt, spürt man erst in 25 Jahren eine Änderung. Das ist das Trügerische dabei. Das heißt, es sind mehrere Legislaturperioden, man wird nicht am Ende der Legislaturperiode dafür belohnt von den Wählerinnen und Wählern. Aber es ist dringender Handlungsbedarf geboten, weil es ist eine ökologische Herausforderung sonst für die Menschheit, aber auch eine ökonomische Herausforderung: Versicherungspolicen werden steigen, wir haben es in Deutschland gesehen, wir sehen, dass immer mehr Katastrophen …

Brink: Bei den Überschwemmungen ja in diesem Frühjahr.

Groote: … Katastrophen immer dichter aufeinander folgen.

""Deutschland oft der Bremsklotz""

Brink: Nun sitzen Sie ja im Europaparlament. Wie muss ich mir das vorstellen, wie wird das dort diskutiert? Gerade wenn wir jetzt mal die Schablone des Weltklimarates heute noch mal da drauf legen und was die Wissenschaftler sagen?

Groote: Das ist schwierig. Ich bin der Vorsitzende des Umweltausschusses und wir hatten gestern Premiere, eine gemeinsame Sitzung mit dem Industrieausschuss. Die Klimapolitik wird in Europa entschieden, die konkreten Maßnahmen, und wir sind jetzt dran, um Ziele für 2030 zu erarbeiten und zu entwickeln. Und die Bandbreite der Vorschläge von Nichts-Tun – Business as usual – bis hin zu ambitionierten Vorschlägen spreizte gestern weit, weit, weit auseinander!

Brink: Wobei die Deutschen ja eigentlich schon ziemlich weit sind, nicht?

Groote: Die Deutschen sind ziemlich weit, was die Zielsetzung angeht. Aber ich kann nur sagen, in einigen Bereichen – Reparatur des Emissionshandelssystems, Automobilgrenzwerte –, im praktischen Handeln ist Deutschland oft der Bremsklotz!

Brink: Apropos Autoindustrie: Kommt da schon mal ein Anruf von der Autoindustrie bei Ihnen im Büro an und die sagen, hm, geht mal nicht so weit, das hier ist unser Schwerpunkt, unsere Schwerpunktindustrie?

Groote: Natürlich. Es sind Umweltverbände, Autoindustrie, Gewerkschaften, die dort Interessen haben, und in der Mitte liegt irgendwo der Weg. Aber wir müssen mit dem CO2-Ausstoß runter, jeder muss seinen Beitrag dazu leisten, da kann man niemanden ausnehmen. Zur Stunde oder zurzeit verhandelt bei der ICAO, das ist die Internationale Luftfahrtorganisation der UNO, wird darüber verhandelt, dass wir ein globales Abkommen für den Flugverkehr bekommen. Es wird höchste Zeit!

""Eine ökologische Industriepolitik ist der Schlüssel""

Brink: Aber es ist immer noch passiert. Noch mal zurückgekommen auf die Europa-Ebene: Wo sitzen die größten Bremser, oder mal positiv formuliert, welche Staaten treiben das an, wer könnte da an die Spitze der Bewegung gehen?

Groote: 2008 haben wir so ziemlich alle an einem Strang gezogen, indem wir ambitionierte Ziele beschlossen haben für 2020, eine Handlungsoption, wenn andere mitmachen, dass wir 30 Prozent CO2-Reduktion im Vergleichsjahr 1990 herbeiführen. Wir haben aber eine Wirtschaftskrise, muss man zur Kenntnis nehmen, und zurzeit ist das Thema nicht oberste Priorität. Aber es müsste eigentlich oberste Priorität werden, dass wir unsere Wirtschaft aufbauen hin zu effizienteren Produktionsformen, hin zu effizienteren Antrieben für Pkw et cetera pp.

Brink: Also fallen wir eigentlich hinter eine Diskussion zurück, die wir schon mal hatten?

Groote: Ja, die Diskussion ist langsamer geworden, keiner traut sich so richtig an der Stelle. Aber ich glaube, in der Krise sollte man intelligent handeln, eine ökologische Industriepolitik ist der Schlüssel, um Wirtschaftswachstum zu generieren, aber auch unsere Ressourcen, unseren Erdball zu schützen. Wir werden immer mehr auf dieser Erde!

Brink: Das sind tolle immer Absichten. Ich versuche das immer umzusetzen in Politik jetzt von der Europa- auf die deutsche Ebene! Wo sind da Ihre Adressaten?

Groote: Meine Adressaten, zwei, sind wir seit Sonntag los, Herrn Brüderle und Herrn Rösler, die eigentlich alles ausgebremst haben, die Bremsklötze sind weg. Aber egal, wer jetzt regiert, ab demnächst, die werden eine andere Politik machen müssen. Das Klimaschutz-, speziell Emissionshandelssystem, das ist das Kernstück der europäischen Klimapolitik. Eine Tasse Kaffee am Flughafen ist teurer als ein Emissionszertifikat! Das muss anders werden. Das muss eine Lenkungsfunktion haben. Sonst passiert das, was im Vereinigten Königreich passiert ist, besteht die Gefahr, dass die europäische Klima- und Energiepolitik fragmentiert und jeder einzelne Finanzminister sehr kreativ wird und neue Steuern einführt. Das kann nicht die Idee sein.

Brink: Stichwort Emissionshandel: Da haben die Chinesen ja auch schon angefangen, was man nicht gedacht hätte! Hat Sie das überrascht?

Groote: Es hat mich bei der COP-Konferenz, bei der Klimakonferenz in Doha überrascht. Wir hatten den Umweltminister Chinas zu Gast und der hat uns gesagt, wir werden in mehreren Provinzen jetzt anfangen und 2015, 2016, in dem Zeitfenster, wird in ganz China ein Emissionshandelssystem auf den Weg gebracht. Also, wir müssen nicht mehr mit den Fingern rings um uns herum zeigen, sagen, es wird nichts mehr gemacht, sondern es stehen viele in den Startlöchern. Obama hat zwar kein Emissionshandelssystem vorgeschlagen, aber Emissionswerte, Grenzwerte für Kraftwerke und andere Industrieanlagen. Das ist schon ambitioniert.

"Drei Schritte in die Zukunft"

Brink: Wobei die Amerikaner ja in Sachen Klimaschutz nicht gerade sozusagen an vorderster Front unterwegs sind!

Groote: Nein, aber es bewegt sich was in den Vereinigten Staaten, das muss man zur Kenntnis nehmen. Sie haben dort einen andern Ansatz als die Europäer.

Brink: Und wie müssten wir noch mal ganz konkret in Deutschland reagieren, was sind die drei wichtigsten Schritte, zum Schluss von Ihnen formuliert?

Groote: Die drei wichtigsten Schritte: CO2 einsparen, Energie effizient steigern, Ausbau erneuerbarer Energien, sozial verträglich und ökonomisch, weiter vorantreiben.

Brink: Matthias Groote war das, für die SPD im Energie- und Umwelt- und Industrieausschuss des Europaparlaments. Dort hat er den Vorsitz. Schönen Dank, Herr Groote, dass Sie bei uns im Studio waren!

Groote: Vielen Dank!


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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