Eine Schlafwandlerin im Bett des Grafen

03.07.2011
Die Russin Julia Novikova gibt mit der Hauptrolle in Bellinis "Sonnambula" in der Oper Bonn ein grandioses Rollendebüt. Regisseur Roland Schwab hat einen Zugriff gefunden, der die banale Handlung um Liebe und Eifersucht interessanter macht.
Herren mit schwarzen Zylindern beugen sich über das Modell eines Dorfes. Dann schwebt der kreisrunde Tisch in die Höhe. Ein rundes Rohr ragt die ganze Aufführung über von oben in die Szene hinein. Erst gegen Ende von Roland Schwabs Inszenierung von Vincenzo Bellinis Oper "La Sonnambula" fällt der Groschen.

Es ist ein riesiges Mikroskop und gehört Graf Rodolfo, der mit den Einwohnern seines Dorfes Menschenversuche anstellt. Die junge Amina schlafwandelt nicht einfach so. Einer der schwarzen Männer geht mit einer Art Leierkasten vor ihr her und spielt eine unhörbare Melodie. Außerdem experimentiert der Graf mit Grammofonen und Lichtstrahlen, er ist auch ein Kinemato-Graf. Die Dorfgesellschaft reagiert mit Angst und Unverständnis, und die Liebe zwischen Amina und Elviro geht durch diese Versuche kaputt. Denn an ein glückliches Ende glaubt Regisseur Schwab nicht.

Die Opern Vincenzo Bellinis mit ihren langen, lyrischen Arien und überschaubaren Handlungssträngen sind nicht leicht zu inszenieren. Für unseren heutigen Begriff von Musiktheater sind sie einfach nicht geschrieben worden, sondern für Sänger, die der Kunst des Belcanto mächtig sind, die Koloraturen zu erotischen Ereignissen machen, im Pianissimo leuchten und doch kräftige Spitzentöne setzen können. Davon gibt es heute nicht mehr allzu viele. Meistens engagiert man einen Star wie Edita Gruberova, verzichtet auf Regie und macht das Ganze einfach konzertant. Was Geld spart und Opernkulinariker, die vor allem wegen der Stimmen kommen, meist auch mehr befriedigt.

Roland Schwab kriegt das Statische nicht raus aus der "Sonnambula". Zu oft retten sich die Sänger in Klischeegesten. Als die schlafwandelnde Amina im Bett des Grafen gefunden wird, kommt es zu einem kleinen Ausbruch von Gewalt. Doch wie der Chor da die einzige vorhandene Bettgarnitur zerfetzt, wirkt eher knuffig. Da gibt es in Inszenierungen Dietrich Hilsdorfs ganz andere Grade von Gefährlichkeit einer Hetzmeute. Es dauert auch ziemlich lange, bis sich die rätselhafte Bilderwelt des Ausstatterteams (Bühne Frank Fellmann und Kostüme Renée Listerdahl) erschließt. Aber immerhin hat Schwab einen in sich logischen Zugriff gefunden, der die doch etwas banale Handlung um Liebe und Eifersucht etwas interessanter macht.

Doch vor allem überzeugen die Sänger. Julia Novikova, die zuvor in Dortmund und Bonn im Ensemble gesungen hat, startet gerade eine internationale Karriere. Sie gibt als Amina ein grandioses Rollendebüt und zeigt sich als große Zukunftshoffnung des Belcanto. Mit ihrem hellen, geschmeidigen Sopran wirkt sie unaufgesetzt unschuldig, sie kann Klänge aus dem Nichts entstehen und hinreißend schimmern lassen und übertönt im dramatischen Höhepunkt am Ende des zweiten Akts mühelos Chor und Orchester. Fast ebenbürtig singt Emilya Ivanova ihre Nebenbuhlerin Lisa, der es in Schwabs Inszenierung überhaupt nicht um Liebe geht, sondern um Konkurrenz. Sie will den dicksten Hecht selbst heiraten und unterfüttert ihre Arien mit Andeutungen von Schatten. In den Vorstellungen nach der Sommerpause wird Emilya Ivanova die Rolle der Amina übernehmen.

Auch die Männer hinterlassen einen ausgezeichneten Eindruck. Elvino ist eine sehr hohe Tenorrolle, die einen Sänger mit viel Mut erfordert. Im Liebesduett mit Amina muss er noch eine Terz höher als sie und dabei verführerisch geschmeidig bleiben. Das gelingt dem belgischen Tenor Marc Laho ausgezeichnet. Man hört zwar, dass er gelegentlich an seine Grenzen stößt, aber er ist niemals in Absturzgefahr. Martin Tzonev überzeugt mit gewaltigem Bariton als Graf. Nur das sonst so ausgezeichnete Beethoven-Orchester hat bei der Premiere nicht seinen besten Tag erwischt. Einige kleine Schlampereien wären noch zu verzeihen, aber Dirigent Robin Engelen dirigiert zu oft ohne Gespür vom Blatt herunter. Die nicht besonders ausgefeilte Orchesterpartitur Bellinis braucht Delikatesse, kleine Akzente, genaue Spannungsbögen, um Wirkung zu erzielen. Engelen beschränkt sich aufs weitgehend souveräne Begleiten. Doch bei einer Belcanto-Oper sind nun mal die Sänger die Hauptsache. Und da hat die durch absurde Sparvorhaben des Stadtrates – 3,5 Millionen Euro weniger hat der Finanzausschuss vor wenigen Tagen beschlossen – gefährdete Bonner Oper einiges zu bieten.
Oper Bonn, 6. Und 14. Juli.
www.theater.bonn.de

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