Eine Schatzgrube voller Fotos

31.10.2013
Inge Feltrinelli bekam sie alle vor die Linse: Erich Kästner, Pablo Picasso, Greta Garbo und Billy Wilder. Die Fotografin schaffte es außerdem hervorragend, mit ihren Porträts die Atmosphäre der Zeit einzufangen. Die Sammlung aus den 50er- und 60er-Jahren ist daher hinreißend.
Das Bild ging um die Welt: ein alter Mann und das Meer, an seiner Seite eine sehr schöne, fröhliche junge Frau. Mit vereinten Kräften halten die beiden einen riesigen Schwertfisch in die Höhe. Es sind Ernest Hemingway und die Fotoreporterin Inge Feltrinelli, die damals gerade 23 war, noch Inge Schönthal hieß - und zielsicher auf den Selbstauslöser drückte. Das war 1953 auf Kuba.

Nach diesem Coup arbeitete sie für die tonangebende deutsche Modezeitschrift "Constanze", für "Life" und "Paris Match". 1960 heiratete sie den millionenschweren linken Verleger Giangiacomo Feltrinelli, zog nach Mailand und baute mit ihm das größte Verlagshaus Italiens auf, dem sie seit dem mysteriösen Tod ihres Mannes 1972 als "Presidente" bis heute vorsteht.

Das Buch versammelt die Fotografien Inge Feltrinellis aus den 50er- und 60er-Jahren des letzten Jahrhunderts, die seither unbeachtet in einer Kiste lagen, Auszüge aus ihren hand- und maschinegeschriebenen Reportagen sowie viele, teilweise unveröffentlichte Aufnahmen mit ihr selber - eine wahre Schatzgrube.

Denn sie kannte sie alle, die Rang und Namen in Politik und Mediengeschäft hatten, Schauspieler, Regisseure, Schriftsteller und Verleger, und keiner, den sie nicht vor die Linse kriegte. Sie knackte Kaliber wie Picasso, der keinen Pressemenschen an sich heran ließ, Fidel Castro lichtete sie im Schlafanzug ab. Billy Wilder setzte sich für die Reporterin aus Deutschland extra eine preußische Pickelhaube auf. Und in New York fing sie Greta Garbo an einer Ampel auf der Madison-Avenue mit einem Schnappschuss ein.

Viele Aufnahmen verraten das vertraute bis familiäre Verhältnis zwischen der Fotografin und ihrem Objekt. Simone de Beauvoir strahlt in die Kamera, Marc Chagall lächelt wie der alte Rabbi auf seinen Bildern, Allen Ginsberg macht Faxen, Gary Cooper greift unbekümmert zur Flasche und Ernst Rowohlt macht seinen Abwasch.

Inge Feltrinelli fotografierte Momente: Nirgendwo ein Zwang zum Marketing, zur Pose, selbst wenn sich Erich Kästner mit Hund und Katze in Position bringt oder Gregor von Rezzori wie eine Pythia den Feltrinellischen Gartenschlauch um den nackten Oberkörper windet, immer ist ein Schuss Selbstironie im Spiel. Und sie hat es offenbar verstanden, auch größere, brillenbewehrte und pfeiferauchende Männerrunden in Hamburg, in Mailand mit guter Laune anzustecken.

Manchmal macht "La Inge" ganz nebenbei auch große Kunst: im Porträt des "Sonnenfinsternis-Autors Arthur Koestler, dem sie einen nosferatugleichen Schattenriss an der Bücherwand gönnt oder von Erika Mann, die wie eine Dompteuse, streng und elegant das Filmset zu "Königliche Hoheit" im Zaum hält.

Hautnah erlebt man die Atmosphäre der Zeit in den Fotos, aber auch in den pointenreichen Kommentaren Inge Feltrinellis sowie einem quietschfidelen Interview mit ihr am Ende des Buches. Da verschmerzt man quasi mit links, dass genaue Zeitangaben oftmals fehlen und auf Gruppenfotos nicht jede Person auszumachen ist. Was man sich aber nach diesem hinreißend gemachten Fotoband dringend wünscht: die Autobiographie dieser bis heute hellwachen Zeitgenossin, die so wunderbar frech und lebendig erzählen kann.

Besprochen von Edelgard Abenstein

Inge Feltrinelli: Mit Fotos die Welt erobern
Steidl-Verlag, Göttingen 2013
280 Seiten, 38 Euro