Eine Sammlung im Dornröschenschlaf

Von Maximilian Grosser · 06.02.2012
Die Weltzeituhr ist ein Treffpunkt auf dem Berliner Alexanderplatz. Erich John hat sie gestaltet und 1969 aufgestellt. Was DDR-Designer angetrieben hat, könnte die "Sammlung industrielle Formgestaltung" zeigen. Doch sie schlummert seit Jahren in einem Berliner Depot.
An der damaligen Politprominenz der DDR ging die eigentliche Idee der Weltzeituhr vorbei. Erich John hatte Glück, dass seinen Entwurf nur wenige verstanden, dabei war das schon am Modell abzulesen. Denn mit der Uhr holte John die Welt auf den Alexanderplatz.

Erich John: "Hinterlistig kam mir eigentlich der Gedanke, dass die Berliner etwas weiter über die Mauer hinaus schauen sollen."

Das Modell der Weltzeituhr, mit dem John 1968 den Gestaltungswettbewerb auf dem Alexanderplatz gewann, schlummert bisher unentdeckt in einer der Kisten der "Sammlung Industrielle Gestaltung". Die lagert in einem Depot irgendwo unweit der Einflugschneise des Berliner Flughafens Tegel. Dort bahnt sich gerade Johanna Sänger ihren Weg durch 10.000 DDR-Design-Objekte - vorbei an Möbeln, Regalen mit Geschirr, Fernsehern oder Radios.

Oft helfen ihr nur Fotos und Karteikarten weiter, denn noch ist der Großteil der Sammlung nicht erfasst. Angelegt wurde das Archiv 1950. Bis zur politischen Wende 1990 sammelte das "Amt für industrielle Formgestaltung" der DDR so ziemlich alles, was mit ostdeutscher Produktgestaltung zu tun hatte. Johanna Sänger erinnert auch an die Jahre danach.

"Das war ein spezielles Interesse der Sammlung in den 90er-Jahren: Nicht nur die Lebenswelt des Durchschnittsostdeutschen in die Sammlung abzubilden, sondern wie haben sich die Herrschenden eingerichtet. Eben nicht nur mit den Möbeln aus dem Möbelkombinat Zeulenroda, der Durchschnittsspanplatte, sondern mit speziell entworfenen und geschreinerten Tischen, mit besonders ausgeführten Sesseln in Leder und so weiter. Wir haben Möbel aus dem Ministerratsgebäude, aus dem ZK der SED."

Seit 2005 gehört die Sammlung dem "Haus der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland". Die Institution hat das DDR-Designarchiv vom Vorbesitzer übernommen und vor dem Verfall gerettet. Aber im kommenden Jahr soll ein Teil der Sammlung endlich aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden. Dann sollen Teile in einer Dauerausstellung in der Berliner Kulturbrauerei gezeigt werden. Doch wer hier eine Ausstellung zum Thema DDR-Design erwarte, den müsse er schon jetzt enttäuschen, sagt der Berlinkoordinator des Hauses der Geschichte, Mike Lukasch:

"Dazu muss man auch sagen, dass der Auftrag an uns nicht ist, ein Designmuseum zu gestalten, sondern dass es sich hier tatsächlich um Alltagskultur in der SED-Diktatur geht. Eine reine Designausstellung wird es in dem Sinne gar nicht geben können."

Zum Entsetzen vieler aus der DDR stammender Designer sollen die Objekte vor allem im Zusammenhang mit den Schicksalen einzelner Formgestalter präsentiert werden. Ihre Kritik: Dies sei ein viel zu enges Korsett, das der Sammlung überhaupt nicht gerecht werde. Der Kulturpublizist Günter Höhne sieht darin eine vergeudete Chance,
"dass diese Bestände ganz wesentlich sind, um gesellschaftliche, kulturpolitische, soziale, soziologische Prozesse nicht nur im Osten Deutschlands mal aus der Sicht des täglichen Gebrauchsguts zu beleuchten und derer, die sie entworfen und betreut haben. Diese Sammlung ist buchstäblich ohne ihresgleichen. In einer solchen Komplexität Zeitzeugnisse über 40 Jahre der Moderne in einem armen Osten gibt es nicht noch mal."
Höhne ist sich sicher, dass das Bauhaus die Formgestalter der DDR mehr geprägt hat, als die SED-Diktatur. Viele von ihnen hätten in der Bauhauslehre die Grundlage gefunden, um in einer Mangelwirtschaft hochwertiges und zeitloses Design zu entwickeln. Wie Erich John, der nicht nur die Weltzeituhr, sondern auch den Radioklassiker der 50er "Undine II" entwarf. Dass es trotz Mangel an Material und Technologie, trotz Diktatur möglich war, formschöne und zeitlose Produkte zu schaffen ...

Erich John: "Das ist ein Bestandteil dieses Kalküls des DDR-Designs notwendigerweise gewesen. Und hat natürlich zu dieser Art Charme des DDR-Designs geführt, weil eben mit dem geringsten Aufwand, oft mit den unmöglichsten Materialien ein Ergebnis zu erzielen, was brauchbar ist und was auch unter Umständen Patina vertragen kann."

Tatsächlich haben DDR-Designer bis in die heutige Zeit begehrte Designikonen geschaffen. Viele ihrer Produkte fanden sich in westlichen Versandhauskatalogen von Ikea bis Otto, waren Bestandteil auch des westdeutschen Alltags. Die vom Haus der Geschichte geplante Betrachtung des DDR-Designs werde den DDR-Designern sicher nicht gerecht. Das herausgearbeitet wird, warum Design in der DDR so gering geschätzt wurde, dagegen hätte die Gestalterin Rotraud Pohl allerdings nichts einzuwenden:

"Wir waren ja eher die Störenfriede, wir wollten ja was Modernes, Neues in die Wirtschaft bringen und in die Kultur. Wir waren ja eigentlich die Mittler zwischen kulturellem Anspruch, Wirtschaft und der offiziellen Politik. Da waren wir ja im Designprozess in der DDR im Prinzip Mittler und mitunter auch die Geschundenen."
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