Eine runde Geschichte des Rhönrads

Alles dreht sich, alles bewegt sich

Eine junge Teilnehmerin turnt am im Mai 2013 in Mannheim während der Deutschen Meisterschaften im Rhönradturnen eine Übung.
Als Turn- und Sportgerät bleibt das Rhönrad eher eine Randerscheinung. © picture alliance / dpa / Uwe Anspach
Von Eduard Hoffmann · 19.06.2016
1925 ließ sich der Eisenbahner und Schlosser Otto Feick ein zweirädriges "Reifen- Turn- und Sportgerät" patentieren. Seither ist das Rhönrad schon zu einigen Höhen empor gerollt, aber auch durch manche Tiefen getrudelt.
"Das Faszinierende finde ich eigentlich, dass man sich, ja, komplett über Kopf bewegt, durch den Raum bewegt, das ist, ja, sehr viel Gleichgewicht und ja, muss man sehr gut auch mit dem Rad quasi harmonieren und das find‘ ich so toll an dem Sport."
Sarah Metz ist eine von 26 Athletinnen und Athleten, die bei der Rhönrad-WM in Cincinnati für Deutschland am Start sind. Die Team-Weltmeisterin und Titelverteidigerin im Sprung ist mit sieben Jahren erstmals in das bewegliche, doppelreifige Sportgerät gestiegen.
"In den letzten Jahren hab ich eigentlich immer viermal in der Woche trainiert, wie alle anderen hier auch im Training, und dann vor so großen Wettkämpfen haben wir zum Teil noch Lehrgänge irgendwie an Wochenenden gemacht oder so."
Die 22-jährige Studentin hat beim TSV Taunusstein ideale Bedingungen für den akrobatischen Sport, der nicht nur eine solide turnerische Grundausbildung erfordert, sondern auch einen ausgeprägten Gleichgewichtssinn, gute Orientierungsfähigkeit und Koordination, sowie Kraft, Ausdauer und Schnelligkeit.
"Um im Spitzensport erfolgreich zu sein, muss man schon Turner sein, nicht ganz der Kunstturner, man muss aber sehr schnell erkennen, wo bin ich, wo ist das Rad, was passiert mit meinem Körpergewicht, wenn ich so oder so reagiere, wohin muss ich’s verlagern. Und je stärker die Muskulatur und einfach die Haltung ausgebildet ist, desto leichter erlernt man dann auch Sachen."
Katja Homeyer, selber mehrfache Deutsche Meisterin und Weltmeisterin von 1999, trainiert die Taunussteiner Spitzenathleten, als Vereins-, und als Rhönrad-Bundestrainerin. Die ersten Rhönrad-Übungen wurden hier Ende der 60er-Jahre geprobt. Spätestens seit den 80ern gilt Taunusstein als Rhönrad-Hochburg in Deutschland und hat seither jede Menge Welt- und Deutsche Meister hervorgebracht. Der aktuelle deutsche WM-Kader besteht zu über einem Drittel aus Taunussteiner Sportlern.

Reifenturnen seit 90 Jahren

Es gibt drei Wettkampfdisziplinen. Das Geradeausturnen, das auf beiden Reifen in einem 23 mal drei Meter großen Korridor ausgeführt wird. Wobei die hochkarätigen Übungen, die mit Musik noch tänzerischer, noch ästhetischer geworden sind, im hin- und her rollenden Rad geturnt werden.
Das Spiraleturnen geschieht auf einem Reifen. Die Athleten nähern sich im trudelnden Rad dem Boden und kreiseln den Doppelreifen schließlich wieder zurück zum Stand. Beim Sprung muss man sich auf die Spitze des rollenden Rades schwingen, um dann von oben Salti oder andere Sprünge sauber auf eine Matte zu setzen. Seit seiner Erfindung vor gut 90 Jahren hat sich das "Reifenturn- und –sportgerät", wie es in der Patentschrift heißt, kaum verändert:
Es besteht aus zwei beschichteten Stahlreifen, die mit sechs Querstangen zusammengehalten werden. Diese Sprossen dienen, etwa bei einem Spagat im Rad, zum Abstützen oder auch als kleine Reckstangen, für Hüft- oder Knieumschwünge.
Auf den beiden unteren Sprossen, die enger neben einander liegen, sind Holzbretter für die Füße befestigt. Für das Rollen über Kopf und Vorführungen mit frei beweglichen Händen und Armen können die Füße mit Bindungen festgezurrt werden. Die vier Griffe zum Festhalten und Schwung nehmen befinden sich an den beiden oberen Sprossen, und parallel an den beiden Reifen. 60 Zentimeter Platz haben Turnerinnen und Turner im Rad für ihre teils atemberaubende Rhönrad-Akrobatik.
Körpergröße plus 35 Zentimeter, das ist die Faustregel für ein passendes Rhönrad. Gängig sind Räder von einem Meter dreißig bis zwei Meter vierzig. Das Gewicht: 40 bis 60 Kilogramm.
"Wir bauen so im Schnitt im Jahr 170 Rhönräder und das ist eigentlich der Markt für die ganze Welt, ja, also mehr passiert net."

Erfunden von einem Eisenbahner

Seit 1988 fertigt Oswald Zimmermann die ungewöhnlichen Sportgeräte. Seine Werkstatt befindet sich nicht weit entfernt von der Trainingshalle der Taunussteiner Rhönrad-Turner. Um die Räder leichter transportieren zu können, sind heute fast alle Räder geteilt, die meisten vierfach.
"Und wir haben der Beschichtung noch mal n bisschen mehr Gripp gegeben, haben also, in der Auswahl des Kunststoffes haben wir da n bisschen was geändert und, aber sonst sind die eigentlich gleichbleibend, weil es ja ein Wettkampf-Turngerät ist und das muss halt gleichbleibend sein."
Ein Ungeteiltes Rhönrad kostet knapp 900,- Euro, und ein viergeteiltes Rhönrad, wo wir 20 Stunden Arbeit dran haben, 1.500,- Euro. Erfunden hat das vielseitige Sportgerät der Eisenbahner und Schlosser Otto Feick. Er wurde 1890 in der kleinen pfälzischen Gemeinde Reichenbach-Steegen geboren. Im kindlichen Spiel soll die Idee für das Rhönrad entstanden sein.
"1932 hat er geschrieben, auf Anfrage der Presse, dass er bei seinem Großvater in der Schmiede in Reichenbach sich als Kind so zwei Wagenreifen nahm, hat die miteinander verbunden, seine Füße festgebunden und ist einen Abhang hinunter gerollt."
Gerd Häßel lebt in Otto Feicks Geburtsort. Seit er Anfang der 80er-Jahre vom berühmten Sohn der Gemeinde erfahren hat, sammelt er alles, was mit dem Erfinder und mit dem Rhönrad zu tun hat. Zu den zahlreichen wertvollen Fundstücken gehören neben vielen Fotos, Büchern und Plakaten auch Meisterschalen, Pokale und 20 historische Rhönräder.
Otto Feick war ein gewerkschaftlich engagierter Eisenbahner. Während der französischen Besatzung nach dem Ersten Weltkrieg sabotierte er mit Gleichgesinnten Kohlezüge nach Frankreich. Dafür steckten ihn die Franzosen 1920 zwei Jahre ins Gefängnis.
"Und dort soll er sich an dieses Kinderspielzeug erinnert haben und hat es dann 22 in Ludwigshafen am Rhein gebaut."
Auf Anordnung der französischen Besatzungsmacht jedoch musste Feick mit weiteren 5000 Eisenbahnern die Pfalz verlassen. In der bayerischen Rhön, der Heimat seiner Frau, eröffnete der gelernte Schlosser im Dörfchen Schönau an der Brend eine Metallwerkstatt.
"Und dieses Rad hat er dort 25 zum Patent angemeldet als ´Reifen- Turn- und Sportgerät` und erst 1926 hat er’s als Rhönrad patentrechtlich eintragen lassen, heute würde man sagen aus marketingtechnischen Gründen."

Zunächst wenig Interesse in Deutschland

Der weitsichtige Erfinder ließ sich sein Patent gleich in 30 Ländern schützen.
"Otto Feick hat nicht nur das Rhönrad erfunden, er hat es auch gleichzeitig geliebt. Und war Visionär und wollte es weltumspannend eigentlich verbreiten, um zu sagen: treibt Sport, genießt den Sport, aber bleibt dabei Freunde und geht in Frieden miteinander um."
Dr. Jörg Winkler studierte Sport- und Geschichte in Magdeburg. 13 Mal war er DDR-Meister im Rhönradturnen. Der 60-jährige Lehrer und Bewegungstherapeut führt seit Ende der 70er-Jahre ein umfangreiches historisches Archiv.
"Ich möchte, dass die jungen Rhönradturner immer auch mal den Blick zurück machen, um einfach zu sehen, es ist nicht selbstverständlich, was heute in den Hallen steht, es gab Zeiten, da war ganz wenig da und da war das auf einem ganz geringen Niveau, und da hat man noch im Freien geturnt, auf m Holzbrett, auf m Holzpodium."
Bei den damals meist stramm konservativ ausgerichteten Turnvereinen in Deutschland stieß Otto Feick mit seinem ungewöhnlichen Sportgerät zunächst auf verschlossene Türen.
"Nachdem er eine Sportmesse in Leipzig sozusagen als Privatmann besuchte und vor den Toren mit Rhönrädern rollte, fanden sich sehr schnell Interessenten, die ihn einluden nach Frankreich, nach England, und 1927 gab es dann die erste Reise in die USA, und er verbreitete dort sein Rhönrad."
Für die Werbetouren ins Ausland stellte der weltoffene Sozialdemokrat eigens eine Musterriege exzellenter junger Rhönrad-Turnerinnen und -Turner aus Würzburg zusammen, damals das Zentrum des Rhönradturnens. Großes Interesse weckten deren Vorführungen beim Militär, besonders bei den Fliegern. Denn mit dem Rad aus der Rhön konnte der Gleichgewichtssinn sehr gut trainiert und ausgeprägt werden.
So kam der Doppelreifen aus Deutschland nicht nur in den späten 20er-Jahren bei der britischen Royal Air Force zum Einsatz, sondern später auch beim sowjetischen Militär.
"Eines der wichtigsten Dokumente in der Sammlung ist ein Buch aus dem Jahre 1938 in russischer Sprache, welches auf die Verwendung des Rhönrads hinweist, auf Techniken, aber auch auf klare, ja, muskuläre Schulungen für Soldaten. Und die Kuriosität für mich als Historiker ist, dass alle Abbildungen im russischen Buch, dem des ersten Buches aus Deutschland haargenau entsprechen. "
Der "Leitfaden" für das Rhönrad und "seine Verwendung mit Darstellungen in Wort und Bild" war 1927 von Dr. W. Schütz von der Hochschule für Leibesübungen in Berlin-Spandau herausgegeben worden. Die Preußische Lehranstalt hatte das neue Turn- und Sportgerät für die Ausbildung der Studenten übernommen. Im gleichen Jahr schrieb Felix Wolff den Text des Rhönradliedes, die Musik stammte vom später nach Amerika emigrierten jüdischen Komponisten und Verleger Leopold Maaß.*) Eine kleine Hymne auf das Turn- und Sportgerät, das Alt und Jung in Bewegung bringen sollte.
Rhönrad-Lied
Beim Sport man wirklich es erst schön hat,
besitzt zum Üben man ein Rhönrad,
das schnell zu Kraft und Schönheit führt,
und höchstes Lob ihm drum gebührt.

Erstes internationale Rhönrad-Turnier 1930

Im August 1930 fand das erste internationale Rhönrad-Turnier in Bad Kissingen statt, mit Teilnehmern aus Frankreich, England und Russland. Zahlreiche Film- und Presseleute berichteten über Hindernis-, und Staffel-Wettbewerbe, Bergab-Mut-Rollen und das Darstellen von Pyramiden.
Das Rad aus der Rhön fand nun auch in Deutschland größere Verbreitung. Wenig später entdeckten es die Nationalsozialisten für ihre Propagandazwecke. Es kam zu zahlreichen Schau-Auftritten von Rhönradgruppen, bei den NS-Kampfspielen 1934 in Nürnberg etwa, oder beim Volksfest zum dortigen Reichsparteitag 1936. Im Rahmenprogramm zu den Olympischen Spielen 1936 in Berlin zeigten 120 Rhönrad-Turnerinnen und –Turner eindrucksvoll ihr Können. DerSammler Gerd Haeßel weiß aber von Otto Feick:
"Von den Nazis selbst ließ er sich nie vereinnahmen. "
Und Rhönradforscher Jörg Winkler spricht von einem "historischen Zufall".
"Die Nazis kommen an die Macht, das Rhönrad wird immer mehr in der Öffentlichkeit präsent, und dann ist es natürlich, dass man eine Verbindung herstellt, die es eigentlich gar nicht gab."

Der Neuanfang nach dem Krieg war mühsam, außerhalb und innerhalb der Bundesrepublik. Und das nicht nur wegen des Nazi-Images, das dem Rhönrad anhing. Elfriede Jäckel vom SC Siemensstadt, die noch bis ins hohe Alter im Rhönrad turnte, hat den Aufbau nach 1945 in Berlin miterlebt.
"Das ging also schauerlich los, die Räder, die haben wir überall zusammen gesucht, vom Reichsbahn Sportverein aus Schöneweide, von Siemensstadt, der hat sich aus Teichen und aus Wäldern hat der sich die Räder zusammen gesucht, im Volkspark Rehberge, haben die unten im Teich so halb im Wasser gelegen."
Ein Rhönrad 1942
Junge im Rhönrad 1942 im damaligen Bad Hammer am See, heute Hamr na Jezeře in Tschechien. © imago/Arkivi
Die Nachkriegspioniere waren froh, wenn sie irgendwo draußen in den Trümmern einen halbwegs zugänglichen Platz zum Üben fanden.
"War n großer Parkplatz, ja, und da haben wir unseren Trainingsbetrieb abgemacht, zweimal in der Woche im Sommer. Nachher kam dann, hatte der 10er Autobus da Endstation, da musst ich auch noch aufpassen, dass wir nicht mit dem Autobus kollidieren."

Comeback des Rhönrads

Anfangs waren nur in Berlin und Bayern Rhönradturner aktiv, die sich Mitte der 50er-Jahre zu Wettkämpfen trafen. 1958 durften sich die Rhönrad-Turner dann beim Deutschen Turnfest in München präsentieren und 1959 erfolgte die Aufnahme in den Deutschen Turnerbund DTB. Ein Jahr später, im Oktober 1960, fanden in Hannover die ersten Deutschen Meisterschaften statt.
Perspektiven völlig neuer Art eröffneten sich einem Aufgebot unentwegter Rhönrad-Sportler, die durch die Straßen Hannovers rollen, um in der Kuppelhalle ihre ersten Deutschen Meisterschaften auszutragen. Eine mühsame Angelegenheit, erinnert sich Werner Mais, der in Hessen das Turnen mit dem Feickschen Rad vorantrieb und bis 1980 erster Rhönradfachwart im Deutschen Turnerbund war.

"In der Stadthalle musste dann zum Zwecke des Rhönradturnens ein Holzboden aufgelegt werden. Der musste da angefertigt werden, das war also alles ne ziemlich kostspielige Sache. Da waren wir 60 Leute und wir waren im Wesentlichen unter uns."
Es ging nur sehr schleppend voran. Die Rhönrad-Athleten waren jetzt zwar unter dem Dach des DTB organisiert, man begegnete ihnen jedoch mit Gleichgültigkeit. Wirkliche Förderung erfuhren sie nicht. Richtigen Aufschwung erhielt das Rhönrad-Turnen erst in den 80er-Jahren.
"Damals wurde zum ersten Mal durch Paul Sieler Rhönradturnen in Verbindung mit Musik gebracht, der Deutsche Turnerbund hat damals die besten Rhönradturner zusammen gesucht, zum ersten Mal, und damals haben wir eine Choreografie Rhönrad mit Musik erstellt, wir hatten an die 20 besten Rhönradturner, 10 Frauen, 10 Männer, und wir waren in Zürich bei der Weltgymaestrada eine Sensation. Kreativität und körperliche Fitness und Synchronität, man erzielt Effekte und wunderbare Darbietungen, das hat mich damals selber sehr inspiriert."
Wolfgang Bientzle war 14 Jahre alt und auf dem Sprung zu einer unglaublichen Karriere. "Mister Rhönrad", wie der Taunussteiner später genannt wurde, gewann insgesamt über 60 Deutsche Meistertitel, acht Mal wurde er Weltmeister und elf Mal Europameister. Sein großer Erfolg, so erklärt der heute 49-Jährige, sei der allgemeinen Veränderung im Kunstturnen Mitte der 70er-Jahre geschuldet. Als die Sportart dynamischer wurde, weniger Kraft, aber mehr Technik gefragt waren.
"Die Sportart wurde dynamischer, und athletischer in einem anderen Sinne. Es war keine Kraftsportart mehr, es wurde eine dynamische Sportart, wo mehr die Technik gefragt wurde. Und ich kam beim Rhönrad zu dem Zeitpunkt rein, wo dieser Wechsel stattfand. Und durch gute Trainer hier in Taunusstein und meinen Spaß an der Freude – wieso, keine Ahnung, aber ich war auf einmal mit Übungen den anderen überlegen technisch."

Der deutsche Doppelreifen rollt in die Welt

Mit den begeisternden Auftritten bei den großen internationalen Turnfesten, den Gymnaestraden, insbesondere 1982 in Zürich und 1987 im dänischen Herning, begann die Internationalisierung des Rhönradturnens. Es entstanden Kontakte in viele europäische Länder, nach Japan und Israel. Der deutsche Doppelreifen rollte in die Welt. Und Taunusstein, wo damals die besten Trainer arbeiteten und woher die stärksten Athleten kamen, entwickelte sich zu einem kleinen Mekka des Rhönradturnens.
1990 wurden die DDR Rhönrad-Turner in den DTB aufgenommen.
"Wir sind sehr schnell integriert worden, es hat viel Spaß gemacht, wir mussten natürlich wesentlich neue Elemente erlernen, die durch unsere materiellen Voraussetzungen nicht möglich waren, das gab natürlich erstmal einen gewissen Rückschlag, aber die freundschaftliche Herzlichkeit, das turnerische Miteinander, das war da."
Jörg Winkler war 1963 in Magdeburg zur DDR-Rhönrad-Familie gekommen. Die war mit etwa 300 Aktivisten sehr überschaubar. Als öffentlicher Wettkampfsport fand das Rhönrad-Turnen immerhin mediale Beachtung. Eckhard Herrholz, der noch heute regelmäßig auf der Internetplattform GYMmedia über das Rhönradturnen berichtet, erinnert sich an die Zeit als Sportreporter beim DDR-Fernsehen. Anfang der 80er-Jahre berichtete er von einer Rhönrad-Meisterschaft aus Forst in der Lausitz.
"Es war ne kleine Schulturnhalle, kaum Zuschauer, aber diese Beseelten waren zugange, und wir waren auch n bisschen beseelt und verrückt, wir haben nämlich das Parkett aufgesägt, den Kameramann reingesteckt, der Hausmeister kriegte fast Anfälle vor Schreck, und dann haben wir mit der Kamera die über ihn hinwegrollenden Rhönräder gefilmt mit einer ganz besonderen Einstellung für den damaligen Stand der Fernsehtechnik."
In der DDR gehörte das Rhönradturnen zur Sportakrobatik, blieb aber ohne Förderung nur eine Randsportart. Es gab nur wenige Räder, neue konnten nicht gekauft werden. Dennoch fand schon 1956 in Görlitz die erste DDR-Meisterschaft statt. Von 1962 an wurden die Landeswettbewerbe dann regelmäßig durchgeführt, später auch im Kinder- und Jugendbereich. Und 1980 verbesserte sich überraschend auch die Materiallage. In Stendal tauchten hinter einer Turnhalle, tief im Gestrüpp-Dickicht, alte Räder von der ehemaligen Rhönradabteilung der BSG Einheit Stendal auf.
"In einer Aktion haben wir dann sozusagen zehn Rhönräder aus diesem Gestrüpp befreit, haben sie mit Sandstrahlgebläse wieder glatt gemacht, neu gestrichen und noch bis zum Jahr 1990 in verschiedenen Vereinen verwendet."
Die fortschreitende internationale Verbreitung mündete 1995 in der Gründung des Internationalen Rhönrad Verbandes. Im selben Jahr fand die erste Weltmeisterschaft statt. 1999 wurde die WM nach Limburg an der Lahn vergeben. Mit der Organisation waren die Taunussteiner Rhönrad-Experten um Wolfgang Bientzle beauftragt.
"Das war toll, weil, wir haben zum ersten Mal es geschafft in Deutschland für Rhönrad eine Halle fünf Tage lang mit zweieinhalbtausend Zuschauern auszuverkaufen, wo vorher alle gesagt haben, das ist nicht machbar. Wir hatten insgesamt 11.000 Tickets verkauft, und damals kam zum ersten Mal die ganze Rhönrad Community aus Deutschland dahin."

Aufstieg mit der Show Holiday on Ice

Wolfgang Bientzle ist einer der wenigen, die es auch nach der Wettkampf-Karriere schafften, vom Rhönrad zu leben. Sein Spaß am Vorführen, an Musik und Tanz, prädestinierte den versierten Rhönrad-Artisten für die stark nachgefragten Show-Auftritte mit dem ungewöhnlichen deutschen Sportgerät. Der große Aufstieg begann mit einem Engagement bei Holiday on Ice. Dafür musste Rhönradbauer Zimmermann Spikes an die Stahlreifen schrauben. Beim Test auf der Wiesbadener Eisbahn gab es zunächst ziemlichen Ärger.
"Wir hatten nur zu lange Spikes gewählt, und haben die Eisfläche zu sehr ruiniert, und das haben wir dann kürzer gemacht und daraufhin hatten wir, glaub ich, acht Stück gebaut, wo die eine Nummer mit acht Stück hatten. Und die haben über zehn Jahre mit den Rhönrädern geturnt."
Bientzle blieb zwei Jahre, dann rief das Zirkusfestival in Monte Carlo. In Deutschland zeigte man indes kaum Interesse an den Show-Qualitäten des herausragenden Rhönrad-Turners. Die bewunderte man aber umso mehr in Paris, London, Tokio und in den USA. Höhepunkt war das Engagement beim Cirque de Soleil in Las Vegas. Der deutsche Rhönrad-Turner ist fortan ein gefragter und ein gemachter Mann. Er trifft die Queen und sitzt in der bekanntesten Late Night Show bei Letterman auf der Couch.
"Viele Türen öffneten sich, NBA, NHL, Disney war ich davor auch schon drin, ich war hoffähig im Entertainment Bereich. Da steht Celin Dion neben mir und trällert, da steht Diana Ross und trällert, ich komm aus Taunusstein. Hallo!"
Jetzt kommen auch Aufträge aus Deutschland. Bientzle beginnt zu choreografieren, entwickelt und managt ganze Produktionen. Heute gibt er Kurse in Chicago und trainiert das Rhönrad-Team der USA, bestens bezahlt, versteht sich. Mit seinen Studenten leistet der kreative Sportsmann im gesamten nord-, und südamerikanischen Raum Entwicklungshilfe.
"Wir haben Kanada aufgeweckt, wir haben Mexiko aufgeweckt, wir haben Argentinien, Brasilien, Venezuela, Chile, Kolumbien, Nicaragua, das haben wir alles in den letzten acht Jahren hochgeholt."

Crowdfunding, Sponsoren und wenig Medieninteresse

Nach der WM in Chicago 2013 haben er und sein innovatives Team auch die aktuelle Weltmeisterschaft auf dem Gelände der St. Joseph Universität in Cincinnati organisiert. 120 Teilnehmer aus 15 Nationen sind gemeldet.
Die Übermacht der deutschen Rhönrad-Athleten ist geschwunden. Sie haben in den letzten Jahren zu wenig Wert auf Ausdruck und Präsentation gelegt, womit vor allem die Japaner zu punkten wissen. Geblieben ist jedoch die stiefmütterliche Behandlung seitens des Deutschen Turnerbundes.
"Wir sind im DTB halt dadurch, dass wir nicht olympisch sind, eben stehen wir sehr als Randsportart da und kriegen entsprechend wenig Gelder und müssen dann halt viel selber finanzieren oder eigentlich alles selber finanzieren."

Die Bundestrainerin Katja Homeyer arbeitet wie alle deutschen Rhönrad-Offiziellen ehrenamtlich. Und um bei der WM überhaupt antreten zu können, müssen die deutschen Rhönrad-Athleten über Crowdfunding und von Sponsoren Geld für Reise und Unterkunft erbetteln. Auch Titelverteidigerin Sarah Metz.
"Es ist natürlich nicht zu vergleichen mit anderen Sportarten, wo die Weltmeister eigentlich bei jedem bekannt sind. Viele wissen auch gar nichts mit dem Wort Rhönrad anzufangen."
Rhönrad-Weltmeisterin Sarah Metz
Rhönrad-Weltmeisterin Sarah Metz trainiert in einer Turnhalle in Taunusstein bei Wiesbaden (Hessen).© picture alliance/dpa/Foto: Boris Roessler
Die spannende Artistik im "Reifen- Turn- und Sportgerät" bleibt Randsportart. Nur bei Großveranstaltungen wie Welt- oder auch Deutschen Meisterschaften sind die Zuschauerränge meist voll. Das Medieninteresse hält sich sehr in Grenzen.
Vor kurzem haben die deutschen Rhönrad-Verantwortlichen das komplizierte Regelwerk gestutzt und alle Pflichtübungen gestrichen. Das verkürzt die langatmigen Wettkämpfe und macht das Zuschauen insbesondere für Laien attraktiver. Wie auch immer: für Sarah Metz ist und bleibt das Rhönrad-Turnen ein besonderer Sport.
"Das Tolle für mich ist, dass es einfach Spaß macht, ja, und ich es einfach immer genieße und mich freue, ins Training zu gehen, und eben quasi verliebt bin in diese Sportart."
*) Korrektur: In der ursprünglichen Fassung hatten wir Otto Feick als Schöpfer des Rhönradliedes genannt. Wir wurden vom Pianisten der gespielten Aufnahme auf den Fehler aufmerksam gemacht.
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