Eine Puppe gegen Magersucht

14.09.2011
Sveinn stellt wunderschöne Puppen her. Sexpuppen. Eines Tages lernt er Loa kennen, damit beginnt eine seltsame, chaotische Geschichte, die kaum von Sex, aber viel von Einsamkeit handelt. Gudrun Eva Minervudottir, geboren 1976, hat aus einer ausgefallenen Idee einen unterhaltsamen, lebensklugen Roman gemacht.
Der junge Sveinn lebt in der Nähe von Reykjavik und macht wunderschöne Puppen, was mit Storms "Pole Poppenspäler" wenig zu tun hat, eher schon mit Collodis "Pinocchio" (der sogar erwähnt wird). Sveinn macht Sexpuppen, handgefertigt, mit allem Drum und Dran, sie sind heiß begehrt. Er geht in seiner Arbeit auf, mehr als jedes Privatleben verträgt. Er hat keine Freundin und nur einen einzigen Kumpel, Kjartan, den er selten sieht und der im Übrigen auch sein Kunde ist.

Eines Tages lernt er Loa kennen, die mit einem Platten vor seinem Haus liegen geblieben ist. Er bietet ihr an, den Reifen zu wechseln, aber vorher müsse er essen. Na gut, auf ein Glas Wein. Doch die erschöpfte, alleinerziehende Mutter von zwei problematischen Töchtern schläft auf seinem Sofa ein. Als sie nachts das Klo sucht, entdeckt sie Sveinns skurrile Werkstatt, wo nackte, noch kopflose, sonst aber lebensechte Silikonpuppen am Haken hängen. Eine Szenerie wie bei Stephen King. Doch statt in Panik zu geraten und an Psychopathen zu denken, guckt sie sich die Dinger genauer an.

Und stiehlt mit dem Mute der Verzweiflung die schönste der Puppen, die "Schwarzhaarige". Allerdings nicht etwa für die phantasievolle Bereicherung ihres Liebeslebens – sie hat nämlich keins –, sondern für ihre ältere Tochter Margret, die an Magersucht und Weltekel leidet. Die Puppe, nun in einen braven Schlafanzug gekleidet – ihr verführerisches Kleid von "Victorias Secret" hat sich sofort die jüngere Schwester, die hyperaktive Ina, geschnappt –, soll sie wieder an Gesellschaft gewöhnen. Eine überraschende Idee, die aber nur ihrer desperaten Lebenslage entspringt.

"Der Schöpfer" ist eine Liebesgeschichte der besonderen Art. Von Liebe ist eigentlich nirgendwo die Rede, ganz im Gegenteil, zunächst betrachten sich beide als Gegner: Loa befürchtet, er wolle sie anzeigen, was ihr gerade noch gefehlt hätte, Sveinn hält sie für die Person, die ihn seit einiger Zeit mit geschmacklosen und bedrohlichen Anrufen belästigt. Dabei müssen Sveinn und Loa erst einmal ihre Einsamkeit begreifen und wissen, was sie wollen – nicht nur, was sie nicht wollen.

Die Idee ist ausgefallen, die Geschichte turbulent (die Bezeichnung "isländisch" wird langsam zum Markenzeichen und Synonym für witzig-ernste, verrückte, unterhaltsame Literatur), der Stil schnell, aber nicht überdreht, die Form interessant, weil mit jedem Kapitel aus der Sicht des jeweils andern erzählt wird, wobei sich vieles überschneidet, aber eben nie identisch ist, die Charaktere sind (mit all ihren Widersprüchen und Nuancen) durchgestaltet und plastisch. Der Roman wird verfilmt.

Besprochen von Peter Urban-Halle

Gudrun Eva Minervudottir: Der Schöpfer
Roman
Aus dem Isländischen von Tina Flecken
btb, München 2011
304 Seiten, 20 Euro