"Eine Politik, die außerordentlich riskant ist"

Peter Bofinger im Gespräch mit Ulrike Timm · 29.11.2011
Der Ökonom und Wirtschaftsweise Peter Bofinger bewertet die Politik der Bundesregierung in der Euro-Krise als riskantes "Spiel mit dem Feuer". Alle bisherigen Strategien hätten die Lage immer weiter destabilisiert. Es sei gefährlich, "wenn man weder Euro-Bonds noch die EZB als Retter vorschlägt" und stattdessen "einfach darauf hofft, dass das Feuer sich von selber legt."
Ulrike Timm: Bond, James Bond, der Spion im Dienste Ihrer Majestät pflegt alle Widersacher charmant zu erledigen, ist die Wunderwaffe im Verschwörungsdschungel. Jetzt lernen wir andere Bonds kennen. Ob Bonds auch in der Finanzkrise eine Wunderwaffe sind? Das Prinzip klingt nicht so kompliziert: Ein Zins für alle europäischen Staaten, das ist die grundlegende Idee der Eurobonds, die jetzt von vielen als Rettungsanker gepriesen werden. Die Stärkeren zahlen dann ein bisschen drauf, die Schwächeren würden profitieren, Italien, Spanien, Portugal kämen erheblich günstiger an Geld. Und genau das ist auch der Kritikpunkt: Eurobonds erleichtern das Schuldenmachen und motivieren nicht zum Sparen. Deshalb ist die deutsche Bundesregierung und ist insbesondere die Kanzlerin strikt dagegen. Angela Merkel steht damit aber ziemlich allein auf europäischer Flur, Prinzipienreiterin, das ist noch die netteste Kritik. Wir sprechen darüber mit dem Volkswirtschaftler und Mitglied des Sachverständigenrats, dem Wirtschaftsweisen Peter Bofinger. Schönen guten Morgen!

Peter Bofinger: Guten Morgen, Frau Timm!

Timm: Herr Bofinger, Ihre Kollegen vom Expertenrat, die haben der Kanzlerin gerade noch mal den Rücken gestärkt. Sie solle sich weder auf Eurobonds, noch auf eine aktivere Rolle der Europäischen Zentralbank als Geldgeber einlassen. – Sie sehen das ein bisschen anders. Warum?

Bofinger: Ja, zunächst mal ist es so, dass wir auch beim Sachverständigenrat uns dafür ausgesprochen haben, eine gemeinschaftliche Haftung zu übernehmen für die Mitglieder des Euro-Raums. Wir haben einen Schuldentilgungsfonds vorgeschlagen, der für eine begrenzte Zeit und für eine begrenzte Summe eine gemeinsame Haftung ermöglicht. Damit wäre gewährleistet, dass Länder wie Italien, die ja sehr hohe Schulden haben, zu vergleichsweise niedrigen Zinsen ihr Geld bekommen. Und das ist ja die Voraussetzung, dass ein solches Land auch mit seinen Schulden zurechtkommt. Für uns ist wichtig, dass die gemeinschaftliche Haftung gekoppelt wird mit strikten Stabilitätsvoraussetzungen, insbesondere einer Schuldenbremse in allen Teilnehmerländern. Und wir haben gefordert, dass bei einer gemeinschaftlichen Haftung Länder wie Italien den Betrag, für den gemeinschaftlich gehaftet wird, mit Währungsreserven absichern, und zwar in Höhe von 20 Prozent. Das wäre also schon eine ganz gute Kontrolle dafür, dass die gemeinschaftliche Haftung nicht zu einem unkontrollierten Schuldenmachen in Ländern wie Italien führt.

Timm: Trotzdem sehen Sie ja die Eurobonds zumindest von jetzt auf gleich kritisch und auch die Kanzlerin wird dargestellt so als zögernde Prinzipienreiterin. Drehen wir den Spieß doch einfach mal um: Wenn da einer diesem Herdentrieb – Eurobonds, Eurobonds – standhält und von der panisch beschriebenen letzten Rettung eben nichts Gutes erwartet, das kann doch auch eine Stärke sein?

Bofinger: Zunächst mal muss man ja sehen, dass Frau Merkel und Herr Schäuble seit anderthalb Jahren versuchen, diesen Euro-Raum zu stabilisieren, und dass die Strategien, die bisher verfolgt worden sind, die Situation immer mehr destabilisiert haben. Und das liegt nicht daran, dass die sogenannten Problemländer ihre Hausaufgaben nicht gemacht haben. Wenn man sich das mal ansieht, ist in allen Ländern sehr viel unternommen worden, um die Neuverschuldung zurückzuführen. Das geht nicht alles von heute auf morgen, aber das Hauptproblem ist, dass die Maßnahmen, die zur Stabilisierung der Lage, zur Stärkung des Vertrauens eingesetzt worden sind, dass die immer zu schwach dosiert waren, sodass die Märkte immer mehr in Panik geraten sind. Und deswegen meine ich schon, dass Frau Merkel und Herr Schäuble sich dringend überlegen sollten, ob die Art, wie sie das Problem behandeln, ob das wirklich zielführend ist oder ob es nicht dazu führt, dass wir immer mehr Verunsicherung bekommen. Und das sollte ja schon zu denken geben, dass die OECD in Paris, die ja eine sehr behutsame Institution ist, mittlerweile schon vor katastrophalen Konsequenzen warnt, wenn die Entwicklung einfach so weiterläuft.

Timm: Aber ist es vernünftig, ständig vom Abgrund, vom Desaster zu reden, vor dem wir alle stehen, und so ja zusätzlich Druck auf Politiker auszuüben, die so unter Druck stehen, dass sie womöglich gar nicht mehr so vernunftgesteuert handeln?

Bofinger: Ja, zunächst mal ist es ja so, dass man jetzt nicht von der Krise nur redet, sondern die ist ja da. Die Banken im Euro-Raum haben gravierende Probleme, überhaupt noch Geld zu bekommen. Wir haben eine Art Kapitalflucht, dass die Menschen in Italien ihr Geld abziehen, das in deutsche Banken bringen, und die steigenden Zinsen für Staatsanleihen bedeuten ja auch, dass immer mehr Staaten nun tatsächlich Schwierigkeiten haben werden, ihre Staatsverschuldung zu bedienen. Das heißt, die Alarmzeichen sind ja überall da, das ist ja nicht was Eingebildetes oder Herbeigeredetes. Aber auch unabhängig davon: Sie haben recht, die Märkte sind sehr stark psychologisch betrieben, wir haben einen ganz ausgeprägten Herdentrieb auf den Finanzmärkten. Aber mit dem muss man mal leben, den muss man auch akzeptieren und man muss Lösungen finden, die dazu führen, dass diese blökende Herde nicht in den Abgrund läuft, sondern dass man sich ihr so überzeugend entgegenstellt, dass dieser Run, wie wir das nennen, gestoppt wird.

Timm: Aber das tut Frau Merkel ja, sie stellt sich ja entgegen. Und vielleicht hat sie schlicht Sorge, dass Solidarität im Übermaß gefährlich werden kann. Denn wenn die Stärkeren immerfort retten und die Schwächeren sich darauf immerfort verlassen, dann zieht das ja auch alles immer mehr herunter, wie wir gerade sehen.

Bofinger: Na ja, zunächst mal hat Frau Merkel bisher überhaupt nichts Grundlegendes getan, um das Vertrauen in die europäischen Staatsanleihen wieder herzustellen. Das Problem, das wir jetzt haben, ist ja heute ähnlich wie im Herbst 2008. Im Herbst 2008 haben die Bankeinleger das Vertrauen in die Bankeinlagen verloren und da hat sich Frau Merkel hingestellt und hat gesagt, alle Bankeinlagen sind sicher. Heute haben die Investoren das Vertrauen in Staatsanleihen verloren und dieser Vertrauensverlust ist ähnlich gravierend wie der Vertrauensverlust im Herbst 2008, weil Staatseinlagen einfach der sichere Kern des Finanzsystems sind. Und wenn dieser sichere Kern unsicher wird, dann wird das gesamte Finanzsystem destabilisiert. Und die einzige Maßnahme, die jetzt wieder Ruhe in das Ganze bringen kann, ist eine Erklärung, sind Maßnahmen der europäischen Politiker, die dafür sorgen, dass die Staatsanleihen wieder 100 Prozent sicher sind. Das ist das, was gefordert wird. Und alles, was das nicht bietet, wird nicht die Lage stabilisieren.

Timm: Ich muss mal ganz schlicht fragen, wie bringen Sie eigentlich zwei ganz verschiedene Meldungen zusammen, die uns täglich erreichen: Auf der einen Seite, der Euro zerbröselt, der Euro ist sowieso schon kaputt, kann man kaum noch retten; und auf der anderen Seite, Deutschlands Konsumenten sind konsumfreudiger, das Weihnachtsgeschäft gelingt, die Leute trauen sich wieder mehr. Wie passt das zusammen?

Bofinger: Ja, zunächst mal sind alle Meldungen über die Verbraucherfreude vor Weihnachten, die sind jedes Jahr gleich. Die sind immer zu euphorisch. Wenn Sie die Statistik angucken, ist unser privater Verbrauch seit Jahren sehr, sehr schwach. Und ich gehe auch mal davon aus, dass auch in diesem Jahr wir keine extrem großen Ausgaben da bekommen. Es ist klar, die Krise ist in Deutschland nicht angekommen bisher. Die Öffentlichkeit nimmt nicht wahr, was auf den Finanzmärkten passiert, nimmt, glaube ich, auch nicht wahr, welche problematischen Entwicklungen sich in Ländern wie Spanien und Griechenland oder auch Portugal auftun. Das ist bisher bei uns noch nicht angekommen. Das ist ja vielleicht auch gut so, aber das ist kein Indiz dafür, dass die Situation nicht wirklich bedrohlich ist.

Timm: Deutschlandradio Kultur, das "Radiofeuilleton" im Gespräch mit dem Volkswirtschaftler Peter Bofinger, er lehrt an der Uni in Würzburg. Herr Bofinger, immer stärker wird gefordert, die Europäische Zentralbank möge doch aktiv werden, ihre Stabilitätspolitik lockern und unbegrenzt für europäische Staatsanleihen bürgen. Wäre das ein guter Schritt?

Bofinger: Ich glaube, man muss das etwas differenzierter sehen. Ich glaube, dass in der aktuellen Situation tatsächlich nur die Europäische Zentralbank in der Lage ist, uneingeschränkt zu handeln, uneingeschränkt die Stabilität des Finanzsystems zu sichern, indem sie Anleihen der Problemländer in noch stärkerem Ausmaße ankauft, als das bisher der Fall ist. Aber es ist aus meiner Sicht unzutreffend, zu sagen, dass das dann zu Inflation führt. Man muss es anders sehen: Wenn die Europäische Zentralbank nicht eingreift, wenn wir keine Eurobonds haben, dann werden wir erleben, dass das Misstrauen in Staatsanleihen immer weiter zunimmt, dass diese Anleihen immer weiter an Wert verlieren und dass unser Finanzsystem in die Knie geht. Wenn die Europäische Zentralbank interveniert, wird das verhindert. Sie verhindert also damit, dass wir in eine Finanzkrise und in eine Deflation kommen. Und damit stabilisiert sie das Preisniveau genau so, wie das ihr vorgegeben ist. Denn Preisstabilität ist ja kein asymmetrisches Konzept. Es geht vielmehr darum, sowohl die Inflation als auch die Deflation zu verhindern. Und wenn die EZB eingreift, verhindert sie eine Deflation. Und das ist vollkommen vereinbar mit ihrem Ziel.

Timm: Das kann man so sehen, auf der anderen Seite ist die Europäische Zentralbank auch ein echtes, ein geradezu geheiligtes Kulturgut, im Moment schwer verteidigt von Frau Merkel. Sie ist der Wächter über die Geldpolitik, soll als über alle Einzelinteressen stehendes Gremium die Stabilität sichern. Wie groß ist denn die Gefahr, wenn der Wächter seine Aufgabe zurückstellt und die EZB weiter Ramschanleihen aufkauft, also sich letztlich selbst wie eine schlichte Geschäftsbank verhält, was ja nicht ihre Aufgabe ist?

Bofinger: Also, ich möchte das mal ganz klarstellen: Wenn die Europäische Zentralbank Anleihen ankauft, sorgt sie dafür, dass die Stabilität des Preisniveaus und die Stabilität des Finanzsystems gesichert wird. Denn wenn sie es nicht täte, hätten wir ein instabiles Finanzsystem und Deflation. Also, es ist absolut vereinbar mit ihrem Ziel, das ihr gesetzlich vorgegeben ist. Und es geht ja nicht darum, Ramschanleihen aufzukaufen, sondern es geht darum, Anleihen zum Beispiel der Republik Italien aufzukaufen, die noch vor wenigen Monaten als absolut sicher galten, die nur leider wegen der Panik der Märkte mittlerweile immer schlechtere Kurse haben und immer höhere Zinsen haben. Also, es geht nicht darum, Ramschanleihen aufzukaufen, sondern es geht darum dafür zu sorgen, dass die Anleihen der Republik Italien nicht zu Ramschanleihen werden. Darum geht es.

Timm: Es sind ja nun auch viele Experten anderer Meinung, die sagen, na gut, die EZB gibt mit dieser Handlungsweise ihre Rolle letztlich eigentlich stückweit auf. Herr Bofinger, sehen Sie eigentlich irgendjemanden, dem Sie zutrauen, die Krise in den Griff zu kriegen?

Bofinger: Also, wie gesagt, die Politik, die derzeit in Berlin verfolgt wird, ist eine Politik, die außerordentlich riskant ist. Das ist ein Spiel mit dem Feuer. Wenn man weder Eurobonds noch die EZB als Retter vorschlägt, wenn man einfach darauf hofft, dass das Feuer sich von selber legt, das mag mit einer geringen Wahrscheinlichkeit eintreffen, aber mit einer großen Wahrscheinlichkeit wird das nicht der Fall sein. Und deswegen meine ich, dass wir die EZB brauchen. Um jetzt nicht falsch verstanden zu werden: Die Rettungsmaßnahmen der EZB sind ähnlich zu sehen wie die Rettungsmaßnahmen der Politik in der Bankenkrise im Oktober 2008. Da hat man auch zunächst mal gesagt, wir stabilisieren das System, aber wir brauchen natürlich bessere Regeln, damit solche Fehlentwicklungen nicht mehr eintreten. Das wäre meine Konsequenz, zunächst mal Stabilisierung durch die EZB, dann aber möglichst bald neue Regeln für die Finanzpolitik – das ist ja das, was Frau Merkel ja auch anstrebt –, die mehr Stabilität sichern, die größere Eingriffsrechte von Brüssel in die nationalen Haushalte ermöglichen, damit Fehlverhalten rechtzeitig gestoppt wird. Und das würde dann aus meiner Sicht auch einhergehen mit einer gemeinschaftlichen Haftung in der Form von Anleihen, ob das nun Eurobonds sind oder diese Schuldentilgungsbonds, die wir vorschlagen, um damit eben die EZB aus dieser Notfallrolle wieder herauszubekommen.

Timm: Der Volkswirtschaftler Peter Bofinger. Er ist Mitglied des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Gesamtwirtschaft. Herr Bofinger, schönen guten Tag und vielen Dank!

Bofinger: Ja, gern!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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