Eine moderne Utopie der idealen Stadt

06.12.2011
Beim Monopoly gewinnt, wer den Gegner gekonnt in den Ruin treibt. So gilt das Brettspiel gerne als Symbol für den Kapitalismus. Der Kulturwissenschaftler Andreas Tönnesmann hat sich das Spiel vorgenommen und erkennt in Monopoly ein Spiel, in dem die Stadt zu einem Ideal wird.
Für Hasbro-Aktien sieht es seit in diesem Frühsommer gar nicht gut aus. Und wer - wie der Kunst- und Architekturhistoriker Andreas Tönnesmann - Spaß am Aufspüren geheimer Verbindungslinien zwischen scheinbar Entlegenem hat, könnte die These wagen, dass das an der jäh erloschenen Nachfrage nach dem profitabelsten Produkt der amerikanischen Spielzeug-Firma liegt: Hasbro vertreibt "Monopoly". Bislang 275 Millionen Stück weltweit, in 43 verschiedenen Länderausgaben. Wer will denn in Zeiten der globalen Schuldenkrise noch Immobilien-Hai im Raubtierkapitalismus spielen?

Die jüngste Weltwirtschafts- und Bankenkrise kommt in Tönnesmanns neuem Buch noch nicht vor, wohl aber die älteste: der Börsencrash von 1929. Denn Tönnesmann erzählt einerseits die Geschichte des Monopoly-Spiels noch einmal detailreich nach. Ursprünglich erfunden hatte es 1904 die Quäkerin Mary Magie Philips als "Landlord's Game". In den Jahrzehnten danach wurde es unter verschiedenen Namen weiter entwickelt. Aber erst ab 1936 wurde es zur Boom-Story. Da hatte sich der Klempner Charles B. Darrow aus Germantown, Pennsylvania, bei allen Ideengebern bedient und das Spiel so marktgängig modernisiert, dass ihm Parker Bros, Hasbros Vorläufer, gegen Gewinnbeteiligung die Rechte abkaufte.

Er hatte eine fiktive Stadt mit den Straßennamen von Atlantic City errichtet und vier Bahnhöfe, ein Wasser- und ein E-Werk dazu gebaut. Tönnesmann verknüpft damit spannende Überlegungen zu den Wechselwirkungen zwischen Spielen und Politik: Zu Franklin D. Roosevelts New Deal von 1933 gehörte unter anderem die staatliche Förderung der Infrastruktur. Es war eine Maßnahme gegen die Große Depression und gleichzeitig ein Tabubruch im Land der reinen Lehre von freiem Markt und Privatwirtschaft. Mit "Monopoly" hatte Darrow Verkehr und Energie spielerisch wieder freigegeben für Privatbesitz.

Andererseits vertieft Tönnesmann den Blick in die - vor allem europäische - Stadtgeschichte. Er legt die Monopoly-Topografie über alte utopische Modelle einer "idealen Stadt". Mit Exkursionen von der Renaissance bis in die Moderne, von Dürer, Morus, Huizinga, Loos bis Frank Lloyd Wright, präpariert er Parallelen ebenso heraus wie Auseinanderstrebendes. Sein Fazit: Monopoly ist eine moderne Utopie der idealen Stadt.

Das liest sich wunderbar leicht und mit viel Erkenntnisgewinn. Aber - und an dieser Stelle muss die Rezensentin in Ichform sprechen, so wie der Autor bei seinem Einstieg - als Stadt habe ich Monopoly nie empfunden. Mir als Stadtkind fehlten Konsum, Kliniken, Kirchen, Kinos, Friedhöfe, Verkehr. Ideal war natürlich, dass man nicht arbeiten muss und trotzdem immer Geld kriegt, von einer Bank, die eher wie altruistischer Papa Staat auftritt.

Aber mein Spaß am Spiel war ganz unutopisch, er war einfach diebisch: Ich habe immer zugesehen, dass ich die Bank verwalte, und mich frei nach Brecht bedient. Dem Spaß an Tönnesmanns Buch tut das keinen Abbruch. Der kommt daher, dass er Monopoly Gedanken spielend aus dem engen ideologischen Käfig befreit hat, in den es im Kalten Krieg geraten war.

Besprochen von Pieke Biermann

Andreas Tönnesmann: Monopoly. Das Spiel, die Stadt und das Glück
Verlag Klaus Wagenbach, Berlin 2011
142 Seiten, 22,90 Euro
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