Eine gewaltbereite und dauerkoksende Ermittlerin

22.03.2013
Schon für ihren ersten Roman um die eigenwillige Detektivin Claire DeWitt wurde Sara Gran mit Preisen überhäuft. Auch im Nachfolgeband bleibt die Autorin ihrer Methode treu, traditionelle Elemente der Kriminalliteratur neu zu sortieren und zu akzentuieren.
"Das Ende der Welt" ist der zweite Roman um die sich selbst megaloman-ironisch die "beste Detektivin der Welt" nennende Claire DeWitt. Wie im Vorgänger, "Die Stadt der Toten", der entweder mit Lob und Preis (zurecht) überhäuft oder mit Unverständnis und tugendpolizeilicher Engstirnigkeit abgelehnt wurde, bleibt die amerikanische Autorin Sara Gran im aktuellen Buch ihrer Methode treu, traditionelle Elemente der Kriminalliteratur neu zu sortieren und zu akzentuieren.

Ein Handlungsstrang spielt in dem mythischen Ort San Francisco. Ein Ex-Lover von DeWitt ist getötet worden, die Detektivin wird, klassisch, von der Schwester des Toten engagiert, um dessen Ehefrau des Mordes zu überführen. In der Stadt Dashiell Hammetts, in der Stadt der beat poets, repräsentiert durch den immer noch existierenden Buchladen "City Lights" des ebenfalls noch lebenden Lawrence Ferlinghetti, und in der Stadt von Hippie-Kultur und New Age-Experimenten, die inzwischen zum lifestyle der Reichen und Gelangweilten geworden sind, lässt Gran ihre gewaltbereite, dauerkoksende, sexuell autonome und enigmatische Claire DeWitt all die guten Traditionen der Detektiv-Literatur wiederbeleben, die das Genre einst groß gemacht hatten: den Hang zum Exzess, die Rigorosität der Wahrheitssuche, die Rolle des Außenseiters, aus dessen Perspektive die Dinge immer anders aussehen als von der "Mitte der Gesellschaft" aus.

DeWitt ist erkenntnistheoretische Basis-Demokratin, sozusagen. Sie arbeitet mit klassischer Deduktion, mit der mühseligen Lauf- und Recherchearbeit der professionellen Aufklärerin, und sie nutzt als ebenbürtige Werkzeuge der Wahrheitssuche das I Ging, den Tarot, Visionen, Träume, Intuitionen und Drogen. Als Romantikerin wie Raymond Chandlers Philip Marlowe restituiert Claire DeWitt das Ethos der grundsätzlich auffindbaren Wahrheit gegen den Zeitgeist-Relativismus des profitablen Pragmatismus. Dass man diesen Kampf nicht notwendigerweise gewinnen muss, belegt ein zweiter Handlungsstrang, der 1986 in Brooklyn spielt, als DeWitt und ihre beiden besten Freundinnen als Teens dem Detektivspielen verfallen und merken, dass Wahrheitssuche schnell schmerzhaft und lebensgefährlich werden kann, wenn man sie seriös betreibt. So seriös, wie auch gute Kriminalliteratur zu sein hat.

Weil Sara Gran ein feines Gespür für die Fallen von Pathos und Kitsch an solchen Punkten hat, baut sie zum einen den (fiktiven) französischen Vordenker Jacques Silette ein, dessen Werk "Détection" (eine Art Roland Barthes´sches "S/Z" für Detektive) das passende Zitat für jede Lage liefert. Zum anderen färbt sie den Erzählduktus durch verschiedene Abstufungen des Ironischen, Satirischen, Spöttischen und Gebrochenen, was so auch Momente der Poesie, der Trauer, der Melancholie und der liebevollen Hommage an große Traditionen der amerikanischen Kultur erlaubt. Trotz dieser hier gar nicht erschöpfend auszulotenden Vielschichtigkeit gelingt es Gran, den Roman nicht zum Meta-Krimi erstarren zu lassen. "Das Ende der Welt" ist ein großartiger Kriminalroman sui generis, der dem Genre Perspektiven weg von Formel und Klischee aufzeigt.

Besprochen von Thomas Wörtche

Sara Gran: Das Ende der Welt
Aus dem Amerikanischen von Eva Bonné
Droemer, München 2013
367 Seiten, 14,99 Euro