"Eine Geschichte von Sex und Crime"

Wolfgang Augustyn im Gespräch mit Andreas Müller · 17.10.2011
Vieles, was der Familie Borgia nachgesagt werde, sei Propaganda der Zeit, sagt der Historiker Wolfgang Augustyn Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München. Trotzdem handle es sich hier um eine Familie, die sich nicht an die Konventionen der Zeit gehalten habe.
Andreas Müller: 1492 entdeckt Kolumbus die neue Welt, das Mittelalter neigt sich dem Ende zu und in Rom übernimmt eine Familie die Macht über den Kirchenstaat, deren Name bis heute fasziniert: die Borgias. Gleich zwei aufwendige Fernsehproduktionen wollen die Geschichte dieser schillernden Familie erzählen, im November läuft auf ProSieben die Version des US-amerikanischen Pay-TV-Senders Showtime an, heute Abend startet von mehreren europäischen Anstalten verwirklicht ein Sechsteiler im ZDF. Als historischer Berater stand Professor Wolfgang Augustyn vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München dem ZDF zur Seite, jetzt ist er bei uns, schönen guten Tag!

Wolfgang Augustyn: Guten Tag!

Müller: Die Borgias, dieser Name ist bis heute geläufig. Was ist denn so faszinierend an dieser Familie?

Augustyn: Ich glaube, die spezifische Form des Verwirklichens von Dynastiebildung, von Machthäufung, auch die Verquickung von Machtinteressen, politischen Interessen und eben dieser faszinierenden, jahrhundertealten Institution Kirche.

Müller: Aber man muss natürlich hinzufügen, auch Sex and Crime, also das wird ja immer auch transportiert.

Augustyn: Sex and Crime wohl. Die Historiker lehren uns, dass vieles von dem, was den Borgias nachgerühmt oder nachgesagt wird, eben auch die Propaganda der Zeit gewesen ist. Unbestritten aber waren es Mitglieder einer Familie, die sich an die gängigen Konventionen der Zeit nicht gehalten haben, ganz bestimmt nicht.

Müller: Das bietet natürlich jede Menge Projektionsfläche. Welche Klischees werden dann in diesem Sechsteiler vor allem bedient?

Augustyn: Es ist, wie Sie schon anmoderiert hatten, eine Geschichte von Sex and Crime natürlich, die aber in diesem schillernden Rahmen der Renaissance, des prachtvollen Roms aus der Zeit um 1500 in dieser Zeit der Umbrüche und der gesellschaftlichen Wandlungen stattgefunden hat und nun auch als Schauplatz dieser Geschichte angesiedelt ist.

Müller: Die Amtszeit von Rodrigo Borgia als Papst Alexander VI. währte elf Jahre. Welchen Fokus haben die Macher der Serie gesetzt?

Augustyn: Eigentlich nehmen sie den ganzen Pontifikat in den Blick und die Vorgeschichte, also den Aufstieg des späteren Papst Alexander VI. zum Vizekanzler der Kirche und seine Bemühungen, Papst zu werden.

Müller: Wie historisch genau wurde denn die damalige Zeit in der Serie umgesetzt?

Augustyn: Das ist eine schwierige Frage, denn eigentlich ist es wie bei jedem historischen Film: Es ist nicht der Versuch, die Historie zu rekonstruieren. Man würde bei "Der Name der Rose" auch nicht davon ausgehen dürfen, dass es sich um die Rekonstruktion der Verhältnisse des frühen 14. Jahrhunderts handelt, oder wenn Sie an Cäsar-und-Kleopatra-Verfilmungen denken, ist es auch kein Sittenbild der Antike auf authentischer Grundlage. Es ist eine Erzählung im Bild. Die Suggestion des Film legt natürlich den Verdacht nahe, dass es eine Rekonstruktion oder in diese Richtung gehen könnte, eine Rekonstruktion sein sollte.

Was man sehr genau versucht hat in dem Film darzustellen, ist die Kulisse. Die Darstellung des Stadtbilds in der Zeit um Rom ist, wie ich finde, mit großem Aufwand und großer Detailgenauigkeit – alten Plänen abgelesen und … – in einer Weise als Bühnenbild für diesen Schauplatz hergestellt, die wirklich spektakulär ist. Genau so finde ich auch die Imagination der Sixtinischen Kapelle, die eine große Rolle spielt als Schauplatz, viele Ereignisse in diesem Film, in dieser Filmserie geradezu, natürlich sehr, sehr exakt rekonstruiert, so weit man das noch tun kann, denn die Verhältnisse vor der Umgestaltung durch Michelangelo sind natürlich nicht gut dokumentiert.

Müller: Das hat man Prag gemacht, da hat man das alles nachgebaut, nicht in Rom, und in Prag gibt es auch viele Kirchenbauten, die dem 15. Jahrhundert entsprechen. Sie haben ja schon einiges sehen können auch bei dieser Serie. Waren Sie da verblüfft, wie das so wirkt, wenn man das dann noch mal in Szene gesetzt sieht?

Augustyn: Also, ich muss sagen, ich war mehr als überrascht und stark beeindruckt von den Bemühungen, diesen Kirchenraum – also gerade am Beispiel der Sixtinischen Kapelle ist es evident – der Zeit vor Michelangelo, in dieser Weise herzustellen und den Maßstab eins zu eins gewissermaßen nachzubauen. Das ist sehr eindrucksvoll.

Müller: Heute Abend läuft im ZDF der Sechsteiler "Borgia" an und ich spreche in Deutschlandradio Kultur mit Wolfgang Augustyn, der das Produktionsteam während der Dreharbeiten beraten hat. Wo hat man Sie denn gefragt und wo nicht?

Augustyn: Der Drehbuchautor ist ein bekannter amerikanischer Autor, der viele Produktionen bereits hinter sich hat und da ein spezielles Publikumsinteresse bedient hat, Tom Fontana. Ich bin gefragt worden bei der Umsetzung mancher Bilder, da geht es speziell um die liturgischen Vorgänge, also gottesdienstliche Feiern und ähnliches, da hatte man offenbar den Eindruck, es würde zu anschaulicheren Bildern führen, wenn man sich da der historischen Korrektheit irgendwie anzunähern versucht, anzunähern versucht, wohlgemerkt!

Müller: Also, man wollte nicht mit der Kirche in Konflikt geraten?

Augustyn: Ich glaube, das ist nicht der ausschlaggebende Grund, sondern damit war auch der Drehbuchautor, glaube ich, nicht so sehr vertraut. Und insofern war es gut, sich da Expertise zu holen, die einem einfach ausführlichere und vielleicht auch schönere Bilder zu machen hilft.

Müller: Bei dem, was Sie da gesehen haben, also das liturgisch Religiöse ist also nun offensichtlich durch ihn beraten und vernünftig umgesetzt worden. Gab es aber auch so Sachen, wo Sie dachten, oh nein, das ist aber sehr, sehr weit von der historischen Realität, soweit wir sie kennen, entfernt?

Augustyn: Ja, die gibt es natürlich in dem Film. Es ist keine Rekonstruktion, sondern es ist schon auch eine Historienerzählung, die viele Klischees transportiert, über die man als Historiker wahrscheinlich besser hinweggeht. Aber ich glaube, das ist im Rahmen einer solchen Filmerzählung natürlich möglich und im Sinne der Dramaturgie wohl dann auch erfordert.

Müller: Der Journalist Willi Winkler, der auch schon was gesehen hat, schreibt heute in der "SZ", Zitat: "Zwar entsprechen nicht sehr viele Details der historischen Wahrheit, es entsteht in diesem fast surrealen Renaissance-Albtraum aber ein gar nicht so falsches Abbild der Jahrzehnte am Ende des Mittelalters", Zitat Ende. Wie sehen Sie das als Historiker, kann das funktionieren: falsche Bilder, richtiger Eindruck?

Augustyn: Vielleicht ist die Antithese in der Schärfe nicht ganz korrekt. Es sind anschauliche Bilder und ich glaube, der Gesamteindruck ist sehr suggestiv und trifft vieles, was wir von dem Milieu zu wissen glauben aufgrund der Quellen und der Aussagen, die natürlich immer neu interpretiert werden können und auch interpretiert werden müssen.

Müller: Winkler moniert zudem, dass es extrem brutale Folterszenen gebe, die nicht mal in der Praxis des finstersten Mittelalters gang und gäbe gewesen wären. Wie sehen Sie das?

Augustyn: Ähnlich. Es ist der Dramaturgie geschuldet, man will eine Zeit in ihren ganzen Extremen zeigen und greift zu Mitteln, die der Film möglich macht.

Müller: Wäre eigentlich eine historisch korrekte Umsetzung anschaubar oder einfach nur langweilig?

Augustyn: Das ist eine Frage, die Sie an die Filmemacher stellen müssten, nicht an den Historiker.

Müller: Gut, für den Historiker wäre es wahrscheinlich sehr, sehr spannend. Ich habe ein wenig sehen können von der US-amerikanischen Version und da gab es schon Kritiker, die gesagt haben, also, das ist nun wirklich nur was für Historiker, für alle anderen ist das viel zu langweilig, da werden Details besprochen, die gar nicht mal so interessant sind. Aber wie gesagt, das ist ja dann ab November zu vergleichen. Es gibt ja in den vergangenen zwei, drei Jahren insbesondere aus England und den USA kommend eine ganze Welle von Fernsehserien, die die Zeit des Mittelalters beziehungsweise der Renaissance als Hintergrund für ihre Geschichten nehmen. Haben Sie eine Idee, warum das so ist, warum ist der historische Krimi so viel spannender als eine Polizeiserie von heute?

Augustyn: Ich glaube, die Verfremdung ist der Effekt, den die Zuschauer daran schätzen. Die Realität aus unserem Alltag, den Sie auf der Straße sehen, wirkt dann oft wahrscheinlich banal dagegen, also die Einkleidung ins historische Kostüm gibt dem Ganzen besonders Flair.

Müller: Ist es vielleicht auch so, dass man vielleicht eher den, sagen wir es ruhig, es gibt in beiden Serien durchaus viel nacktes Fleisch zu sehen, dass man vielleicht dann die historische Lucrezia Borgia lieber nackt sehen möchte als eine "Tatort"-Kommissarin?

Augustyn: Ich kann mir vorstellen, dass natürlich gerade im Fall jetzt der Lucrezia Borgia auch Klischees nachwirken, die aus den Feindbildern der Zeitgenossen schon herrühren und tradiert worden sind. Es gibt gerade in der historischen Literatur des 19. Jahrhundert natürlich eine Beurteilung der Renaissance, wenn Sie an bestimmte Beschreibungen der italienischen Renaissance etwa von Jacob Burckhardt oder anderen Autoren denken, die schon aus der Perspektive des 19. Jahrhunderts, also auch mit den Wertmaßstäben und den Moralvorstellungen des 19. Jahrhunderts und auch einer bestimmten Vorstellung von Authentizität, religiöser Amtsführung und ähnlichen Dingen hier auf diese Dinge blickten und eben dann in völligem Unverständnis der historischen Realität reagieren mussten.

Da gibt es sicher Beurteilungen und Urteile, die auch nach modernen Maßstäben wohl Schieflagen produzieren. Und nichts hält sich so lange und ist so erfreulich oder für viele interessant wie diese spezifischen Bilder, die aus dieser Zeit herrühren, und diese überbordende Verletzung von Konventionen und dieses alles tun, was dem eigenen Interesse dient, gehört, glaube ich, schon zu den Klischeevorstellungen, die man auch da sehen will.

Müller: Ab heute kann man das tun. Opulent produziert, teuer für viel Geld, eine europäische Produktion: Die Borgias beziehungsweise "Borgia" heißt es ganz einfach. Das war Professor Wolfgang Augustyn vom Zentralinstitut für Kunstgeschichte in München, er hat das Produktionsteam des Sechsteilers in historischen Fragen beraten, ab 20:00 Uhr im ZDF und, wie gesagt, ab November dann im Privatfernsehen die amerikanische Version. Vielen Dank!

Augustyn: Bitte schön!

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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