"Eine ganze Menge an Enttäuschung"

Karin Kortmann im Gespräch mit Thorsten Jabs · 21.08.2010
Rücktritte prominenter Hirten, Mitgliederschwund und Vertrauenskrise: Die deutschen Katholiken sind im Aufruhr. Karin Kortmann, Vizepräsidentin im Zentralkomitee, mahnt einen Neuanfang im Verhältnis zwischen Klerikern und Laien an.
Thorsten Jabs: Das Münchener Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses, kurz ifp, hat einen guten Ruf. 1968 von der Deutschen Bischofskonferenz gegründet, haben dort einige bekannte Journalisten ihr Handwerk gelernt, zum Beispiel Heribert Prantl, Mitglied der Chefredaktion der "Süddeutschen Zeitung", Bettina Schausten, Leiterin des ZDF-Hauptstadtstudios, oder Thomas Gottschalk. Jetzt ist das Institut selbst in die Schlagzeilen geraten: Sein Geistlicher Direktor, Pfarrer Michael Broch vom Südwestrundfunk, hat sein Amt niedergelegt. Er hatte das Vertrauen zahlreicher Bischöfe verloren.

Grund dafür ist ein Interview, das er im Mai der "Leonberger Kreiszeitung" gegeben hat: "Ich bin loyal, auch wenn ich motze", wird Broch wörtlich zitiert. Er forderte mehr Offenheit für andere Lebensmodelle abseits des Zölibats, hielt das geschlossene System der Männerwirtschaft in der katholischen Kirche für gefährlich und erklärte, wenn es damit so weitergehe, fahre Papst Benedikt die Kirche an die Wand. Über diese deutlichen Worte, den Rücktritt von Pfarrer Michael Broch und den Zustand der katholischen Kirche spreche ich mit Karin Kortmann, ehemalige Bundestagsabgeordnete für die SPD und inzwischen Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Guten Tag, Frau Kortmann!

Karin Kortmann: Guten Tag, Herr Japs!

Japs: Frau Kortmann, fahren die deutschen Bischöfe ihr Institut zur Förderung des publizistischen Nachwuchses an die Wand?

Kortmann: Ach, ich glaube, im Moment wird vieles gegen die Wand gefahren und an der Stelle wird noch mal etwas deutlich, dass die Hoffnungen der letzen Wochen, dass mehr Transparenz, mehr Offenheit, mehr Selbstkritik in der katholischen Kirche auch Platz hat, wird damit noch mal konterkariert. Und gerade wenn es darum geht, eine Journalistenschule darin zu maßregeln, was deren Leiter sagen darf oder nicht, das stößt dann auch schon arg an die Fragen der Pressefreiheit und das macht im Moment wenig Mut, dass Bischöfe auch begriffen haben, dass sie nicht nur verbal Offenheit einfordern, sondern dass sie es auch in die Tat umsetzen müssen. Und es zeigt gleichzeitig auch, wie schwer sich doch die Amtskirche mit der Kritik aus den eigenen Reihen tut.

Jabs: Also das passt für Sie auch nicht zusammen: Auf der einen Seite will die katholische Kirche im Zuge der Missbrauchsdebatte für mehr Transparenz sorgen, auf der anderen Seite nimmt ein kritischer katholischer Journalist seinen Hut.

Kortmann: Wissen Sie, die Missbrauchsfälle waren ein Anlass dafür, all das mal aufs Tablett zu bringen, was vielen Gläubigen, vielen Engagierten innerhalb der katholischen Kirche seit vielen Jahren unter den Nägeln brennt. Und es gibt im Grunde so drei Begriffe, mit denen man das, glaube ich, auch festmachen kann: Es geht um den herrschenden Klerikalismus, es geht um den Zentralismus und es geht um das Patriarchat. Und die Fälle des sexuellen Missbrauchs haben viele unsicher zurückgelassen, ob der Täterschutz und der Schutz der Institution höher bewertet wurde, als den Opfern und auch den Tätern beizustehen. Und eine katholische Kirche, die in ihren Grundsäulen doch so stark auf Glaube und Vertrauen aufbauen muss, und was den Gegenstand ihres Wirkens und Handelns macht …

Wenn genau diese Grundpfeiler nicht nur erschüttert sind, sondern davor stehen, einzustürzen, dann muss mehr geschehen als zu sagen, wir überarbeiten die Leitlinien, wie wir mit dem sexuellen Missbrauch in der katholischen Kirche umgehen. Hier geht es um Grundsatzfragen innerhalb des Miteinanders zwischen Klerikern und Laien, zwischen katholischen Vereinen und Verbänden und der Amtskirche und zwischen der Frage, wie viel darf eine Ortskirche selbst entscheiden gegenüber Rom?

Jabs: Ein schlechtes Zeichen ist ja zum Beispiel auch, dass der langjährige ifp-Aufsichtsratsvorsitzende, der Hörfunkdirektor des Südwestrundfunks Bernhard Hermann zurückgetreten ist. Er hat alle seine Ehrenämter in der katholischen Kirche niedergelegt. Wie groß ist auch so ein Verlust?

Kortmann: Er ist riesengroß, weil er ein Beispiel dafür ist, dass viele der Kirche nicht mehr zutrauen, dass sie einen anderen Weg einschlagen kann. Und die Verletzungen, die manche Personen in diesem System erfahren haben, sind an Grenzen gestoßen, die sie nicht weiter mitmachen wollen. Wenn wir jetzt die aktuellen Zahlen sehen, die Prognosen, dann heißen die: Bis Ende des Jahres werden möglicherweise 400.000 Gläubige die katholische Kirche verlassen haben. Und das sind nicht diejenigen, die mal kurz eingetreten sind und sagen, ach, gefällt uns doch nicht, gehen wir wieder raus, sondern das sind vor allen Dingen langjährige, sehr engagierte Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen, vor allem Frauen, die sagen, wir werden hier nicht mehr ernst genommen.

Ich bin wirklich weit entfernt davon, Schuldzuweisungen alleine auf die katholischen Bischöfe hinzuschieben, sondern ob Kirche gelingt, ob wir Ansprechpartner in der Gesellschaft sind, das sind alles Fragen, wo wir auch als Laien eine große Verantwortung haben. Und deswegen geht es hier auch nicht um ein Gegeneinander zwischen Bischöfen und Laien, sondern es geht nur um ein Miteinander. Und wenn solche Austritte, wie Sie sie gerade beschrieben haben, geschehen, dann sind sie ein Signal für viele andere Gläubige.

Jabs: Im Gespräch mit Deutschlandradio Kultur ist Karin Kortmann, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken. Frau Kortmann, können Sie sich noch erinnern, was Sie am 21. August 2005, also heute vor fünf Jahren gemacht haben?

Kortmann: Ja, das kann ich sehr gut. Das kann ich sehr gut, weil ich in der Zeit beim Weltjugendtag in Köln mit dabei war. Das waren ganz bewegende, tolle und vor allen Dingen auch Mut machende Tage. Wir hatten in der Zeit selber zwei ausländische Gäste, eine Philippinin und einen jungen Amerikaner bei uns in der Familie in Düsseldorf zu Gast. Ich war fast jeden Tag in Köln und kann nur sagen: Das war Aufbruch, wie wir uns einen neuen pastoralen Frühling auch in der katholischen Kirche auf Dauer gewünscht hätten. Leider sind diese Tage nicht so fortgeführt worden, wie sich das viele vor allen Dingen junge Gläubige erwartet haben.

Aber es zeigt eben, dass es eine ganz große Begeisterungsfähigkeit in der katholischen Kirche gibt und dass man auch Hirten braucht, die uns auf diesem Weg begleiten. Der Papst hat es damals hervorragend verstanden, diese Stimmung aufzugreifen, und ich würde ihm so sehr wünschen, dass er sich selber an diese Tage zurückerinnert und sagt, wir können eben auch andere Wege beschreiten. Damals ist er auf dem Rhein geschippert, man muss nicht übers Wasser gehen, aber man muss das Vertrauen haben, dass man gemeinsam auch stark genug ist, sich von alten Zöpfen zu befreien und neue Perspektiven zu eröffnen.

Jabs: Glauben Sie denn, dass diese Begeisterung für den Papst fünf Jahre später in Deutschland überhaupt noch möglich wäre?

Kortmann: Ich glaube, sie würde heute völlig anders aussehen, weil auch ja eine ganze Menge an Enttäuschung in den letzten Jahren festgestellt worden ist. Und die oft doch sehr zögerliche Haltung des Papstes entspricht nicht dem, was die vielen jungen Menschen damals in Köln von ihm auch erwartet haben und was er ihnen damals ja auch bereit war zu geben, nämlich ein offenes Ohr und die Möglichkeit, in die Kommunikation mit ihm einzusteigen. Heute hat man oft den Eindruck, dass die Umfragewerte der katholischen Kirche genau so schnell rapide den Bach hinuntergegangen sind wie die Umfragewerte der FDP. Und wir wollen keine Vergleiche in der Richtung anstellen, aber es zeigt eben, dass, wenn man mal Vertrauen verspielt hat, es ganz, ganz schwer ist, es zurückzuerlangen. Und das ist nicht nur ein verbaler Akt, sondern darauf müssen Taten folgen.

Es muss sichtbare Veränderungen geben und zwar in einer solchen Form, dass man in den Gemeinden spürt, ja es weht wieder der Geist des Zweiten Vatikanischen Konzils, das ist nicht ad acta gelegt worden in den römischen Mauern, sondern es wird das große Buch der Beschlüsse wieder aufgemacht und wir haben alle teil an diesem neuen, wichtigen Ansatz, den die Kirche gehen muss, und der Papst hat es in der Hand, ob er da uns die Möglichkeit gibt, in diesen Zug mit einzusteigen, oder aber die Türen verschließt.

Jabs: Das hört sich ein bisschen so an, als müsste man die katholische Kirche auch ein wenig in eine Zeit vor der Missbrauchsdebatte und in eine Zeit danach einordnen, oder?

Kortmann: Nicht ganz. Wenn Sie mal ein bisschen zurückdenken: Wir hatten schon vor 15 Jahren die Debatten über die Frage, wie viel Demokratie ist in der katholischen Kirche machbar? Damals gab es ein Papier des Zentralkomitees der deutschen Katholiken, "Dialog statt Dialogverweigerung". Dabei sind Ideen gebündelt worden in einer ganz großen, breiten kirchlichen und gesellschaftlichen Bewegung. Aber es ist nichts daraus geworden und dann ist das Ganze sehr abgeflacht.

Und jetzt durch die Missbrauchsfälle ist noch mal eine ganz andere verschärfende Brisanz reingekommen, weil es sich hier um Strafdelikte handelt. Hier geht es nicht mehr nur darum, wie die Kirche sich innerhalb ihrer eigenen Strukturen bewegt, was sie zulässt oder nicht, sondern hier sind Straftaten begangen worden, zum Teil gedeckt worden, nicht aufgeklärt worden, nicht der Staatsanwaltschaft übermittelt worden.

Damit stößt Kirche an eine Grenze, wo sie auch eine gesellschaftliche Akzeptanz verliert und wo sich eben auch die Gläubigen abwenden, weil sie sagen und fragen: Sind unsere Kinder eigentlich dort noch sicher? Und wenn eben Eltern ihre Kinder nicht mehr taufen lassen, nicht mehr in einen katholischen Kindergarten geben, sie nicht mehr motivieren, in katholischen Jugendverbänden mitzuarbeiten, sie selber ihr Engagement in der Kirche reduzieren oder aufgeben, da geht uns zu viel verloren und das muss uns allen sehr, sehr bewusst sein. Das ist nicht eine temporäre Erscheinung, sondern hier geht es wirklich um die Grundsatzfrage, wie viel Bestand die katholische Kirche insgesamt noch hat.

Jabs: Aber Sie haben eben selber gesagt, vor 15 Jahren ist aus vielen Ideen nichts geworden. Was macht Sie denn jetzt zuversichtlich, dass sich die katholische Kirche vielleicht doch verändert?

Kortmann: Ich könnte es mir einfach machen und sagen: Als Katholikin lebe ich nach dem Prinzip Hoffnung. Das wäre aber an dieser Stelle wirklich zu einfach. Schauen Sie, es gibt viele engagierte Menschen, die sagen, wir geben nicht auf. Es gibt jetzt auch die Bewegung der Kirchenvolksbewegung, es gibt viele Gemeinden, die andere Wege gehen und sagen, es ist machbar. Aber wir sind ganz entscheidend darauf angewiesen, dass es innerhalb der Deutschen Bischofskonferenz ein Umdenken gibt. Ich finde zwei Vorsitzende, sowohl Kardinal Lehmann wie auch Bischof Zollitsch, beide haben sie – der eine in seiner Vergangenheit, der jetzt in der Amtsführung – einen sehr offenen, sehr transparenten Kurs. Und ich hoffe doch sehr, dass die Mehrheit der deutschen Bischöfe, der Diözesan- und der Weihbischöfe, diesen Kurs ihrer Vorsitzenden auch mitgehen.

Ohne die Bischöfe wird es nicht gehen und ich will auch keine Kirche ohne Priester und ohne Bischöfe, sondern ich will, dass wir zu einem anderen Miteinander von Laien und Klerikern kommen und die Laien endlich den Stellenwert bekommen, der ihnen auch gebührt. Es gibt eine sehr schöne Beschreibung aus der Apostelgeschichte und in der Apostelgeschichte heißt es: Da beschlossen die Apostel und die Ältesten zusammen mit der ganzen Gemeinde. Da steht nicht: Da beschlossen die Apostel mit den Bischöfen und den Priestern, sondern alle sind eingeladen, mitzutun.

Und ich sage Ihnen, ich hab ein gutes Nervenkostüm und mir ist die Kirche zu wichtig als zu sagen, ich kehre ihr den Rücken. Und deswegen kämpft man auch dafür, dass sich etwas verändert. Und ich bin sicher, es braucht noch viel Zeit, bis manche Strukturen entkrustet werden, aber die Frage, ob Bischöfe verstanden haben und auch der Papst verstanden hat, das ist eine kurzfristige Angelegenheit und da erwarte ich klare Antworten.

Jabs: Frau Kortmann, vielen Dank für das Gespräch!

Kortmann: Gerne!

Jabs: Über die katholische Kirche fünf Jahre nach dem Weltjugendtag und den Rücktritt des geistlichen Leiters der katholischen Journalistenschule in München waren das Einschätzungen von Karin Kortmann, Vizepräsidentin des Zentralkomitees der deutschen Katholiken.
Jugendliche aus aller Welt nehmen im Rheinenergie Stadion in Köln an der Eröffnungsfeier zum Weltjugendtag teil.
Weltjugendtag 2005 in Köln© AP
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