Eine Frau, die sich was traut

28.11.2012
Mit ihrer heute als Tanzpantomime bekannten Stilrichtung performte Valeska Gert Boxer, Polizisten oder Prostituierte – inklusive Orgasmus, versteht sich. Nach ihrer Emigration aus Berlin gründete die Tänzerin 1941 die "Bettlerbar" in New York. Doch der legendäre Club wurde ein wirtschaftliches Desaster.
Als ich im düsteren Keller, barfuß und in farbverschmierten Hosen, die Wand bemalte, kam ein robuster Polizeioffizier, um das Lokal zu inspizieren. "Was machen sie hier?", fragte er unfreundlich. "Einen Nightclub." "Was soll das für ein Nightclub sein?" "Oh, etwas sehr Künstlerisches." "Künstlerisches?" Er schüttelte den Kopf. "Sie bekommen nie Lizenz!"

Der New Yorker Polizist wusste nicht, dass die Frau im Keller eine große Künstlerin war - in den 1920er- und 30er-Jahren frenetisch gefeiert als Erneuerin des Tanzes. Tatsächlich zählte die 1892 in Berlin geborene Valeska Gert zur radikalsten künstlerischen Avantgarde.

Mit ihrer heute als Tanzpantomime bekannten Stilrichtung performte sie Boxer, Polizisten, ja sogar einen Verkehrsunfall. Ihr Aufsehen erregendster Tanz, die Canaille, zeigte eine Prostituierte bei der Arbeit – inklusive Orgasmus. Damit wurde Valeska Gert zum Star. Jahrelang tourte sie durch Europa; erfolgreich als Solotänzerin, später auch als Kabarettistin und Schauspielerin. Als sie von den Nationalsozialisten als entartete Künstlerin diffamiert wurde, emigrierte sie schließlich nach New York.

Doch Valeska Gert wäre nicht Valeska Gert, wenn sie nicht auch dort künstlerisch tätig geworden wäre. 1941 gründete sie die "Bettlerbar von New York". In ihrem gleichnamigen Buch beschrieb sie 1950 die turbulente Geschichte dieses legendären Clubs. Jetzt ist das lange vergriffene Werk neu aufgelegt worden.

Mit 300 zusammengeliehenen Dollar, Second-Hand-Inventar und einem aus dem Bekanntenkreis rekrutiertem Personal wagt sich die damals 49-Jährige in die New Yorker Szene. Vier Jahr betreibt sie ihre Bar und hangelt sich von einer Krise zur nächsten: Sie wird von Nachbarn angefeindet, von Gangstern bedroht und von Künstlerkollegen hintergangen. Als sie endlich von der Bohème entdeckt wird, muss sie auch schon wieder schließen – wegen unerlaubten Alkoholausschanks.

Wirtschaftlich war die Bettlerbar ein Desaster, doch in künstlerischer Hinsicht war sie aufregend, und das allein zählte für Valeska Gert. Man spürt in jeder Zeile, wie sie es genoss, wenn ihr "Dschungel", wie sie die Bar auch nannte, "summte".

Valeska Gert beschreibt das Auf und Ab ihrer Bar ebenso minutiös wie die Stimmung ihres launischen (Laien-)Personals und die der Gäste. Diese Detailtreue könnte auf Dauer ermüdend sein, wären da nicht die regelmäßig eingestreuten Rückblicke in ihre Berliner Zeit. Wunderbar lakonisch und ohne Sentimentalität gibt die Tänzerin hier Wesentliches über sich und ihre Kunst preis. Etwa wenn sie sich als jugendliche Flaneurin über den Kurfürstendamm beschreibt oder ihre in die Geschichte eingegangenen Tänze Revue passieren lässt. Nicht zuletzt eröffnet sie hier auch ein faszinierendes Bild des Lebens im Berlin der Weimarer Republik.

Erfreulich, dass man das heute wieder lesen kann. Auch, weil Valeska Gerts Schreib- ihrem Tanzstil verwandt ist. "Als habe sie mit den Füßen geschrieben", urteilte die Kritikerin Karena Niehoff einmal über Gerts Formulierungskunst. Wie wahr!

Besprochen von Eva Hepper

Valeska Gert: Die Bettlerbar von New York
Steidl Verlag, Göttingen 2012
222 Seiten, 16 Euro