Eine Frage der Definition

24.01.2012
Der französische Senat hat ein Gesetz verabschiedet, das die Leugnung von Völkermorden unter Strafe stellt. Der an der Pariser Sorbonne lehrende Kulturwissenschaftler Jürgen Ritte hält die politische Dekretierung historischer Ereignisse für nicht legitim. In Frankreich gebe es dafür noch mehr Beispiele.
Das Hauptproblem des neuen Gesetzes sei, dass sich die Politik auf ein Feld begebe, das eigentlich den Historikern vorbehalten ist, sagte Ritte, Direktor des Instituts der Etudes Franco-Allemandes von der Universität Sorbonne, im Deutschlandradio Kultur. Es sei eine "Unart, Historisches politisch zu dekretieren".

Die Mehrheit des rechten Lagers sei jedoch dem französischen Präsidenten Sarkozy gefolgt, der der armenischen Minderheit im Lande vor den Präsidentschaftswahlen einen Gefallen tun wollte. In Frankreich lebten mit 500.000 Armeniern zwar nur wenig mehr Menschen mit armenischer Herkunft als solche mit türkischer, jedoch gebe es mehr einflussreiche Armenier als Türken in Frankreich, auch in Sarkozys eigener Partei.

"Der entscheidende Punkt ist, dass es ein solches Gesetz ja schon vor zehn Jahren gegeben hat, im Jahr 2001, und da waren auch ganz explizit die Armenier gemeint. Nur war dies ein eher deklamatorisches Gesetz, das hieß: Frankreich erkannte den Genozid an den Armeniern an. Nun wird das Gesetz ein effektives Gesetz, das heißt: Derjenige, der den Genozid in Frage stellt, setzt sich strafrechtlicher Verfolgung aus, und das kann dann ein Jahr Haft bedeuten oder 45.000 Euro Strafe."

Wie Ritte weiter sagte, hat es in der Vergangenheit schon mehrfach Versuche in Frankreich gegeben, die Geschichte rückwirkend umzudeuten, zum Beispiel bei der Rolle Frankreichs während des Kolonialismus. Was die Massaker an den Armeniern betreffe, sollte man nach Ansicht Rittes auch türkische Historiker mit einbeziehen, um die Wogen wieder zu glätten:

"Die Frage ist, ob das die genaue Definition von Genozid, das ist ja ein von der UNO definiertes Verbrechen, ob das die genaue Definition nun auch erfüllt. Aber das sind Historiker-Debatten und eigentlich keine juristischen."


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Völkermord und Präsidentschaftswahlkampf - Abstimmung zum Genozid-Gesetz in Frankreich steht bevor
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