"Eine First Lady mit Kopftuch in der Türkei kann ich nicht gutheißen"

Moderation: Birgit Kolkmann · 29.08.2007
Die Wahl von Abdullah Gül zum türkischen Präsidenten ist nach Ansicht der Frauenrechtlerin und Juristin Seyran Ates ein Zeichen für die Zementierung der Geschlechtertrennung in der Türkei. Mit der türkischen Präsidentengattin Hayrünnisa Gül nehme das Kopftuch Einzug ins Präsidentenhaus und damit ein Symbol für die Geschlechtertrennung.
Kolkmann: Bis gestern hieß der türkische Staatspräsident Sezer und weil es im Präsidentenpalast von Ankara ein Kopftuchverbot gab, lud er zu Empfängen die Politiker gleich ohne Begleitung ein. Nun ist Abdullah Gül sein Nachfolger, Mitglied der Regierungspartei AKP und ehemaliger Anhänger des Islamisten Erbakan, und in der laizistischen Tradition des Staatsgründers Atatürk verpflichtet, also der Trennung von Staat und Religion. Dennoch will seine Ehefrau Hayrünisa auf das Tragen des Kopftuchs auch bei offiziellen Anlässen nicht verzichten, lässt sich entsprechende Mode anfertigen.

Die Kontroverse darum hält in der Türkei an und auch ein weiteres Thema ist wichtig in der Türkei, nämlich das Urteil des Bundesgerichtshofs gestern in Leipzig. Das sorgt für Diskussionsstoff, denn der so genannte Ehrenmord-Prozess um den Tod der 23-jährigen Deutsch-Türkin Hatun Sürücü in Berlin muss wieder aufgerollt werden. Die Freisprüche für zwei der Brüder wurden aufgehoben. - Über beides wollen wir nun sprechen mit der deutsch-türkischen Frauenrechtlerin und Juristin Seyran Ates. Schönen guten Morgen!

Ates: Guten Morgen!

Kolkmann: Ist dies denn ein sehr deutliches Signal der deutschen Justiz in Richtung Türkei, dass minderjährige Mörder künftig nicht mehr so leicht davonkommen und ihre Komplizen auch nicht?

Ates: Auf jeden Fall! Es war ja so, dass die Freisprüche auch von der türkischen Presse in Deutschland nicht begrüßt wurden, und auch in der Türkei hat sich die Thematik Ehrenmord ganz anders entwickelt als in Deutschland jetzt durch das erste Urteil sozusagen dargestellt. Das Signal ist nicht jetzt unbedingt nur in die Türkei, dass minderjährige Täter nicht einfach davonkommen, denn in der Türkei kommen sie ja auch nicht mehr so einfach davon. Es ist meiner Ansicht nach eher ein Signal in Deutschland für die Verhältnisse, die in Deutschland bisher vorgeherrscht haben, dass keine kulturspezifischen Bonusse vergeben werden und dass man da nun wirklich auch genauer hinschaut in die Strukturen einer Familie, wenn solch ein Mord geschieht, und sich nicht einfach damit abspeisen lässt, wenn ein Geständnis abgegeben wird.

Kolkmann: Was hat die Diskussion um den Mord an Hatun Sürücü im Februar 2005 außerdem bewirkt als eine offenbar nun auch veränderte Sichtweise der Justiz?

Ates: Es hat insgesamt in der Gesellschaft die Thematik detaillierter und viel ernster ins Gespräch gebracht. Es war ja so, dass wir Frauenrechtlerinnen immer wieder kritisiert haben, dass wir in Deutschland große Probleme damit haben, mit archaischen Traditionen als Themen in die Öffentlichkeit zu gelangen, weil immer die Furcht besteht, das wäre rassistisch, fremdenfeindlich, wenn man all diese veralteten Traditionen in der Öffentlichkeit diskutiert, weil sofort die Minderheiten zu Barbaren erklärt würden. Dabei leiden so viele Menschen unter Zwangsheirat. Ehrenmorde geschehen in Deutschland! Das ist gerade seit dem Tod... leider Gottes mussten erst sechs Frauen sterben in kürzester Zeit in Berlin alleine. Dann begann die Diskussion ernsthaft, was macht diese Gesellschaft mit diesen Themen. Denn es ist nicht nur ein Thema, das die Minderheiten betrifft, sondern die gesamte Gesellschaft.

Kolkmann: Kommen wir zur Situation in der Türkei selber. Abdullah Gül ist nun Staatspräsident. Er ist ein Ex-Islamist, aber ein weltgewandter Wirtschaftsfachmann. Was erwarten Sie von ihm in diesem Amt? Wird er die Türkei verändern, Richtung Europa führen?

Ates: Ich bin als Frauenrechtlerin sehr, sehr skeptisch, ob das eine richtige Wahl war. Eine First Lady mit Kopftuch in der Türkei kann ich nicht gutheißen. Ich kämpfe gegen das Kopftuch in aller Deutlichkeit und sage, das ist ein ultimatives Zeichen zur Geschlechtertrennung. Wenn Abdullah Gül, der ja mit 30 Jahren die damals 15-jährige Frau geheiratet hat, die Frau an seiner Seite nun auch so präsentiert und darauf stolz ist, dass das Kopftuch Einzug nimmt ins Präsidentenhaus, und jetzt auch in dem Zusammenhang sofort die Verfassung geändert wird, dass Studentinnen mit Kopftuch an die Universitäten gehen können, geht das meiner Ansicht nach in Richtung Geschlechtertrennung zementieren und geht das in Richtung religiöser Geschlechtertrennung auf jeden Fall.

Ich bin zurzeit sehr pessimistisch, ob die Versprechungen Richtung Demokratisierung im Zusammenhang insbesondere mit Gleichberechtigung der Geschlechter ernst gemeint sind. Ich denke die Zeichen stehen eher dafür, dass es nicht ernst gemeint ist, sondern im Gegenteil in eine andere Richtung geht, dass hier auch in der Türkei wie in anderen auch betucht und reichen islamischen Ländern agiert wird. Denn das dürfen Sie nicht vergessen: wirtschaftlicher Aufschwung bedeutet nicht automatisch Demokratisierung in dem Sinne, wie ich Demokratisierung verstehe.

Kolkmann: Nun könnte man auch sagen, die Ehefrau von Abdullah Gül ist durchaus selbstbewusst. Sie hat zum Beispiel im Ausland studiert, weil sie in der Türkei das Kopftuch an der Universität nicht tragen durfte, und sie sagt, sie verhülle ihren Kopf, aber nicht ihren Verstand. Das klingt durchaus emanzipiert.

Ates: Das ist ja die Debatte, die wir auch in Deutschland immer wieder führen: Es sei nicht wichtig was drauf ist, sondern was drin ist. Ich meine, was da drin ist, das macht ja das, was draußen ist, deutlich. Sie demonstriert ganz klar nach außen, auch wenn sie kein Wort sagt - sie muss ja gar nicht denken, sie muss ja gar nicht sprechen -, sie kleidet sich so, dass sie von dem anderen Geschlecht, dem männlichen Geschlecht unterschieden wird. Es geht um die Geschlechtertrennung. Und wir wissen, für was das Kopftuch steht. Es steht dafür, dass die Frau nicht zur sexuellen Verfügung steht, wenn sie auf der Straße ist, sie soll ihre Reize bedecken vor den Männern. Für all das steht das Kopftuch. Da können mir die ach so klugen und so studierten Frauen nicht alle immer wieder erklären, sie seien emanzipiert, wenn sie das Kopftuch tragen, denn in der Frage der Geschlechtertrennung sind sie es einfach in meinen Augen nicht.

Kolkmann: Es gibt ja nun auch viele die sagen, es hat in der Türkei trotzdem in den vergangenen Jahren so etwas wie eine kleine Kulturrevolution stattgefunden - das ist zum Beispiel heute in einem Kommentar der FAZ zu lesen -, also dass da doch eine ganze Menge dran ist, dass der kranke Mann am Bosporus eben nicht mehr krank ist, sondern sehr, sehr stark.

Ates: Wissen Sie was meiner Ansicht nach ganz einfach passiert ist, dass die Militärs in ihre Schranken gewiesen wurden. Das hat die AKP geschafft. Die hat es geschafft, so viele Menschen auch als Wähler für sich zu gewinnen. Womit haben sie es geschafft? Mit den ganz einfachsten natürlichen Bedürfnissen der Menschen: Man hat eine U-Bahn gebaut, man hat jetzt das öffentliche Verkehrssystem ausgebaut, man hat den Menschen die einfachsten Dinge gegeben, die sie benötigen, und das ist eine kluge Politik ganz einfach. Das ist auch gut.

Diese Sachen sind natürlich geschehen, was aber für mich nicht bedeutet, dass gleichzeitig auch alle demokratischen Prinzipien eingehalten werden, zum Beispiel Religionsfreiheit für Minderheiten und der Schutz von Minderheiten, Menschenrechte, so wie wir sie als allgemeine Menschenrechte verstehen. Insbesondere in Fragen der Frauenthematik sehe ich den Fortschritt nicht. Ich bin jetzt zurzeit in der Türkei. Ich habe bis vor zwei Jahren keine einzige voll verhüllte nach der neuesten Mode türkische Frau hier am Strand gesehen. Inzwischen liegen sie fast wie Sand am Meer hier. Also die Verhüllung der Frau schreitet extrem schnell voran.