"Eine eindeutige Sache"

Marie-Theres Albert im Gespräch mit Liane von Billerbeck · 26.06.2009
Die Inhaberin des UNESCO-Lehrstuhls für Welterbestudien an der TU Cottbus, Marie-Theres Albert, empfindet die Aberkennung des Weltkulturerbe-Titels für das Dresdner Elbtal als konsequent. Dresden sei nicht kompromissbereit gewesen.
Liane von Billerbeck: Darf das Dresdner Elbtal sich weiter Weltkulturerbe nennen, wenn die Stadt mittendurch eine Brücke baut? Nein, lautet die Antwort. Gestern hat die UNESCO-Welterbekommission Dresden den Titel aberkannt. Der berühmte Blick, bekannt von Canalettos Gemälden, wäre massiv beeinträchtigt, wenn da eine Brücke gebaut wird. Die Entscheidung hatte sich ja angekündigt, denn das Elbtal hatte man quasi als Drohung zuerst auf die Rote Liste gefährdeter Kulturgüter gesetzt, um die Dresdner zum Umdenken zu bewegen und auf den von einem Volksentscheid bestätigten Bau der Waldschlösschenbrücke zu verzichten. Was diese Entscheidung der UNESCO für das Weltkulturerbe bedeutet, das wollen wir jetzt von Marie-Theres Albert erfahren. Sie ist an der TU Cottbus Professorin und hat einen von der UNESCO verliehenen Lehrstuhl für Welterbestudien inne. Und sie war gestern bei der Entscheidung des Welterbekomitees dabei. Mit Marie-Theres Albert bin ich jetzt telefonisch in Sevilla verbunden. Ich grüße Sie!

Marie-Theres Albert: Ich grüße Sie auch!

von Billerbeck: Wie schwierig war denn diese Entscheidungsfindung gestern?

Albert: Also es war ein ausgesprochen langer, konstruktiver Diskussionsprozess mit einer also für mich wirklich beeindruckenden Auseinandersetzung mit dem Thema, mit der Frage noch mal erneut mit Welterbe, aber eben auch mit der Bundesrepublik Deutschland als eigentlich einem immer verlässlichen Partner im Rahmen der UNESCO. Also es war wirklich ganz kompliziert, ganz schwierig unter verschiedenen Gesichtspunkten, Gesichtspunkten des Welterbes und seiner Kriterien, aber eben auch der hohen Diplomatie.

von Billerbeck: Welche Staaten waren denn dafür, Dresden trotz des umstrittenen Brückenbaus durch das Elbtal diesen Status zu belassen?

Albert: Ja, das ist eine schwierige Frage. Es war eine geheime Abstimmung, was also nach meinem Wissen auch nicht so häufig vorkommt. Dafür waren, also den Status zu belassen, kann man so nicht sagen. Es gab einen Antrag beispielsweise von Ägypten, zu sagen, also wir versuchen doch einfach noch mal, mit der Verlängerung, mit einer einjährigen Verlängerung noch mal einzuwirken auf die Dresdner Landesregierung, aber auch auf die Bürgermeisterin und auf die Stadt, um zu versuchen, ob nicht doch noch eine Tunnellösung sein kann. Das war ein Antrag von Ägypten, der dann auch von Marokko unterstützt wurde. Letztendlich weiß man nicht, wer was gestimmt hat, denn wie gesagt, es war eine geheime Abstimmung. Und von 21 Mitgliedern des Welterbekomitees haben 14 für die Aberkennung des Titels gesprochen, fünf haben votiert, das Erbe noch ein Jahr länger auf der Liste zu lassen, und zwei haben sich enthalten.

von Billerbeck: Bloß die Dresdner wollten ja nicht einlenken, sie haben auf der Entscheidung ihres Volksentscheids beharrt, also da war ja eigentlich gar nichts zu erwarten?

Albert: Nein, da war eigentlich nichts zu erwarten. Insofern war es auch eine eindeutige Sache, und insofern war auch aller, also unsere Erwartungshaltung auch, wir wären also alle sehr enttäuscht gewesen, wenn dieser Titel jetzt also beibehalten worden wäre, weil es war nicht mehr … Auch die Bürgermeisterin hat ja noch mal gesprochen und noch mal gesagt, nein, wir bauen die Brücke weiter und wir müssen sie weiterbauen. Und insofern wäre nicht viel anderes zu erwarten gewesen. Nichtsdestotrotz ist das erste Mal in der Geschichte der Welterbekonvention, dass ein Titel durch das Komitee aberkannt wird, und es ist das erste Mal, dass auch ein Land wie die Bundesrepublik Deutschland so, auch diplomatisch ja, also in der Diskussion damit steht. Und das ist schon eine ganz, ganz, ganz schwierige Entscheidung gewesen, denn die Bundesrepublik ist wirklich nicht nur ein guter Beitragszahler in der UNESCO, sondern es ist eigentlich auch, wir sind verlässliche Partner. Das wurde auch immer wieder gesagt und es wurde auch immer wieder hervorgehoben. Und insofern hat man natürlich auch eine Entscheidung nicht nur gegen Dresden getroffen, sondern auch gegen die Bundesrepublik getroffen. Und das war schon nicht einfach.

von Billerbeck: Eigentlich hat ja eine Stadt wie Dresden damit die Bundesregierung und die Bundesrepublik ein bisschen desavouiert. Nun sagen ja viele Stimmen, dieser Titel sei rein symbolisch. Die Touristen kommen trotzdem nach Dresden, auch ohne dass es Weltkulturerbe heißt. Wie groß, Frau Albert, ist denn der Verlust nun wirklich? Gehen da Fördermittel verloren, was kostet diese Aberkennung?

Albert: Also diese Aberkennung hat im Vorfeld zumindest dazu beigetragen, dass also Dresden aus dem Programm des Bauministeriums, das auch letztendlich für die Erbestätten zuständig ist, kein Geld bekommen hat. Es wurden 150 Millionen verteilt im Rahmen des Konjunkturprogramms, um die Welterbestätten mittels der Inanspruchnahme von kleinen Unternehmen zu sanieren und ihnen also da einfach auch eine Infrastrukturverbesserung dafür zu sorgen. Dresden hat also erst mal im Vorfeld bereits also da gar nichts bekommen. Und ich denke auch, nee, also das ist erst mal auf dieser Ebene, es ist nicht so sehr insgesamt, es ist nicht so sehr die Frage, ob jetzt die eine oder andere Welterbestätte Geld bekommt, sondern es ist die Frage, inwieweit die damit betroffene Bevölkerung, aber auch also die in den Ländern lebenden Leute von dieser Auszeichnung, ein Welterbe zu haben, wie sie sich damit identifizieren. Es ist eine Ehre und es ist eine Anerkennung und es ist vor allen Dingen etwas, mit dem man nachweist, also wir haben im Laufe der Geschichte einen wichtigen Beitrag geleistet, der heute noch anerkannt wird. Das ist eigentlich die Auszeichnung. Es geht auch nicht um Touristen dabei.

von Billerbeck: Halten Sie es für möglich, dass die UNESCO, wenn die Brücke denn gebaut ist in Dresden und die Ufer begrünt, sagt, ach, so schlimm sieht’s gar nicht aus, ihr kriegt den Titel als Weltkulturerbe zurück?

Albert: Nein, das ist definitiv ausgeschlossen. Das ist definitiv ausgeschlossen. Also dieser Titel ist weg, und für das Elbtal gibt es nicht noch mal einen, egal was die Bürgermeisterin dazu sagt, ich habe gestern die Presseerklärung auch gehört. Das ist Unsinn, das gibt’s nicht. Was es gibt, ist, dass also die UNESCO möglicherweise – das war auch dann nachher ein Beschluss – sagt, ihr könnt gerne noch mal einen neuen Antrag stellen mit all den Kriterien, die jeder andere auch erfüllen muss, und der ist dann also bezogen auf etwas vielleicht im Rahmen dieses Elbtals, aber vielleicht ist es auch etwas ganz anderes. Aber es ist nicht so, dass also, die Brücke ist gebaut und das Ufer begrünt und jetzt gibt’s den Titel zurück, weil’s alles so schön ist. Also das definitiv nicht.

von Billerbeck: Eine Debatte, die in diesem Zusammenhang ja immer geführt wird, ist die Frage nach der Veränderungsmöglichkeit solcher Weltkulturerbestätten. Dresden ist wie andere solche Stätten eine lebendige Stadt, das verändert sich, das wird moderner, da gibt’s eine Verkehrsplanung et cetera, und es wird innerhalb dieser Diskussion ja auch immer an den Streit um das Blaue Wunder erinnert im 19. Jahrhundert, also diese Brücke in Loschwitz in Dresden, die damals auch Debatten hervorgerufen hat und heute ein Denkmal ist. Frage also: Wie weit dürfen sich Weltkulturerbestätten verändern, wie lebendig dürfen die bleiben?

Albert: Also das ist eine wirklich wichtige Frage, die auch jetzt, also gestern, auch diskutiert wurde, die aber auch in Zukunft verstärkt in der UNESCO diskutiert werden muss und auch wird. Man kann Erbestätten nicht musealisieren. Wir leben in einer wirklich dynamischen Welt, und das erfasst natürlich auch solche Erbestätten. Das heißt, man kann nicht Auflagen erteilen, die die Städte nicht erfüllen können oder die die Infrastruktur rückentwickeln. Das ist aber auch nicht das Interesse der UNESCO. Es geht darum, also auch die Dynamik der Gesellschaft, die Modernisierung mit einzubeziehen in die Kategorien, um zu sehen, wie man beides hinbekommt. Es wäre ja auch in Dresden möglich gewesen, hätte man einen Tunnel gebaut. Es war gestern, auch um noch mal auf Dresden zu kommen, es waren Vertreter der Bürgerinitiative da, die also eine ganze Reihe von wichtigen Gutachten auch zum Brückenbau beigesteuert haben und auch nachgewiesen haben, dass es einfach anders möglich ist. Man kann den Titel behalten, wenn man einen Tunnel baut, oder man hätte ihn behalten, hätte man den Tunnel gebaut. Also es ist nicht so, dass diese UNESCO-Konvention so rigide gehandhabt wird, dass nun überhaupt keine Entwicklung mehr möglich ist, im Gegenteil. Nur man muss es diskutieren und man muss es natürlich dann auch wollen, und das war in Dresden nicht der Fall.

von Billerbeck: Nun ist diese Entscheidung ja auch eine Entscheidung für andere Orte, es wird sehr genau hingehört, was da gerade entschieden worden ist, diese Aberkennung des Dresdner Titels, die bedeutet ja auch was. Sie bedeutet auch eine Aufwertung der UNESCO, die ja dadurch auch eine große Aufmerksamkeit bekommen hat.

Albert: Genauso sehe ich das auch, und das war für mich auch eine wichtige Signalwirkung. Denn die Ambition, Brücken zu bauen, ist ja nicht nur in Dresden oder der Bedarf – formulieren wir es mal positiv – ist ja nicht nur in Dresden. Es ist einfach nötig, dass man sich also, wie ich das eben schon sagte, der modernen Entwicklung anpasst. Aber man muss es versuchen zu kombinieren mit dem jeweiligen Kriterium, nach dem jetzt also so eine Welterbestätte nominiert worden ist. Und in diesem Falle war es also wirklich die Integrität, also hier war es wirklich die Schönheit, die erhalten werden sollte. Und in anderen Städten ist es möglicherweise eine andere, wenn eine Straße gebaut werden soll, wird möglicherweise ein anderes Kriterium herangezogen. Also es geht, wenn man es konstruktiv von vorneherein mit den jeweiligen zuständigen Gremien, in diesem Falle war das also der Weltdenkmal-Pflegeverband, diskutiert und auch versucht, Lösungen zu finden.

von Billerbeck: Marie-Theres Albert von der TU Cottbus über die Folgen, die die Aberkennung des Titels Weltkulturerbe für das Dresdner Elbtal hat. Ich danke Ihnen!