Eine Autorität in Arabien

Von Jürgen König · 02.03.2011
Fadhil al-Azzawi floh 1977 aus dem Irak nach Deutschland. Seitdem lebt er hier, publiziert aber nach wie vor in fast allen arabischen Ländern, wird dort in hohem Maße respektiert, gilt auch den Jüngeren als Autorität. Doch hierzulande ist er noch zu entdecken.
Ein zurückhaltender, überlegender, vorsichtiger, bescheidener Mann sitzt einem gegenüber: Fadhil-al-Azzawi. 1940 in Kirkuk im Norden des Irak geboren, mit 14 Jahren schon veröffentlicht er Gedichte in einer libanesischen Zeitschrift, Gedichte über: den Menschen, mit seinem Suchen und Leiden und gelegentlichem Verzweifeln am Leben und dann doch wieder: mit seiner ewigen Hoffnung auf bessere Zeiten. Was die Schönheit eines Gedichtes ausmacht, seine innere Notwendigkeit?

"Ja, es soll irgendwas Menschliches an uns erreichen. Es ist immer so, wenn ich ein Gedicht schreibe, entdecke ich mich ein Stück mehr, besser. Es ist eine Reise an mich, auch, ja."

In Bagdad, damals eine pulsierende, kulturell reiche Metropole, studiert Fadhil-al-Azzawi englische Literatur. Nach dem Sturz der Monarchie und der Ermordung König Feisals II. 1958 engagiert sich Fadhil-al-Azzawi in der demokratischen Linken – schreibt und redet gegen die Nationalisten, wird mehrfach inhaftiert. 1963 kommt es zum Umsturz, Staatschef General Kassem wird erschossen, die später dauerhaft regierende Baath-Partei terrorisiert das Land mit einem monatelangen Blutbad im Kampf um die Macht. Auch Fadhil-al-Azzawi wird inhaftiert; schreibt noch auf Zigarettenpapier seine Gedichte, schmuggelt sie aus dem Gefängnis. Über seine Hafterfahrungen erzählt er nur ungern, zögerlich.

"Eigentlich hab ich versucht, meine Erfahrungen, Gefängnis und so ,in einem Roman zu nützen. So hab ich einen Roman geschrieben, "Cell Block 5", das ist ein Teil von einem Gefängnis, sehr bekannt in Bagdad, ich war da. Natürlich: es war sehr schwierig, es war möglich, dass sie mich töten. Sie haben viele Leute auch ermordet, und ich bin gefoltert worden. Es war auch eine sehr große Erfahrung, ich hab viele, viele Leute getroffen, einige, die waren bereit zu sterben. Andere versuchten sich zu retten. Verschiedene Typen von Leuten."

Sieben Romane hat Fadhil-al-Azzawi bisher geschrieben, darunter "Die letzten Engel", eine Hommage an seine Heimatstadt Kirkuk, eine lakonisch-ironische Schilderung des multikulturellen und multireligiösen Lebens im Irak in den 50er und 60er Jahren. Seine Hafterfahrungen hat Fadhil-al-Azzawi immer wieder beschrieben; 1972 schon erscheint der Roman "Die Fünfte Festung"; er spielt Anfang der 60er Jahre in einem irakischen Gefängnis, erzählt die Geschichte eines jungen Mannes, der eines Tages grundlos verhaftet wird, mit gnadenlos genauem Blick seziert Fadhil-al-Azzawi die allmähliche innere Zerstörung dieses Mannes durch die Gefängniswelt.

Der Schriftsteller Thomas Lehr, der sich für seinen jüngsten Roman "September Fata Morgana" oft mit Fadhil al-Azzawi getroffen hat und ihn in seinem Nachwort dankt – ohne wäre sein Roman nicht zustande gekommen – Thomas Lehr vergleicht Fadhil-al-Azzawi mit Franz Kafka und Imre Kertesz, der Roman "Die Fünfte Festung" entwickele sich zu einer "Allegorie der Gefängniswelt, wenn nicht gar zu einer Allegorie der Welt als Gefängnis". 2007 erschien der Roman in den USA mit großer Resonanz; hartnäckig müht sich Thomas Lehr, für seinen Freund Fadhil-al-Azzawi auch einen deutschen Verlag zu finden, bisher gibt es bei uns einen einzigen Gedichtband von ihm. 10 Gedichtbände hat er geschrieben, er gilt als der große Modernisierer nicht nur der irakischen, sondern der gesamten arabischen Lyrik. 10 Übersetzungen hat er vorgelegt, darunter Musils "Mann ohne Eigenschaften", und auch drei Bände mit Essays hat Fadhil-al-Azzawi veröffentlicht- und wird auch dafür heute noch angesehen in der gesamten arabischen Welt.

1977 muss Fadhil-al-Azzawi - nach ständigen Bedrohungen durch das Regime von Saddam Hussein - den Irak verlassen. Er flieht nach Leipzig, zieht später nach Berlin, wo er heute noch lebt. Wo seine Heimat ist? Wo er sich zuhause fühlt? Schwierige Fragen.

"Meine Heimat ist, wo die Freiheit ist. Natürlich bin ich immer noch mit dem Irak verbunden, ich bekomme jeden Tag E-Mails, Briefe, Bücher, die Leute schicken mir ihre Manuskripte, aber ich fühle mich auch wohl hier. Es war sehr wichtig für mich, mich frei zu entwickeln. Auch es war sehr schwierig, im Irak Bücher zu bekommen – jetzt kann ich das machen! Oder... hab ich das immer hier in Deutschland gemacht. Und das ist sehr wichtig für jeden Schriftsteller. Und es ist auch zu sagen, ich lebe mit meiner Familie und fühle ich mich irgendwie auch zuhause."

In den Irak zurückgehen? Ja, warum nicht, aber die Angst ist doch groß, von amtierenden, bekannten Politikern als Aushängeschild benutzt zu werden. Das Interesse dieser Politiker, bis hinauf zum Ministerpräsidenten Nuri al-Maliki sei groß, sich – zum Beispiel – mit Besuchen von angesehenen Schriftstellern zu schmücken, ihre Zustimmung als Beleg für die eigene Rechtschaffenheit und ihr ehrliches Interesse an einem demokratischen Wandel des Iraks zu verkaufen - dabei seien sie doch alle, und das sei das größte Problem: korrupt.

"Jeden Tag lesen wir die Skandale über die Leute, die Millionen nahmen oder stahlen. Seit acht Jahren gibt es keinen Strom im Irak, oder nur für zwei Stunden am Tag. Es gibt kein reines Wasser und die – die nehmen vom Erdöl Milliarden ein! So ein reiches Land, ein armes Volk."

Dem Umbruch in den arabischen Ländern begleitet Fadhil Al-Azzawi mit größtem Interesse – und voller Hoffnungen.

"Für mich es ist die Stunde der Freude, nach meiner Meinung ist im Jahre 2011 eine neue arabische Welt geboren. Die Leute wollen jetzt alles ändern diese Regime sind alle Diktaturen, und sie machen alles: Folter, Gefängnis, alles erlaubt für sie! Die Leute haben das erlebt, aber jetzt... sie haben keine Angst mehr. Plötzlich verloren alle ihre Angst, und jetzt wollen sie: alles ändern. Und ich glaube, in den kommenden Jahren... wir werden eine andere, neue arabische Welt erleben."

Fadhil Al-Azzawi – ein großer irakischer Schriftsteller ist, der uns den Irak sehr viel besser verstehen lässt, Fadhil Al-Azzawi ist - hoffentlich – bald auch in Deutschland zu entdecken.