"Eine außerordentliche Gefahr"

Burkhard Hirsch im Gespräch mit Gabi Wuttke · 04.08.2010
Darf die Bundeswehr innerhalb Deutschlands militärische Mittel einsetzen? Nein, sagt der frühere Innenminister Burkhard Hirsch mit Blick auf eine Debatte am Bundesverfassungsgesicht. Der FDP-Politiker warnt davor, "sozusagen im Inland den Krieg zu erklären".
Gabi Wuttke: Ein Passagierflugzeug, das von Terroristen als Waffe eingesetzt wird, es darf in Deutschland nicht mit militärischen Mitteln aus dem Verkehr gezogen werden, weil es gegen das Grundgesetz verstößt. So hatte der erste Senat des Bundesverfassungsgerichts vor vier Jahren geurteilt. Trotzdem ist dieses Luftsicherheitsgesetz nicht vom Tisch, denn zum einen hat Karlsruhe nur Teile davon zerpflückt, zum anderen liegt dem Zweiten Senat noch immer eine Normenkontrollklage der Länder Bayern und Hessen vor. Burkhard Hirsch ist am Telefon, der ehemalige FDP-Innenminister hatte mit seiner Verfassungsbeschwerde vor dem Ersten Senat 2006 Erfolg. Guten Morgen, Herr Hirsch!

Burkhard Hirsch: Schönen guten Morgen!

Wuttke: Die Normenkontrollklage hat das Ziel, dem Urteil gegen den Einsatz der Bundeswehr im Inneren den Boden zu entziehen. Mit welchen Argumenten der Länder soll eine Sicherheitslücke festgestellt werden?

Hirsch: Die beiden Länder vertreten die Meinung, dass der Einsatz der Bundeswehr im Innern einer Verfassungsänderung bedarf. Das kann man mit Fug und Recht auch so sagen. Und ich habe den Eindruck, dass der Zweite Senat beabsichtigt zu sagen, das sei nicht nötig, weil schon das geltende Recht den Einsatz militärischer Mittel im Inland erlaube. Der Erste Senat hat gesagt, also was immer ihr macht, jedenfalls dürft ihr ein besetztes Flugzeug, in dem sich nicht nur Täter, sondern auch Opfer befinden, das dürft ihr nicht abschießen. Es ist nach der geltenden Verfassung, nach dem Artikel 1 unseres Grundgesetzes grundsätzlich undenkbar und verboten, dass der Staat vorsätzlich Unschuldige tötet. An diesem Satz beginnt also eine große Diskussion, nämlich ob denn die Bundeswehr im Inland militärische Mittel einsetzen darf.

Der Erste Senat hatte gesagt, wenn die Bundeswehr im Wege des Artikels 35 der Verfassung tätig wird, dann ist das ein polizeilicher Einsatz, dann unterliegt sie dem Polizeirecht des Landes, in dem sie tätig wird, und sie darf nur die Waffen einsetzen, die für die Polizei zulässig sind. Und der Zweite Senat scheint die Meinung vertreten zu wollen, dass man zwar nicht Unschuldige töten darf, das wird nicht bezweifelt, aber dass die Bundeswehr auch militärische Mittel einsetzen darf. Und da wird die Sache ganz gefährlich, denn militärische Mittel sind ja alle Mittel, die die Bundeswehr im Verteidigungsfall einsetzen darf, also Sprengkörper aller Art, Bomben, Boden-Luft-Raketen, Handgranaten, Maschinengewehre, was immer. Und das genau hatten wir schon vor vielen Jahren für die Polizei abgeschafft. Sie darf keine Explosivwaffen einsetzen, sie darf keine Maschinengewehre einsetzen, sie ist eben Polizei, und wir führen im Inland keinen Krieg.

Wuttke: Herr Hirsch, Andreas Voßkuhle ist nicht nur der neue Präsident des Bundesverfassungsgerichts, sondern auch Vorsitzender eben jenes Zweiten Senats. Er hat schon im Februar deutlich gemacht, mit der Entscheidung der Kollegen des Ersten Senats nicht zufrieden zu sein. Was dürfte sich da gerade hinter den Türen des Bundesverfassungsgerichts abspielen?

Hirsch: Ja, genau das. Ich glaube, dass Richter des Zweiten Senates meinen, wenn wir den Einsatz militärischer Mittel im Inland nicht erlauben, wird die Politik hergehen und die Polizei mit solchen Waffen ausrüsten. Ich halte das für falsch und halte das für einen ganz gefährlichen Weg. Denn wenn wir militärische Waffen im Inland einführen, dann sind das Waffen, die sich eben nicht nur gegen einen Täter richten, sondern Waffen, die notgedrungenerweise Kollateralschäden herbeiführen, also andere Unbeteiligte töten.

Beispiel: Die Polizei darf auf einen Täter selbst dann schießen, wenn er eine Lebensgefahr bedeutet und sich in einer Menschenmenge befindet und dadurch andere gefährdet werden. Die Bundeswehr dürfte im Kriegsfall die ganze Menschenmenge erschießen, in der sich Täter befinden. Ich fände es eine außerordentliche Gefahr und ein außerordentliches Problem, wenn wir den Staat ermächtigen würden oder die Bundesregierung, die ja dann die Entscheidung treffen soll, ermächtigen würden, sozusagen im Inland den Krieg zu erklären. Das könnte …

Wuttke: Diese Normenkontrollklage …

Hirsch: Das konnte Kaiser Wilhelm nach der Verfassung von 1871, aber das haben wir Gott sei Dank hinter uns.

Wuttke: Diese Normenkontrollklage wurde ja auch schon vor Jahren eingereicht – wer reaktiviert so was eigentlich, der Kläger oder der zuständige Senat?

Hirsch: Also der Kläger muss schon seine Klage aufrechterhalten. Ich glaube, nachdem alle Bemühungen, auch damals der Großen Koalition, eine Verfassungsänderung herbeizuführen, Gott sei Dank damals an der SPD gescheitert sind, aber an den Liberalen natürlich auch, wird nun versucht, auf diesem Wege ohne Verfassungsänderung die Bundeswehr im Inland aktivieren zu können. Das ist der Impetus, die Absicht, die dahintersteht, und die Länder Bayern und Hessen betreiben dieses Geschäft.

Wuttke: Zwei Senatsmeinungen bei zwei Klagen, aber in ein und derselben Sache, die stehen sich gegenüber, hat es das schon mal gegeben?

Hirsch: In dieser Form und in einer solchen Frage nein. Bei Verfahrensfragen hat es das gegeben, aber in einer solchen wirklich auch politisch außerordentlich brisanten Sache noch nicht, es würde dann der Große Senat zusammentreten, das sind also beide Senate gemeinsam, die eine Entscheidung treffen müssen. Und ich kann nur hoffen, dass es bei dem Satz bleibt, der uns eigentlich seit Beginn der Bundeswehr begleitet hat, bei dem Grundsatz nämlich, dass die Bundeswehr zur Verteidigung eingesetzt wird, also gegen einen militärischen Angriff von außen, aber nicht zur Lösung innenpolitischer Fragen.

Und wie dicht wir an diesem Problem sind, zeigen Vorgänge wie der G8-Gipfel oder die Fußball-Weltmeisterschaft, wo in der Bundesrepublik jeweils an die 3000 Soldaten eingesetzt wurden, 14 Tornados im Tiefflug, Minenjagdboote, neun Panzerspähwagen, also wo man gesagt hat, na, es ist doch alles nicht so schlimm, diese Tornados hatten ja zwar Bordwaffen, aber sie waren nicht geladen. Also da kommen wir in eine Zone hinein, wo die Bundeswehr und die Regierungen dann in die große Gefahr geraten, die Bundeswehr eben im Inland auch bei politischen Problemen einzusetzen.

Wuttke: Trotzdem, Herr Hirsch, noch mal die Verfahrensfrage: Was passiert denn, wenn beide Seiten auf ihrer jeweiligen Position beharren?

Hirsch: Dann haben wir ein Patt, und ein Patt bedeutet Nein. Beide Senate haben acht Richter, wenn der Große Senat Stimmengleichheit behält, dann würde die Vorstellung des Zweiten Senates, der von der Rechtsprechung des Ersten Senates abweichen will, mit Nein beantwortet, dann geht es eben nicht. Gott sei Dank, das wäre schön.

Wuttke: Das Bundesverfassungsgericht und die innere Sicherheit. Dazu der FDP-Politiker Burkhard Hirsch, der vor dem Ersten Senat in Karlsruhe vor vier Jahren seine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen das Luftsicherheitsgesetz durchsetzen konnte. Herr Hirsch, besten Dank und schönen Tag!

Hirsch: Vielen Dank, Wiederhören!

Wuttke: Wiederhören!