"Eine absolute Katastrophe"

Michael Seufert im Gespräch mit Ute Welty · 25.04.2013
Vor 30 Jahren brachte der "Stern" seine Hitler-Tagebücher heraus. Als klar wurde, dass die Werke gefälscht waren, blieben Hohn und Spott. Nach Meinung des Ex-"Stern"-Redakteurs Michael Seufert besteht auch heute in vielen Redaktionen die Gefahr, dass die Sorgfalt für eine gute Schlagzeile geopfert wird.
Ute Welty: "Die Geschichte des Dritten Reiches muss in großen Teilen neu geschrieben werden." - Vollmundiger geht es kaum und so mancher beim "Stern" hätte diese Worte gerne zurückgeholt. Heute vor 30 Jahren präsentierte das Hamburger Magazin die Fälschungen des Konrad Kujau als Weltsensation und lieferte unfreiwillig die Vorlage für einen hinreißenden Film namens "Schtonk" und einen grandiosen ersten Satz:

O-Ton aus dem Film "Schtonk":
"- "Jetzt weiß ich, was es heißt. Ist ja ungeheuer. Das ist ja von einer solchen menschlichen Größe, von einer so schonungslosen Wahrhaftigkeit."
- "Jetzt sagen Sie schon, wie heißt es denn?"
- "Es heißt: 'Die übermenschlichen Anstrengungen der letzten Zeit verursachen mir Blähungen im Darmbereich und Eva sagt, ich habe Mundgeruch.'"
- "Das ist ja wirklich…das ist ja… das ist ja sensationell. Adolf Hitler privat, ein Mensch wie Du und ich.""

Welty: "Hitler ein Mensch wie Du und ich" in der Parodie. In der Realität dürfte auch Michael Seufert zwischenzeitlich das Lachen vergangen sein. Er war damals Redakteur beim "Stern" und hat ein Buch über diese aufregende, ja fast dramatische Zeit geschrieben: "Der Skandal um die Hitler-Tagebücher". Guten Morgen, Herr Seufert.

Michael Seufert: Schönen guten Morgen, Frau Welty.

Welty: Wie sehr holt Sie die Geschichte Ihres ehemaligen Arbeitgebers und damit auch Ihre eigene Berufsbiografie immer wieder ein an diesem 25. April - allein schon dadurch, dass Neugierige wie ich Sie anrufen?

Seufert: Ich habe vor fünf Jahren dieses Buch geschrieben, weil meine Tochter sagte: "Du erzählst immer so komische Geschichten, jetzt schreib das doch mal auf." Ich wollte das eigentlich gar nicht, aber dann hatten fünf Jahre zuvor der Tagebuchbeschaffer Gerd Heidemann, damals Starreporter beim "Stern", und sein Ressortleiter Thomas Walde ihre Interpretationen verbreitet, und das war so hanebüchen, dass ich gesagt habe: "Nee, also, zum 25. Jahrestag, da möchte ich jetzt 'mal alles aufschreiben." Das habe ich getan und beim Schreiben war es mir immer so, dass ich zwischen Wutanfällen und homerischem Gelächter geschwankt habe, weil es eine so abenteuerliche Geschichte ist. Man mag es gar nicht glauben, dass das in so einem großen Verlag möglich gewesen ist.

Welty: Welches Gefühl überwiegt heute?

Seufert: Eigentlich das Lachen.

Welty: Da hilft der Abstand wahrscheinlich auch?

Seufert: Das ganz bestimmt. Damals war das für uns eine absolute Katastrophe, denn ich als "Stern"-Redakteur war damals überzeugt davon, dass die Tagebücher echt sind, weil ich mir nicht vorstellen konnte, dass der "Stern" so etwas veröffentlicht, ohne alles genau geprüft zu haben, wie wir das normalerweise mit viel undramatischeren Geschichten gemacht hatten. Und es war eben eine Lähmung in der Redaktion, als dann offiziell verkündet wurde, die Tagebücher sind falsch. Wir haben damals intensiv gestritten über die Tagebücher, aber nicht, um die Frage "Echt oder nicht echt?", sondern wie die Tagebücher präsentiert wurden im "Stern". Und das war nahe an einer PR-Show von Adolf Hitler. Von seinen Verbrechen war da wenig zu sehen, und das hat uns wahnsinnig aufgeregt, und darüber wurde gestritten.

Welty: Waren die Hitler-Tagebücher der Sündenfall der modernen Mediengesellschaft? Würden Sie so weit gehen und das so definieren heute, 30 Jahre danach?

Seufert: Ja, sehr. Auf jeden Fall würde ich das so sehen. Und das Fatale war ja, dass hier von Anfang an bei Gruner + Jahr - das ist der Verlag, in dem der "Stern" erscheint - die Welt auf dem Kopf stand, denn Heidemann und Thomas Walde sind ja nicht zur Chefredaktion gegangen mit ihrem tollen Projekt, sondern direkt zum Vorstandsvorsitzenden, und der hat entschieden, die Chefredaktion erfährt davon nichts. Er wollte offensichtlich selber mal Chefredakteur sein und hat gesagt, wir beschaffen das, zwei Millionen zeichne ich frei, und dann kaufen wir diese 27 Tagebücher. Es sollten ja an und für sich 27 sein.
Dann hat ja Gerd Schulte-Hillen als Vorstandsvorsitzender nicht zwei Millionen, sondern 9,34 Millionen investiert, und es waren nicht 27 Tagebücher. Adolf Hitler wurde immer fleißiger: zum Schluss waren es 60. Und es gab sogar Dopplungen. Für das erste Halbjahr 1935 gab es einen Halbjahresband und zwei Vierteljahresbände. Sie merken schon: Es hätte doch klingeln müssen bei den Beteiligten. Aber es war nur eine winzige Gruppe von Leuten daran beteiligt, und da herrschte absolute Bunkermentalität.

Welty: Wenn so viel Geld eine Rolle gespielt hat und wohl auch so viel Eitelkeit und so viel Nicht-Wissen-Wollen, wundert es Sie da nicht, dass sich eine solche Geschichte in dieser Form nicht wiederholt hat? Denn man kann ja nicht unbedingt davon sprechen, dass der Druck auf die Medien weniger geworden ist, was die Schlagzahl und die Schlagzeilenzahl angeht.

Seufert: Na also, da wäre ich vorsichtig. Erinnern Sie sich an die in Serie gefälschten Interviews mit Hollywood-Größen, die das Magazin der "Süddeutschen Zeitung" veröffentlicht hat, oder erinnern Sie sich an die Fernsehreportagen, die auch gefälscht waren, die im Privatfernsehen und auch in öffentlich-rechtlichen Sendern gesendet worden sind, Geschichten, wo man eigentlich sagen konnte, das kann man gar nicht filmen, da kann man nicht dabei sein. Aber dann, immer wenn es ums große Geld geht, dann fallen die normalen Hürden.

Welty: Wir haben also nichts gelernt aus dieser Affäre?

Seufert: Doch, ich glaube schon. Aber es besteht immer die Gefahr, wenn viel Geld im Spiel ist, dass dann die Sicherungen durchbrennen.

Welty: 30 Jahre Hitler-Tagebücher - Eindrücke, Erinnerungen und Einschätzungen des ehemaligen "Stern"-Redakteurs und Autors Michael Seufert hier in Deutschlandradio Kultur. Danke schön dafür.

Seufert: Vielen Dank - auf Wiederhören.

Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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Im April 1983 veröffentlichte der "Stern" die vermeintlichen Tagebücher von Adolf Hitler
Im April 1983 veröffentlichte der "Stern" die vermeintlichen Tagebücher von Adolf Hitler.© dpa / pa / Miriam Schmidt