Einblicke in Shakespeares Leben

Shakespeares Totenmaske
Shakespeares Totenmaske © AP
Rezensiert von Edelgard Abenstein · 30.09.2005
Er ist einer der größten Dichter der Weltliteratur, aber über ihn ist weniger bekannt als über viele seiner Zeitgenossen. Kein Brief überlebte ihn, als er starb. Was wir von ihm haben, sind ein paar Schriftsätze aus Prozessen – und ein unsterbliches Werk.
Die ein oder zwei Abbilder, die wir von ihm kennen, zeigen ein eindrucksvolles Gesicht, aber mit Sicherheit kann niemand sagen, ob es ihn wiedergibt: William Shakespeare.

Eine im letzten Jahr erschienene, vielgerühmte Biographie liegt nun als Hörbuch vor. Es lesen Stephan Benson, der vor knapp zehn Jahren auf der Bühne des Hamburger Ernst-Deutsch-Theaters als Romeo zu erleben war, und Maria Hartmann, die neben zahlreichen Rollen in Fernsehspielen derzeit in dem Dauerbrenner des Berliner Renaissance-Theaters "Freunde zum Essen" zu sehen ist.

"Ein junger Mann aus einer kleinen Provinzstadt – ein Mann ohne ererbten Reichtum, der weder über einflussreiche familiäre Beziehungen verfügt noch über ein Universitätsstudium – siedelt gegen Ende der 1580er Jahre nach London über und wird in bemerkenswert kurzer Zeit zum größten Dramatiker nicht nur seiner Zeit, sondern aller Zeiten. Er bringt sein Publikum zum Lachen und zum Weinen, seine Werke sprechen Gebildete wie Ungebildete an, kultivierte Städter ebenso wie Provinzler, die zum ersten Mal ins Theater gehen."

Sein Leben – eine einzige Erfolgsstory. Bloß, wie verfährt man als Biograph, wenn jenseits der Komödien, Tragödien, Historienspiele, der Sonette rein gar nichts Schriftliches überliefert ist, kein Brief, kein Tagebuch, keine Haushaltskladde, nicht ein persönliches Dokument, von einigen Urkunden abgesehen.

Der in Harvard lehrende Stephen Greenblatt leitet die Fülle von Shakespeares Leben direkt aus seinem Werk ab. So ist seine Biographie auch ein Kompendium von längeren und kurzen Zitaten aus Stücken und Sonetten. Aus dieser Mischung bezieht das Hörbuch seinen Reiz, dürfen doch die Sprecher unmittelbar aus dem Sachbuchton in den der kunstvollen Rede verfallen, vom Falsett bis zum rotzigen Genuschel.

"Es steht außer Zweifel, dass William Shakespeare schon im Kindesalter professionelles Theater gesehen hat, gespielt von den berühmtesten Schauspielern Englands. Mit derselben Begeisterung, mit der viele Jahre später seine berühmteste Titelfigur Hamlet die Schauspieler empfängt, könnte auch sein Vater die Akteure begrüßt haben: "Seid willkommen ihr Herren. Willkommen meine guten Freunde... Gebe Gott, dass eure Stimme nicht wie ein abgenutztes Goldstück den Klang verloren haben mag.""

Greenblatt nutzt Shakespeares Werke auch als Zeitdokumente, neben Gerichtsakten oder Sterberegistern. Im schnellen Wechsel der Ebenen geht leider bei den Sprechern mitunter die Differenzierung in der Modulation verloren, was entschieden der Regie anzulasten ist. Erfreulich allerdings ein Kunstgriff, den die Theatergöttinnen des 19. Jahrhunderts, ganz Vamps, besonders liebten. In deren Stil übernimmt Maria Hartmann immer wieder auch männliche Rollen.

"Es waren sicher die Londoner Menschenmassen ... samt ihrem Lärm, dem Geruch ihres Atems, ihrer Rüpelhaftigkeit und ihrem Hang zur Gewalttätigkeit, die Shakespeares Eindruck von der Stadt prägten. In "Julius Cäsar" wandte er sich dem Thema des blutdürstigen Mobs zu, der auf der Suche nach den Verschwörern, die ihren Helden Cäsar umgebracht haben, durch die Straßen zieht: "Euer Name, Herr! ehrlich! – Ehrlich, mein Name ist Cinna. – Reißt ihn in Stücke! Er ist ein Verschwörer. – Ich bin Cinna, der Poet! Ich bin Cinna, der Poet! – Zerreißt ihn für seine schlechten Verse!""

Der Welt des Dramas, der Welt aus Shakespeares Versen, in denen Liebe, Sehnsucht und Erkenntnis zu uns sprechen, setzt Greenblatt einen zweiten Kosmos gegenüber: die Realität, England an der Wende des 17. Jahrhunderts, Glaubenskriege, die Existenznöte der kleinen Leute, die ländliche Kleinstadt, den Moloch London. Alles nahm Shakespeare in sich auf und verarbeitete es zu Literatur.

"London war ein pausenloses Theater von Bestrafungen... Nahezu jeden Tag hätte er zusehen können, wie der Staat diejenigen brandmarkte, verstümmelte und tötete, die er für Missetäter hielt."

Greenblatt erzählt im Modus des "hätte, könnte", des "vielleicht". Wie einen virtuellen Augenzeugen schickt er seinen Shakespeare durch das wüste Getümmel der Stadt, vorbei an Bärenhatz und Hinrichtungsplätzen, durch politische Ränkespiele im Schatten des Hofes und immer wieder durch wilde Spektakel auf dem Theater. Kräftig erfindet er dazu und schreibt so eine durch biographische Daten unterfütterte Fiktion.

"Oh Gott, wie ekel schal scheint mir das ganze Treiben dieser Welt."

Greenblatts Biographie "Will in der Welt" ist ein wunderbar unterhaltsames Buch. Man kann es hören, wie man sich zu Shakespeares Zeit ein Shakespeare-Drama ansah, ohne alle Vorkenntnisse, weder historische noch literarische. Selbst ein Theatermuffel, der Romeo und Julia allenfalls von der Leinwand kennt, hat sein Erlebnis – beim Aufstieg des allerersten Popstars der Literatur. An die vierzig Stücke werden dabei zur schwungvollen Aufführung gebracht, und das in genau vier Stunden.

Stephen Greenblatt: Will in der Welt. Wie Shakespeare zu Shakespeare wurde.
Gelesen von Stephan Benson und Maria Hartmann.
Aus dem Amerikanischen von Martin Pfeiffer.
Hoffmann und Campe-Verlag, Hamburg 2005.
3 CDs, 240 Minuten. 25 Euro.