Ein weißer Zylinder auf dem Dach

Von Jochen Spengler · 05.11.2013
Laut der Zeitung "Independent" soll auch auf der britischen Botschaft in Berlin eine Abhöranlage stationiert sein. Das Blatt stützt sich auf Informationen des Whistleblowers Edward Snowden. Von der britischen Regierung fehlt bisher jeder Kommentar.
Von der Straße aus ist er kaum erkennbar, aber Satellitenfotos zeigen klar einen weißen Zylinder oben auf dem Dach der britischen Botschaft im Berliner Regierungsviertel.

Die Röhre erinnert mit ihrer äußeren Wabenstruktur an Radar-Schutzkugeln, wie man sie etwa von Flughäfen kennt. In Kalte-Kriegs-Zeiten gab es auf Berlins höchster Erhebung, dem aus Trümmern errichteten Teufelsberg, mehrere solcher Radarkugeln; sie gehörten den US-Streitkräften, die von dort aus in die DDR hineinhorchten.

Der weiße Zylinder auf dem Dach der britischen Botschaft dient angeblich ähnlichen Zwecken. Hinter seiner äußeren Kunststoff-Schutzhülle soll sich Spionage High-Tech-Ausrüstung verbergen, Antennen und Abhörgeräte mit denen die britische Botschaft in der Lage sei, den Internetdatenverkehr abzugreifen, Handygespräche zu belauschen und die interne Kommunikation im nur wenige hundert Meter entfernten Kanzleramt, im Parlament und Regierungsgebäuden zu überwachen.

Das berichtet heute der linksliberale britische "Independent" und er beruft sich dabei auf Unterlagen des ehemaligen NSA-Mitarbeiters Edward Snowden, auf Fotos und Erfahrungswerte. Eine kleine Zahl von Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes GCHQ befasse sich, als Diplomaten getarnt, mit der Ausspähung.

Erst vor einer Woche hatte Premierminister David Cameron im britischen Unterhaus beklagt, dass die Veröffentlichungen des Snowden-Materials Schaden angerichtet hätten. Er wolle keine einstweiligen Verfügungen, Anweisungen zur Nichtveröffentlichung oder härtere Maßnahmen ergreifen, sondern halte es für besser an das Verantwortungsgefühl der Zeitungen zu appellieren.

"I don’t want to have to use injunctions or d-notices or the other tougher measures. I think it is much better to appeal to newspapers sense of social responsibility. But if they don’t demonstrate some social responsibility, it will be very difficult for government to stand back and not to act."

Wenn aber die Zeitungen kein Verantwortungsgefühl zeigten, so werde es schwierig für die Regierung nicht einzugreifen, warnte Cameron.

Briten nutzen die Anlage laut "Independent" weiterhin
Man darf gespannt sein, ob und wie die Regierung auf die Exklusiv-Story des"Independent" reagiert. Kein Kommentar, heißt es bisher. Und noch hat auch keine andere Zeitung oder die BBC das Thema aufgegriffen; vielleicht zeigt die Androhung des Premierministers Wirkung oder aber britische Medien halten es für eine Selbstverständlichkeit, dass Botschaften auch als Spionagestützpunkte dienen und Spione nun einmal spionieren. Ausspähen unter Freunden? Das geht sehr wohl.

Die britische Botschaft in der Wilhelmstraße liegt nur 150 Meter Luftlinie weg von dem mutmaßlichen Spionagenest auf dem Dach der US-Botschaft. Das sei, so schreibt der Independent, zwecks Schadensbegrenzung letzte Woche außer Dienst gestellt worden. Es gab ernste diplomatische Verstimmungen zwischen den USA und Deutschland, nachdem bekannt geworden war, dass die NSA das Handy der Bundeskanzlerin über Jahre abgehört hatte.

Die Briten aber nutzten ihre Abhöranlagen nach Angaben des Independent auch weiterhin und hätten schon mehrfach Aufgaben geschlossener US-Abhöreinrichtungen übernommen. Die britische Botschaft in Berlin sei ein Teil eines "stateroom" genannten globalen Netzwerks aus Spähposten in diplomatischen Einrichtungen, das von den USA, Großbritannien, Kanada, Australien und Neuseeland unterhalten werde.