"Ein warmherziger, positiver Film"

Srdjan Dragojevic im Gespräch mit Dieter Kassel · 13.02.2012
Srdjan Dragojevic, Regisseur des auf der Berlinale vertretenen Films "Parada – Die Parade", musste sich bei "zwielichtigen Gestalten" Geld leihen, um seine Komödie über Lesben und Schwule überhaupt drehen zu können. Inzwischen habe sich in Sachen Homosexualität in Serbien viel getan.
Dieter Kassel: Ein serbischer Gangster, Kriegsveteran und inzwischen Betreiber einer Firma, die reiche, aber in der Regel auch dubiose Geschäftsleute beschützt, bekommt den Auftrag, die Schwulen- und Lesbenparade in Belgrad zu beschützen. Dabei bekommt er allerdings ziemlich schnell auch ein Problem, denn seine Mitarbeiter sind hochgradig homophob und weigern sich, Schwule und Lesben zu schützen. Also fährt er ausgerechnet nach Kroatien, nach Bosnien und in den Kosovo und am Ende beschützt er zusammen mit ehemaligen Kriegsfeinden, die eigentlich so richtige Feinde von ihm auch nie waren, beschützt er also in Belgrad Schwule und Lesben, die für ihre Rechte auf die Straße gehen.

Das ist in Wirklichkeit nicht ganz so passiert, dort endeten zwei Versuche in Belgrad, eine Pride Parade zu machen, in Gewaltexzessen, aber im Film sieht das genau so aus. In dem Film "Parada", "Die Parade", ein serbischer Spielfilm, der heute auf der Berlinale zum ersten Mal in Deutschland zu sehen ist. Der Regisseur und auch Drehbuchautor dieses Films, Srdjan Dragojevic, hat einmal behauptet, er hätte diesen Film machen müssen, weil er das als eine Art Bürgerpflicht empfand. Ich habe kurz vor Beginn der Sendung mit Srdjan Dragojevic gesprochen und ihn gefragt, warum es so eine Art Pflicht für ihn war, diesen Film zu machen?

Srdjan Dragojevic: Ich betrachte mich selbst als Filmaktivisten. Ich glaube in der Tat, dass der Film etwas dazu beitragen kann, die Menschen in ihrem Denken zu verändern. Ich mache die Filme in der Tat für den Mann auf der Straße, nicht so aber wie die Hollywood-Studios, die ja den Geschmack und die Urteilsfähigkeit der Menschen zu unterschätzen neigen. Ich glaube, Kunst darf und soll unterhaltsam sein, sie soll aber auch eben die Menschen, die arbeitenden Menschen erreichen. Und so kann sie auch in der Tat Erfolg haben.

Kassel: War es schwierig, in Ihrem Land einen Film zu drehen, der sich mit diesen Themen, Homophobie, Homosexualität, beschäftigt? War es schwierig, Schauspieler zu finden, den Film zu finanzieren?

Dragojevic: Es war in der Tat sehr schwierig. Wir hatten Förderungen aus fünf regionalen Filmförderungstöpfen und das hat auch sehr lange gedauert. Was aber die sonstigen Geldgeber angeht, so haben wir jede Menge Absagen eingehandelt. Alle namhaften Unternehmen, von Adidas über Nike über Telekommunikationsunternehmen wie Vip mobile, haben uns abgesagt, denn sie wussten: Die Menschen, für die wir diesen Film machten, sind alle homophob. Das zeigt aber die Fassade des liberalen Kapitalismus: Der Kampf für die Menschenrechte ist nichts anderes als eine Fassade für die Ausbeutung.

Kassel: Hat sich denn jetzt, wo Ihr Film – das muss man ja sagen – in Serbien und einigen anderen Ländern sehr, sehr erfolgreich war im Kino, hat sich die Einstellung von Sponsoren jetzt geändert, wollen die jetzt vielleicht nachträglich was damit zu tun haben?

Dragojevic: Das weiß ich nicht. Ich habe sie nicht gefragt, ich werde sie gleich auch nicht fragen. Ich brauche diese Menschen nicht. Ich bin stolz darauf, dass unsere kleine Truppe diesen Film trotz all der Schwierigkeiten gedreht hat in all den zweieinhalb Jahren, die wir brauchten, um die Finanzierung zu sichern. Ich bin auch stolz darauf, dass wir, als es wirklich nicht mehr weiter ging, uns an den schwarzen Markt wenden mussten, um weitere Finanzierungsquellen aufzutun. Wir haben Geld geliehen von zwielichtigen Gestalten, die zehn Prozent Zinsen pro Monat verlangten! Ich bin aber auch stolz darauf, dass wir es geschafft haben, alle Gelder zurückzuzahlen an jene grauen Gestalten mithilfe unserer Erlöse.

Kassel: Jetzt haben wir so viel über das Geld gesprochen, kommen wir doch mal zu der eigentlichen Arbeit: Zweieinhalb Jahre haben Sie gebraucht, diesen Film zu drehen, und man sieht es, wenn man den Film sieht, das konnten Sie ja nicht komplett heimlich machen, da gibt es ja das pinkfarbene Auto, das durch die Gegend fährt, vieles wurde außen gedreht. Wie sind die Drehaufnahmen verlaufen, gab es da manchmal schwierige, vielleicht sogar gefährliche Situationen?

Dragojevic: Also, wir haben einige Drohungen bekommen vonseiten der Rechtsradikalen, der Hooligans, der Neonazis und Nationalisten. Meine eigene Windschutzscheibe am Auto wurde ein paar Mal zerkratzt. Aber wie es ein schwuler Mitspieler in diesem Film auch sagt, wenn er mit seinem Vater spricht, er sagt: Das alles juckt mich nicht, das ist doch eine Kleinigkeit, die man abschütteln kann! Was für mich viel erheblicher ist, dass in Kroatien, also in Städten wie Zadar oder Sibenik, die serbischen Touristen, denen dann häufig die Autos zerkratzt oder aufgebrochen werden von den kroatischen Nationalisten, dass sie dann wirklich zwei Tage im Voraus warten, um Karten für diese Parade zu ergattern! Was für mich auch ganz wichtig ist: Das ist ein warmherziger, positiv gestimmter Film und all die negativen Begleiterscheinungen während der Dreharbeiten kümmern mich eigentlich nicht. Ich neige dazu, sie zu verschweigen.

Was zählt, ist doch, dass in der Region eine halbe Million Menschen diesen Film gesehen haben und dass es uns gelungen ist, wirklich einen jugoslawischen Film für diese Region zu drehen, dass wir diesen Erfolg errungen haben. 20 Jahre, nachdem in Jugoslawien der Krieg ausgebrochen ist, ist dies endlich ein Film für die ganzen Jugoslawen!

Und dieser Film ist auch ein Beweis dafür, dass es Jugoslawien immer noch gibt. Man mag Grenzen einziehen, man kann die Menschen voneinander trennen, die Politiker können diesen ganzen Scheiß anstellen, um die Leute auseinanderzutreiben. Aber in kultureller Hinsicht gibt es Jugoslawien immer noch, und dieser Film ist ein beliebter Film.

Kassel: Wir reden im Deutschlandradio Kultur mit Srdjan Dragojevic, er ist der Regisseur des Films "Parada", "The Parade" oder auch "Die Parade", ein Film über Homosexualität, Homosexuelle und vor allen Dingen Homophobie in Serbien und der Region. Der Film, das hat er selber auch schon erwähnt, ist ein unglaublicher Erfolg gewesen in Serbien, in Kroatien und in vielen anderen Ländern. Aber hat er – es ist ein sehr unterhaltender Film – wirklich etwas geändert an der Einstellung, reden Menschen jetzt anders über Homosexualität?

Dragojevic: Ich habe Freunde, die haben Söhne im Teenager-Alter. Da fragte dann einmal der Vater einen Sohn zwei Jahre, nachdem Hooligans in Belgrad diese Belgrad-Pride-Demonstration massiv gestört hatten, er fragte also seinen Sohn: Wie findest du diesen Film denn? Und er sagte: Ich finde ihn beschissen, denn ich kann jetzt die Schwulen nicht mehr hassen!

Kassel: Glauben Sie denn, dass, wenn es in diesem Herbst – ist für Oktober wieder geplant – wieder eine Parade in Belgrad gibt, dass es dieses Jahr dann wirklich anders sein wird?

Dragojevic: Das ist in der Tat die Nagelprobe, ob dieser Film in der Region funktioniert. Ich hoffe, dass es eine fröhliche, ausgelassene, sichere Parade in Belgrad 2012 geben wird, wo es keines massiven Polizeischutzes und keiner sonstigen Auseinandersetzungen, Kloppereien mit den LGB-Aktivisten bedarf!

Man kann von einem Film ja auch nicht erwarten, dass er die Welt verändert. Was man aber erhoffen kann, ist, dass er eine Debatte in Gang bringt über die Rechte von Lesben und Schwulen, und das geschieht auch bereits in Serbien. Wir haben in den Medien eine sehr umfassende Debatte darüber, wie man die Rechte der Menschen schützen kann, die anders als die Mehrheit sind. Der Kampf für die Menschenrechte ist ein beständiger Kampf, er muss weitergeführt werden. Ich spreche sogar manchmal von einem Krieg.

Ich habe sicherlich einige Gefechte verloren. Zum Beispiel haben wir in Belgrad und Novi Sad kostenlose Filmvorführungen für Schuldirektoren und Lehrer veranstaltet, damit sie angeregt würden, für ihre Schüler solche Filmvorführungen selbst zu veranstalten. Hunderte von ihnen kamen und drückten ihr Wohlgefallen aus, aber schon am nächsten Tag entfesselten sie eine Medienkampagne gegen diesen Film, weil sie einfach verhindern wollten, dass die Schüler diesen Film sähen.

Gestützt wurde die Kampagne von den rechtsgerichteten Parteien, von den Nationalisten. Es sollte einfach verhindert werden, dass die Botschaft unseres Filmes vernommen wird. Dieser Kampf geht also weiter. Sicherlich habe ich einige Niederlagen erlitten, aber ich werde weiterhin kämpfen gegen diese rechtsgerichteten Umtriebe und gegen die Nationalisten.

Kassel: Srdjan Dragojevic über seinen Film "Parada", "Die Parade". Zu sehen ist der Film im Rahmen der Berlinale heute Abend um 17:30 Uhr und dann noch mal morgen, am Mittwoch und schließlich am Sonntag.


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