"Ein unmoralischer Umgang mit Frauen"

Katharina Jeschke im Gespräch mit Gabi Wuttke · 13.05.2013
Der Bundestag befasst sich in dieser Woche mit einem Gesetz, das Frauen vertrauliche Geburten ermöglichen soll - sofern sie ihr Kind anschließend zur Adoption freigeben. Katharina Jeschke vom Deutschen Hebammenverband kritisiert den Entwurf. Durch diese Regelung würden die betroffenen Mütter faktisch entmündigt.
Gabi Wuttke: Eine Frau tötet das Kind, das sie gerade mutterseelenallein irgendwo zur Welt gebracht hat. Sie wirft das kleine Wesen in die Mülltonne und versucht weiterzuleben wie bisher. Eine schreckliche Vorstellung, eine schreckliche Tat, die jedem ans Herz geht und in den meisten Fällen doch ein Akt allergrößter menschlicher Verzweiflung ist.

Neugeborene sollen auch vor solchen Verzweiflungstaten besser geschützt werden. Ein entsprechender Gesetzentwurf zur vertraulichen Geburt wird heute im zuständigen Bundestagsausschuss gehört. Hier die Position der Bundesfamilienministerin:

"Die bisherige Praxis ist unbefriedigend für alle, denn die anonyme Geburt und die Baby-Klappen geben dem Kind keine Chance, später etwas über seine Herkunft zu erfahren, und beides birgt medizinische Gefahren für die Mutter. Bei der vertraulichen Geburt kann der Name der Mutter versiegelt hinterlegt werden, mindestens bis das Kind 16 Jahre alt ist. Prinzipiell gibt es gegen das Gesetz von Familienministerin Schröder keine großen Einwände, und trotzdem haben die Mitglieder des Familienausschusses noch viele Fragen: Macht der Gesetzentwurf ein Angebot, auch wirklich die Zielgruppe, also verzweifelte Schwangere zu erreichen, ist eine davon. Oder: Ist es vertretbar, dass trotz der neuen Regelung auch Baby-Klappen weiter erlaubt bleiben? Dazu sollen Experten Stellung nehmen. Auch der Deutsche Ethikrat, der eine eindeutige Meinung hat. Baby-Klappen ignorieren das Recht des Kindes auf die Chance zu wissen, wer seine Mutter ist."

Wuttke: Vor dem Bundestagsausschuss wird heute auch Katharina Jeschke gehört. Sie ist Präsidiumsmitglied im Deutschen Hebammenverband und jetzt am Telefon. Schönen guten Morgen!

Katharina Jeschke: Guten Morgen!

Wuttke: Was kritisiert Ihr Verband, was kritisieren Sie an dem Gesetzentwurf?

Jeschke: Grundsätzlich ist es ja erst mal erfreulich, dass der Gesetzgeber hier für eine absolute Minderheit versucht, eine Regelung zu finden. Nichtsdestotrotz wird aber der jetzt vorliegende Gesetzentwurf der Komplexität des Problems nicht bewusst und auch das Ziel, was das Gesetz selber formuliert, wird überhaupt nicht aufgegriffen, denn dort steht, dass allen Frauen die Möglichkeit gegeben werden soll, fachlich betreut ihre Kinder zur Welt zu bringen, und genau das wird mit diesem Gesetzentwurf nicht erreicht. Es wird nur eine kleine Gruppe erreicht, nämlich jene, die willig sind, wenn sie vertraulich gebären, also ihre Anonymität bewahren wollen, auch ihr Kind zur Adoption freizugeben.

Wuttke: Inwiefern hängt denn das eine mit dem anderen zusammen?

Jeschke: Sachlich, inhaltlich hängt das nicht zusammen. Das wird in diesem Gesetz zusammengepackt, dass eine vertrauliche Geburt nur dann in dieser Systematik definiert ist, wenn die Frau anschließend ihr Kind zur Adoption freigibt. Es ist gesetzlich vorgesehen, …

Wuttke: Das heißt, das ist eine faktische Entmündigung?

Jeschke: Das ist eine faktische Entmündigung und es stellt sich schon die Frage, mit welchem Recht oder mit welcher moralischen Begründung ein Gesetzgeber definiert, dass eine Frau in der Konfliktsituation, die wirklich Nöte hat, dass sie vertraulich gebiert, und die wir in die fachliche Assistenz holen wollen, der wir Vertrauen ins Gesundheitssystem geben möchten, mit welchem Recht wir definieren, dass die nicht in der Lage ist oder nicht willens ist, ihr Kind auch selbst großzuziehen.

Wuttke: Wie weltfremd also ist für Sie dieser Entwurf?

Jeschke: Er nutzt eben nicht die Chance, diesen vielen anderen Frauen Hilfe zukommen zu lassen, und ich finde, wir als wirklich reiches Land können uns das gar nicht erlauben, dass wir uns Kinderschutz auf die Fahnen schreiben und genau jene Kinder, die es wirklich am dringendsten brauchen, deren Mütter wirklich in den größten Konflikten sind, dass wir die durchs Raster fallen lassen.

Wuttke: Unter welchen Bedingungen, Frau Jeschke, machen Ihre Kolleginnen die Erfahrung, dass eine Frau, die sich möglicherweise dazu entschieden hat, weil ihre Situation aus welchen Gründen auch immer so schwierig ist, ihr Kind wegzugeben, sich dann doch dafür entscheidet, es zu behalten?

Jeschke: Wir haben ja keine wirklichen Zahlen darüber. Ich kann Ihnen, weil darüber werden keine Statistiken geführt, weil das ist ein illegaler, halb illegaler Graubereich, und die Hebammen sind insofern sehr betroffen, weil sie gelten in der Bevölkerung als Vertrauenspersonen und dieses Vertrauen nutzen die Hebammen auch, um diesen Frauen in ihrer Not zu helfen. Wir sind ja auch zur Hilfe verpflichtet. Es gibt gerade die Frauen in diesen Gewaltkonflikt-Situationen, die den Schutz der Hebamme und die Vertraulichkeit suchen und die auf jeden Fall ihre Kinder behalten möchten. Das sind die, die wir als Hebammen kennen. Und es gibt natürlich auch die große Gruppe der illegalen Frauen hier in Deutschland, die auch Kliniken nicht über den Weg trauen, die dann der Hebamme trauen und zu ihr kommen und dort diese Kinder in der Anonymität gebären möchten.

Das sind dann insbesondere Frauen aus Zwangsprostitutionsverhältnissen, die mit einem Kind nicht nach Hause könnten, weil das soziokulturell nicht anerkannt ist, und die aber wissen, dass sie hier illegal und ohne Schutz in Deutschland schwanger sind. Die suchen sich dann den Schutz der Hebamme und das sind schon Frauen, die für ihre Kinder da sein wollen, die mit hohen ethischen Ansprüchen auch erzogen worden sind, die sich schon bemühen, das ihren Kindern gutzumachen, die aber durch die Aufgabe der Anonymität natürlich auch die Abschiebung riskieren und wieder nach Hause müssen in Situationen, in die sie sich nicht wieder hineintrauen nach der Prostitutionserfahrung, die sie hier haben, und im Zusammenhang mit einem Kind, das hier schon schwierig ist, was in anderen Ländern aber noch viel schwieriger ist.

Wuttke: Was also fordern Sie?

Jeschke: Wir fordern, dass man dieses Thema konsequent angeht und dass man sagt, Kinderschutz ist uns wirklich wichtig und wir nehmen alle Kinder aus allen möglichen Konfliktsituationen in diesen Schutz mit hinein. Das heißt, wir ermöglichen die vertrauliche Geburt allen Frauen und wir suchen Regelungen, die es ermöglichen können, dass diese Kinder nicht zwangsläufig zur Adoption freigegeben werden müssen, denn eine Adoption ist auch was absolut Endgültiges.

Und es muss auch bedacht werden, dass Frauen, wenn sie schwanger sind, auch in hormonellen Ausnahmesituationen sind. Die sind gar nicht in der Lage, rationale Entscheidungen mit dieser Tragweite zu fällen. Das erwarten wir nie gesetzgeberisch von Frauen, wenn es um Aufklärung von Risiken geht, oder wenn es um strafrechtliche Sachen geht, aber in diesem Punkt gerade von diesen Frauen, die extrem unter Druck stehen. Von denen erwarten wir jetzt, dass sie Entscheidungen fällen, die so eine große Dimension haben, dass sie die gar nicht fällen können, und das ist schon auch eine Art unmoralischer Umgang mit Frauen, gerade Frauen, die es am dringendsten benötigen.

Wuttke: …, sagt Katharina Jeschke vom Präsidium des Deutschen Hebammenverbands, bevor auch Bundesfamilienministerin Schröder heute dem zuständigen Ausschuss im Bundestag Rede und Antwort steht. Ich danke Ihnen, wünsche Ihnen einen schönen Tag.


Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.
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