Ein überraschend glückliches Ende

Von Jörn Florian Fuchs · 12.04.2012
Ein Opernereignis der ganz anderen Art bietet das Pariser Théâtre des Champs-Elysées: Das Theater selbst zeigt sich in gediegener Klassik, das Stück "La Didone" von Cavalli lässt die karthagische Königin nicht nur am Leben - sondern sorgt auch für ein Happy End.
Folgt man Vergil, dann stirbt Dido am Ende einsam und verlassen. Doch Francesco Cavalli und sein Librettist Francesco Busenello schenken der karthagischen Königin nicht nur ihr Leben sondern auch noch einen Gatten. Der schwer verletzte, überraschend von Merkur gerettete König Jarbas entflammt für Dido und überzeugt sie während ihres (scheiternden) Selbstmordversuchs von einem künftigen Leben zu zweit.

Bevor man das frohe Finale eines sehr langen Opernabends im Paris erlebt, gibt es allerdings einige Merkwürdigkeiten. Das fängt schon beim Aufführungsort an. An der Prachtstraße selbigen Namens sucht man das Théâtre des Champs-Elysées nämlich vergebens. Von den Champs-Elysées geht es ein gutes Stück die Avenue Montaigne hinein, nach dem Passieren unzähliger Boutiquen einschlägiger Modefirmen taucht dann plötzlich das Theater auf. Rote Teppiche führen ins Foyer, wo frischer Schinken gehobelt wird, es fließen Champagner und Wein in Strömen - ein schöner Kontrast zu labbrigen deutschen Theaterwürsteln oder schalem Opernpils. Die Garderobe ist gratis, dafür sammeln die Platzanweiser Geld mit dem Klingelbeutel ein.

Zum elegant skurrilen Ambiente des Theaters passte Clément Hervieu-Légers Inszenierung der Cavalli-Rarität. Hervieu-Léger arbeitet seit längerem als Assistent von Patrice Chéreau und ist Schauspieler an der Comédie-Française. "La Didone" ist nun sein Opern-Regiedebüt.
Im ersten Akt durchwabert dichter Nebel einen düsteren Raum, der irgendwo zwischen archaischer Antike und heutigen Kriegsschauplätzen angesiedelt ist. Hervieu-Léger choreografiert dort eine präzise Grammatik der Leidensgesten, die mit Cavallis auskomponierten Seelenzuständen meist gut harmonieren. Es entsteht ein Gespinst feinster emotionaler und vokaler Nuancen, besonders ergreifend ist die Totenklage um den gefallenen Korebus und Äneas' Trauer um Kreusa.

Im zweiten und dritten Akt wird das Bühnenbild umgekehrt, jetzt sieht man eine Art holzgetäfelten Salon. Die vorher trotz aller Emphase etwas abstrakt gebliebenen Figuren kommen einem nun ganz nah. Hervieu-Léger zeigt einen teilweise ziemlich komischen Beziehungsstreit mit imaginären und realen Stürmen, die nicht nur das Anti-Paar Dido und Äneas heimsuchen. Das lieto fine für Dido und Jarbas erweist sich als sehr plötzlicher, dennoch schlüssiger dramaturgischer Trick, der auch die Liebesgöttin in neuem Licht erscheinen lässt - nämlich als Lernende und Reifende.

Ebenso eigentümlich wie Regie und Handlung ist Cavallis hoch konzentrierte Musik in der Deutung von William Christie und seinen Arts Florissants. Wer ein barockes Feuerwerk erwartet, ist hier völlig fehl am Platz. Christie arbeitet mit sparsamen Effekten, es geht um Affekte, immer neu angeordnete, um sich selbst kreisende Parzellen. Geklagt wird in langsam absteigenden Bögen, die an asiatische Tonleitern erinnern. Selbst den szenisch witzigen Momenten stellt Christie oft verinnerlichte, reduzierte Klänge gegenüber. Dadurch entsteht hohe Künstlichkeit, die freilich auch Cavallis Zwischenposition - nach Monteverdi und noch vor der großen italienischen und französischen Opernblüte - betont. Sogar Neptuns Sturm wütet nur leise durch den Orchestergraben, die Musiker zischen ein wenig, das ist alles.

Die meisten Sänger fügten sich in dieses Opernlaboratorium perfekt ein. Anna Bonitatibus überzeugte als äußerst wandlungsfähige, sehr sinnliche Dido. Krešimir Špicer sang einen zuerst leicht unruhig intonierenden, später sehr präsenten Äneas, hervorzuheben sind außerdem Tehila Nini Goldstein als Kreusa (und in mehreren anderen Rollen) sowie Xavier Sabata als Jarbus.