Ein Trauerspiel

Von Martin Steinhage, Deutschlandradio Kultur · 09.02.2011
Am 9. Februar 2010 hatte das Bundesverfassungsgericht der Politik eine transparente Neuberechnung der Hartz-Sätze aufgetragen. Heute nun, auf den Tag genau ein Jahr später, stehen die politisch Verantwortlichen vor einem Scherbenhaufen.
Regierung und Opposition sind gemeinsam an der Aufgabe gescheitert, für die fast sieben Millionen Hartz-IV-Empfänger, darunter weit über zwei Millionen Kinder und Jugendliche, eine vernünftige und verfassungsfeste Regelung zu finden. Was bis Ende 2010 nicht gelungen war, so wie das die Karlsruher Richter eigentlich vorgegeben hatten, hat man auch in sieben Wochen "Nachspielzeit" nicht geschafft.

Das ist nicht nur ein Armutszeugnis, das ist nachgerade erbärmlich. Und es dürfte nicht ohne Folgen bleiben. Denn bei so viel Unfähigkeit bzw. Unwillen, zu einer Lösung zu kommen, wird die Politikverdrossenheit in diesem Lande weiter wachsen.

Wer nun der Frage nachspürt, warum es nicht möglich war, binnen Jahresfrist die Hartz-Kuh auf dem Kompromissweg vom Eis zu holen, der muss sich nicht einmal in die Details der unterschiedlichen Verhandlungspositionen vertiefen. Es reicht ein Blick auf den Kalender: 2011 stehen eine ganze Reihe von Landtagswahlen an, Hamburg macht in eineinhalb Wochen den Anfang, schon bald folgen Flächenländer wie Rheinland-Pfalz und Baden-Württemberg.

Und da kann die Politik nicht der Versuchung widerstehen, das Reizthema Hartz IV in den Wahlkampf hineinzuziehen. Nicht die Sache selbst, sondern rein taktische Überlegungen - der vermeintliche Vorteil im Kampf um die Gunst der Wähler - standen und stehen im Mittelpunkt der Bemühungen, bei der Bundesregierung wie bei der Opposition. Wer da anderes behauptet, lügt.

Was die ganze Angelegenheit vollends zum Ärgernis macht: Während es offenbar bei den komplexen Streitpunkten "Bildungspaket für Kinder", "finanzielle Entlastung der Kommunen" sowie "weitere Branchenmindestlöhne" Einvernehmen gab, hakte es beim Thema "Gleicher Lohn für Leiharbeiter" - sowie bei der eigentlichen Kernfrage, sprich der Erhöhung des Hartz-IV-Regelsatzes: Ganze sechs Euro im Monat lagen schwarz-gelb und rot-grün am Ende auseinander. Diese Differenz addiert sich zugegebenermaßen zu deutlich über dreihundert Millionen Euro im Jahr – das rechtfertigt aber nicht das Scheitern der Verhandlungen. Man hat die Merkel-Regierung schon viel freigiebiger und weniger skrupulös im Umgang mit Steuergeldern erlebt ...

Sozusagen als unappetitliche Zugabe zu der verkorksten nächtlichen Aufführung müssen die Betroffenen wie die interessierte Öffentlichkeit jetzt auch noch eine Weile das eingeübte Spiel der gegenseitigen Schuldzuweisungen ertragen: Heuchelei und Unaufrichtigkeit hier wie dort. Es ist ein Trauerspiel.