Ein Tagebuch von Stefan Chwin

Der polnisch-deutsche Brückenbauer

Stefan Chwin
Der polnische Schriftsteller Stefan Chwin, hier eine Aufnahme von 2003. © imago/Sergienko
Von Frank Meyer · 08.07.2015
Stefan Chwin, Autor von "Tod in Danzig", gilt als Schriftsteller der "polnisch-deutschen Versöhnung". In "Ein deutsches Tagebuch" analysiert der Pole das aktuelle Verhältnis beider Länder und verortet eine gewisse Gleichgültigkeit gegenüber seinem Heimatland in der deutschen Literatur.
Wenn ein Autor prädestiniert ist dafür, ein polnisch-deutsches Tagebuch zu schreiben, dann ist es Stefan Chwin. In seiner Heimat Danzig gilt er als Schriftsteller der "polnisch-deutschen Versöhnung", auch weil er sich in die Debatten um Günter Grass‘ SS-Vergangenheit eingeschaltet hat. In seinem in Polen viel beachteten Roman "Tod in Danzig" hat Stefan Chwin geschildert, wie sich ein polnischer Junge in der Nachkriegszeit vom Hass auf die Deutschen befreit. Von den Hintergründen dieses autobiographisch geprägten Romans erzählt Stefan Chwin nun von seiner Mutter, die als Sanitäterin den Warschauer Aufstand und die Brutalität der deutschen Truppen erlebte, wie auch von seiner eigenen frühen Faszination für die Hinterlassenschaften der deutschen bürgerlichen Kultur in Danzig. "Ein deutsches Haus war für mich immer ein Rätsel."

Stefan Chwin schwärmt hingerissen von der romantischen deutschen Malerei und empört sich gleichzeitig über Oliver Hirschbiegels Hitler-Film "Der Untergang". Er sei angeekelt, schreibt der Danziger, vom "Shakespeareschen Pathos" und dem majestätischen Geheimnis, mit dem der Film den Untergang Hitlers zeige und die Kontinuität der deutschen Nation behaupten würde. Ähnlich energisch setzt er sich aber auch mit den "wilden, giftigen Paradoxien" der polnischen Vergangenheitsbewältigung auseinander und kritisiert scharf den Katyn-Film von Andrej Wajda, als deprimierendes Werk: "Die Aussage dieses Films lautet doch: Mit den Polen kann man alles machen, weil die Polen nicht imstande sind, sich gegen irgendjemanden zu wehren."
Einblick in polnische Debatten
All das macht dieses "Deutsche Tagebuch" so interessant. Dabei gewährt es nicht nur Einblick in polnische Debatten und wirft einen fasziniert-kritischen Blick auf den deutschen Nachbarn, sondern es stellt uns einen Autor vor, der sich mit großer Konsequenz in einer anderen Epoche zuhause fühlt, in der Romantik. Stefan Chwin gibt sich als Unzeitgemäßer, als Bewohner des 19. Jahrhunderts, der sich an romantischen Ideen des Kunstschönen und der Melancholie des Sterbens abarbeitet. Einer, der von sich selbst sagt, "dass ich nach Antworten auf dieselben Fragen suche, über die schon die deutschen Romantiker nachgedacht haben".

Sein Buch führt deshalb zu sehr viel mehr Fragen, als nur der nach dem aktuellen Stand des polnisch-deutschen Verhältnisses – über das er mit großer Gelassenheit schreibt: "Wenn ich mit Freunden und Bekannten darüber spreche, sehe ich, dass in der gebildeten Schicht die Angst vor der deutschen Expansion eigentlich nicht mehr existiert. Mehr noch: Sie finden, eine wahre Bedrohung für Polen wäre die Abwendung der Deutschen und ihre Gleichgültigkeit gegenüber den Nachbarn hinter der Ostgrenze." Diese Gleichgültigkeit verortet Stefan Chwin allerdings gerade in der deutschen Literatur. In seinem Roman "Tod in Danzig" hatte er einen Deutschen zur Hauptfigur gemacht und fragt deshalb, wo ist der deutsche Autor, der sich auf ähnliche Weise für Polen interessiert?

Stefan Chwin: "Ein deutsches Tagebuch"
Aus dem Polnischen von Marta Kijowska
edition.fotoTAPETA, Berlin 2015
250 Seiten, 19,80 Euro