Ein Tag ohne Smartphone

Raus aus der digitalen Hölle

Smartphone auf einer Straße
Zu einer Sucht wie der Smartphone-Sucht gehört immer auch eine Gegenbewegung. © imago/Westend61
Von Peter Kaiser · 28.12.2015
Ständig erreichbar sein, überall Mails und News checken können: Hat uns diese digitale Revolution wirklich bereichert? Ausgerechnet aus dem Silicon Valley kommt die Gegenbewegung Digital Detox: Menschen gehen in den Wald, um sich digital zu entgiften.
Christopher Homann: "Der Fuchsgang ist gedacht zum Anschleichen. Anschleichen klingt natürlich erst mal kindisch, aber dabei muss man sich ganz genau auf eine Sache konzentrieren."
Ortstermin an einem regnerischen Vormittag in einem Forst nahe Berlin.
Homann: "Und zwar müssen Sie dafür erst die Spitze des Fußes aufsetzen, dann über die Seite abrollen, und dasselbe mit dem nächsten Fuß machen."
Was sich wie ein Workshop für angehende Förster anfühlt, ist eine Art achtsames Gehen für Leute, die oft seit Jahren kaum noch Kontakt zur Natur hatten. Diese Menschen bezeichnen sich selbst gern als digital vergiftet, weil sie ständig online sind, E-Mails checken, vermeintliche News abrufen, sich in sozialen Netzwerken tummeln. Rund ein Prozent der Bundesbürger sind, laut einer Studie der Universität Bonn, Internet- und Smartphonesüchtig. Das Ausschalten ihrer digitalen Geräte verursacht bei ihnen Angstgefühle. Für sie veranstalten Christopher Homann und Annika Dipp von der Berliner Firma "Offline" "One-Day-Off-Tage" in den Wäldern nahe Berlins.
Annika Dipp: "…das ist auch zum Beispiel ein Aspekt, den wir versuchen auf unseren Waldtagen, One-Day-Offs behandeln, dass die Menschen wieder lernen sollen, sich mit ihrer Umwelt zu beschäftigen. Und am Ende eines solchen Tages hören wir ganz oft, oh, ich war so lange schon nicht mehr im Wald, ich fühle mich richtig gut, ich will das Handy gar nicht wieder haben."
Zu einer Sucht wie der Smartphone-Sucht gehört immer auch eine Gegenbewegung. Die nennt sich "Digital Detox", digitales Entgiften. Dabei geht es nicht darum, alles Digitale zu verdammen, sondern es wieder auf das Menschliche einzugrenzen. Das ist auch der Tenor in Andre Wilkens Buch "Analog ist das neue Bio".
"Ich habe es so beschrieben im Buch, dass ich mich auf eine Erkundungsreise begeben habe. Auf eine Erkundungsreise ins Land der Digitale, um herauszufinden, was ist es eigentlich, wie funktioniert's? Und was sind die Risiken und Nebenwirkungen. Und stelle fest, vielleicht sollten wir uns mehr mit den Risiken und Nebenwirkungen beschäftigen, wahrscheinlich müssen wir auch kollektiv besser verstehen, wie digital funktioniert, was sind Algorithmen, was machen sie mit uns, wo geht die Reise hin?"
Jedes Drücken wird gezählt
Das Fuchsanschleichen im Forst geht immer besser, heißt leiser, längst raschelt das Laub unter den Füßen nicht mehr wie bei einem Elefanten. Das bedeutet, die Wahrnehmung ist genauer geworden. Weil das so ist, kommt jetzt die nächste Stufe. Ich bekomme ein kleines Gerät, einen Klicker, der eigentlich zum Tiertraining verwendet wird. Drückt man den Klickerschalter, klickt es, und jedes Drücken wird gezählt.
Homann: "…auf dem klicken Sie dann immer, wenn Sie das Gefühl haben, dass Sie jetzt gern auf Ihr Handy schauen würden."
…jetzt ist "Baumumfassen" dran.
Homann: "Anstatt immer nur über die Bildschirme zu wischen, werden wir versuchen, die Sinne ein bisschen zu schärfen, in diesem Fall den Tastsinn, und werden die jeweilige Teilnehmerin in den Wald führen, wo sie einen Baum ertastet. Dann führen wir sie zurück, und sie muss sehen, welchen Baum sie da ertastet hat. Gut, ich führe dich mal, vertraue mir."
Dipp: "Ich sehe nichts mehr, weil ich einen Schal vor den Augen habe. Ah, es ist schon komisch, so gar nichts mehr zu sehen, und sich ganz auf den Boden konzentrieren zu müssen. O.k. Ein Baum mit einer sehr knorrigen Rinde, ein sehr umfangreicher Baum, ein sehr alter Baum."
Das "Baumumfassen" dient wie alles beim "One-Day-Off" der Wahrnehmung von Natur, von Zeit, und auch dem eigenen Körpergefühl. All das ist verschwindet in der digitalen Welt. Natürlich könnte man einfach sein Smartphone ausschalten und dann wäre Schluss damit. Doch was, wenn das Smartphone zur Arbeit gehört wie der LKW zum Fahrer, das Skalpell zum Chirurg? Für die, die nicht mehr ständig erreichbar sein wollen und es doch müssen, gibt es die Ausschalt-App von "Offtime" in Berlin. Michael Dettbarn, einer der App-Macher:
"Die App betreibt eine Art Erreichbarkeitsmanagement. Das heißt, Anrufer, die sich melden, werden zum Teil blockiert, wichtige Anrufer kommen trotzdem durch, alle, die nicht durchkommen ,kriegen eine Antwort hinterhergeschickt mit einer Angabe darüber, wann man wieder erreichbar ist, das macht das Ganze transparent, planbar für Leute, die sich melden."
Digital-Detox-Hotels kosten Geld
Was die App leistet, übernahmen früher Sekretärinnen in einem Büro. Sie lenkten, versprachen Rückrufe, mahnten Termine an. Die Auszeiten für das analoge Durchatmen, für die Konzentration und Regeneration muss sich der User trotzdem noch selber nehmen. Tut er das nicht, wird es teuer. Denn Digital-Detox-Hotels oder Camps, Offline-Seminare oder Schweigeklöster-Retreats – all das kostet Geld. Geld, das durch die digitale Effizienzsteigerung eigentlich eingespart werden sollte.
Der "One-Day-Off"-Tag im Wald mit Fuchsgang, Baumumfassen und Anschleichen ist vorbei. Die Bilanz meines Klickers:
"Ich würde jetzt geschätzte 14, 15 Mal getippt haben."
Um im Wald Mails von meinen Arbeitgebern zu lesen, Anrufe meiner Tochter entgegenzunehmen, das Wetter zu checken oder die Nachrichtenlage. Fazit: ich wäre in den Wald gefahren, um ihn in Gedanken mindestens 15 Mal zu verlassen. Die Erkenntnis macht mich nachdenklich. Doch jetzt…
Dipp: "…ist die Zeit der Rückgabe Ihres Handys, das haben Sie super gemacht, Sie bekommen es zurück, und vielleicht lassen Sie es ja mal ab und zu in der Tasche, zukünftig."
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