Ein Syrer in Erftstadt

"Die Deutschen sind vorsichtiger geworden"

Der Syrer Eyad Ibrahim ist nach Deutschland geflohen.
"Syrische Flüchtlinge sagen Nein zu den Übergriffen von Köln!" - Flüchtlinge protestieren in Köln bei einer Demonstration. © Eyad Ibrahim
Von Vivien Leue · 26.10.2016
Als Eyad Ibrahim nach Deutschland kam, jubelten die Bürger den Flüchtlingen zu. Jetzt habe sich die Stimmung geändert, erzählt der 25-jährige Syrer. Aufgeben möchte er trotzdem nicht, sondern Deutsche als Freunde gewinnen: "Dafür braucht es Zeit, Verständnis für den anderen und Aufgeschlossenheit."
Mitte Januar 2016 - etwa 400 Flüchtlinge, vor allem Syrer, Afghanen und Iraker, demonstrieren vor dem Kölner Dom gegen Gewalt an Frauen. Unter ihnen Eyad Ibrahim.
"Wir sind heute hier, um zu zeigen, dass wir die Übergriffe aus der Silvesternacht ablehnen, dass wir so nicht sind. Wir sind in Frieden nach Deutschland gekommen, wir wollen hier friedlich leben."

"Jetzt gucken sie dich komisch an"

Der 25-Jährige erzählt, dass ihn die Menschen auf der Straße anders anschauen seit der Silvesternacht, skeptischer.
"Vorher konntest du zu jemandem auf der Straße 'Guten Morgen' sagen und er hat mit 'Guten Morgen' geantwortet. Aber jetzt gucken sie dich komisch an und wundern sich, warum Du 'Guten Morgen' zu ihnen sagst, weil Du ein Flüchtling bist."
Als Eyad Ibrahim vier Monate zuvor, im September 2015 in Deutschland ankommt, jubeln die Menschen den Flüchtlingen noch zu. Erst kurz zuvor hatte Bundeskanzlerin Angela Merkel ihren mittlerweile historischen Satz gesagt:
"Wir haben so vieles geschafft, wir schaffen das! Wir schaffen das, und wo uns etwas im Wege steht, muss es überwunden werden."
Dieses Gefühl der Hilfsbereitschaft ist nach der Kölner Silvesternacht dem Gefühl der Ernüchterung gewichen. Deutschland ist entsetzt.
"Hier waren Frauen Gewalt ausgeliefert, haben Schockierendes durchlebt. Ich hätte mir so etwas nicht vorstellen können", sagt NRW-Ministerpräsidentin Hannelore Kraft Mitte Januar im Düsseldorfer Landtag.

"Jeden Tag gibt es neue Regeln"

Für Eyad Ibrahim hat sich seitdem vieles verändert. Die Asylgesetze sind verschärft worden, der Familiennachzug erschwert. Es gibt regelmäßig Demonstrationen gegen Flüchtlinge und die Politik diskutiert über Obergrenzen. "Es ist verrückt", kommentiert der 25-Jährige jetzt im Oktober die Ereignisse des Jahres."Ich bin verwirrt, jeden Tag gibt es neue Regeln."

Seit mittlerweile 13 Monaten wartet Eyad auf seinen Asylbescheid. Er weiß schon, dass er wahrscheinlich nur eine Aufenthaltsgenehmigung für vorerst ein Jahr bekommen wird - so wie fast alle seine Freunde, die nach Januar 2016 ihren Bescheid erhalten haben. Drei Jahre Asyl erhält kaum noch jemand. Auch bei Eyad ist aus Hoffnung zum Teil Ernüchterung geworden.
"Als man noch eine dreijährige Aufenthaltserlaubnis bekam, durfte man damit zum Beispiel von Hamburg nach NRW. Das geht jetzt nicht mehr. Ich muss jetzt in Erftstadt bleiben, für drei Jahre vielleicht."
Tatsächlich beinhaltet das im Sommer beschlossene Integrationsgesetz eine Wohnsitzauflage für Flüchtlinge. In Nordrhein-Westfalen dürfen selbst anerkannte Asylberechtigte nur in Ausnahmefällen die ihnen zugewiesene Gemeinde wechseln. Bei Eyad ist das Erftstadt, eine 50.000-Einwohner-Stadt in der Nähe von Köln.
Dabei wollte der 25-Jährige so schnell es geht weiterstudieren, an sein Englisch-Studium aus Syrien vielleicht noch ein weiteres Fach dranhängen, um Lehrer zu werden. Jetzt weiß er nicht so recht, ob vielleicht eine Ausbildung in Erftstadt die realistischere Variante für ihn ist:
"Sollte ich eine Ausbildung machen oder studieren, ich weiß es nicht. Aber all das passiert sowieso erst, nachdem ich meine Asylpapiere bekomme. Erst dann kann ich zum Jobcenter gehen, wo mir jemand bei der Entscheidung hilft."

"Nicht alle Flüchtlinge sind böse oder gut"

Zurzeit aber bleibt Eyad nichts anderes übrig, als auf seinen Asylbescheid zu warten - und Deutsch zu lernen. Hin und wieder sprechen er und seine Freunde dann auch darüber, wie sich die Stimmung in Deutschland gewandelt hat, über neueste Übergriffe auf Flüchtlingsheime und politische Parolen gegen Zuwanderung. "Wir sprechen darüber, aber wir können ja nichts tun.”
Vor allem über das das soziale Netzwerk Facebook werden aktuelle Geschehnisse in Deutschland geteilt und zum Teil auf Englisch oder Arabisch übersetzt. Eyad kennt die AfD, weiß, dass sie bei Landtagswahlen zuletzt vor allem den Berliner Regierungsparteien Stimmen weggenommen hat und auch die deutschen Grenzen am liebsten schließen würde.
"Facebook ist super, da sehe ich: Oh, in Dresden gibt es Proteste gegen Flüchtlinge. Und Angela Merkel wird von einer Gruppe von Menschen beschimpft."
Auch über den vereitelten Terror-Anschlag eines Syrers in Chemnitz erfährt Eyad auf diesem Weg. Und ist sauer. Solche Geschehnisse werfen wieder einmal ein schlechtes Bild auf Flüchtlinge, meint er, auch wenn natürlich jeder Flüchtling einzeln betrachtet werden sollte.
"Die Menschen sollten wissen, dass nicht alle Flüchtlinge böse oder nicht alle gut sind. Jeder Mensch ist anders. Also versucht nicht, alle Flüchtlinge in einen Topf zu werfen. Nur weil einer böse ist, sind nicht alle böse."

"Die Deutschen sind vorsichtiger geworden"

Aber: Gerade seit den Vorfällen von Chemnitz und Leipzig sei es noch schwerer geworden, mit Deutschen überhaupt ins Gespräch zu kommen:
"Die Deutschen sind vorsichtiger geworden, als vorher. Auch ein bisschen ängstlich, wenn sie mit dir sprechen oder dich auf der Straße sehen."
Aber Eyad will nicht ungeduldig sein. Er weiß, dass es seine Zeit braucht, bis er und viele andere Flüchtlinge sich wirklich in Deutschland integriert und bis auch die Deutschen sich an die Flüchtlinge gewöhnt haben.
"Wir brauchen noch Zeit, um einander besser kennenzulernen. Wir reden hier immerhin über unterschiedliche Kulturen, das ist nicht einfach. Dafür braucht es Zeit, Verständnis für den anderen und Aufgeschlossenheit."
Eyad hofft, dass ihm diese Zeit gegeben wird. Denn er ist froh, jetzt in Deutschland zu leben. Und er will bleiben, wenn er darf, weitaus länger als ein Jahr. Er will sich eine Zukunft hier aufbauen, eine Zukunft, die er in Syrien nicht sieht.
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