Ein Stadion im Rausch

Von Jürgen König · 05.06.2012
Passend zur Fußball-Europameisterschaft eröffnet in Berlin eine Ausstellung über die Konzeption von Sportstadien, über Kommerz und Korruption im Sport. Allerdings ist sie eher ein illustriertes Lesekabinett als eine wirkliche Ausstellung.
"Choreografie der Massen. Im Sport. Im Stadion. Im Rausch." - was für ein pompöser Titel; er weckt hohe Erwartungen und soll nicht zuletzt - bei freiem Eintritt - jene Besucher, die während der Fussball-EM in Berlins Mitte beim "public viewing" nur allzu gerne in der Masse der Fans aufgehen: Sie sollen eingeladen werden, über sich selbst als Teil der Masse zu reflektieren. Das Zustandekommen der Ausstellung erklärt Klaus Staeck, Präsident der Akademie der Künste, so:

"Als ich vor sechs Jahren in dieses Präsidentenamt eher gestolpert als gewählt worden bin, fiel mir zunächst nichts anderes ein als zu sagen: Ich bin ein alter Kämpfer für den öffentlichen Raum, und das ist ein öffentlicher Raum hier, den gilt es zu verteidigen, ich werde sehen, was sich daraus machen lässt. Als Volkwin Marg Ende letzten Jahres mit der Idee kam, waren wir eigentlich gleich dafür, weil wir wussten, das Stadion, das ist nun eine der großen öffentlichen Räume, wo Auseinandersetzungen stattfinden, aller Art bis zu blutigen Kämpfen, aber auch friedliche Messen mit Wohlfühlcharakter."

Die Ausstellungsräumlichkeiten der Akademie der Künste am Pariser Platz in der Nähe des Brandenburger Tores bieten nicht viel Platz: drei Säle nur stehen zur Verfügung - und sie erfüllen die Erwartungen nicht wirklich. Neben Filmchen im Tablet-Format liegen Bücher aus, dominiert von Texten: über den "Kontext der gesellschaftlichen und politischen Zusammenhänge in der Antike, im Nationalsozialismus und in der demokratischen Nachkriegszeit". Querschnittartig werden die Kommerzialisierung und Korrumpierung des Sports abgehandelt, die Auswüchse der Fankultur. Sechs Bücher im großen Querformat - immer nur einer kann jeweils darin lesen. Der Ausstellungsinitiator und -kurator Volkwin Marg:

"Die sind für den da, der sich Zeit nimmt, etwas in die Tiefe zu gehen und vor allem: was da drinsteht, steht noch ausführlicher im Katalog. Wir haben gedacht, dass natürlich ein solches Thema viel zu tief geht, als dass man hier einfach so mal durchläuft, es hat auch keinen Zweck, so mal eine oberflächliche Show zu machen, sondern wir waren der Meinung: das muss im Katalog stehen."

Immer wieder verweist Volkwin Marg auf den Katalog: und damit implizit auf einen Mangel der Ausstellung: Sie findet als Ausstellung nie zu eigener Größe, ist eher ein illustriertes Lesekabinett. Und schnell beschleicht einen der Eindruck, auch einer Werbeveranstaltung des weltweit beschäftigten Architekturbüros "gmp - Gerkan, Marg und Partner" beizuwohnen, was Akademiepräsident Klaus Staeck indes ausdrücklich relativiert.

"Also wir wollten kein gmp-Festival hier wirklich zelebrieren, das wäre auch der Akademie nicht wirklich angemessen gewesen, und wir hätten sicher sehr großen Ärger mit allen anderen bekommen."

Nun ja. Dass alle Akademie-.Mitglieder so gänzlich unverärgert in die Ausstellung gehen, kann man sich dennoch nicht vorstellen. Denn natürlich ist es eine Leistungsschau, erdrückend geradezu die vielen Beispiele von Gerkan, Marg und Partner gebauter Stadien, in der Mitte des zweiten Saals etwa, alles dominierend, in leuchtenden, großen Fotowänden gezeigt und beschrieben: die neu gebauten Stadien des Eröffnungs- und des Endspiels der EM in Warschau und Kiew. Die um dieses Zentrum herum gehängten Dokumentationen der Stadienbauten anderer Mitglieder der Akademie-Sektion "Baukunst" erhalten da unweigerlich Alibi-Funktion.

Auf die Korruptionsgerüchte im Zusammenhang mit dem Stadionbau in Kiew angesprochen - 3,5 Milliarden Dollar soll er gekostet haben - gibt Volkwin Marg sich gelassen. Lange vor den Zeiten der "Oligarchin Julia Timoschenko" habe man mit der Planung begonnen, der Westen sei nicht unschuldig daran, dass in vielen osteuropäischen Ländern Oligarchien entstehen konnten: Deren "Finanzgebahren" sei nun einmal wenig transparent.

"Da entzieht es sich dem, der plant, völlig, wie eigentlich mit denen, die bauen, mit dem Geld umgegangen wird. Natürlich sieht das ein Blinder mit dem Stock, dass wohl nicht alles Geld dorthin fließt, wo es soll. Das ist aber bei dieser Sorte nicht regulierter transparenter Wirtschaft durchaus der Regelfall. Und wenn jetzt jemand sagt: Da darf man überhaupt nicht mehr Sport betreiben, muss boykottieren und darf auch kein Stadion bauen, der möge das tun."

Das Thema des dritten Saales schließlich: der Rausch. Eine Film- und Geräuschinstallation von Hannah Leonie Prinzler: Sie collagiert Film- und Geräuschschnipsel, zeigt unkommentiert die Massenchoreographien synchronisierter Olympioniken 1936 in Berlin wie 2008 in Peking, zeigt synchronisierte Flugzeugbomberstaffeln im 2. Weltkrieg, Aufmärsche in DDR-Stadien, Torjubel heute, Fischschwärme, Volksmassen beim Rockkonzert.

Vieles lässt sich dazu denken, gut gemeint ist das - wie die gesamte Ausstellung. Dass es aber eine große Masse Mensch sein wird, die sich da, womöglich nach durchgestandenem "Public Viewing" bei Hitze und Durst, hineinliest in Gedanken über "das Stadion als bauliche Reflexion sozialer Organisation", das ist doch zu bezweifeln und auch nicht wirklich zu empfehlen. Lieber kaufe man sich tatsächlich den klug zusammengestellten Katalog und freue sich aufs nächste Spiel und - wer es mag - auch darauf, aufzugehen in der Masse.
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