Ein Spannungsverhältnis

Von Uli Heike Müller · 30.10.2010
Seit Ausbruch der Finanzkrise rückte das Verhältnis von Literatur und Wirtschaft zunehmend in den Blick der Wissenschaftler. Nun ging es auf einer Tagung in Hamburg um diese Thematik.
Literatur und Wirtschaft sind feindliche Schwestern. So hat die Literaturwissenschaftlerin Franziska Schößler das Spannungsverhältnis zwischen beiden beschrieben. Seit Ausbruch der Finanzkrise im Jahr 2008 rückt das Thema zunehmend in den Blick der Wissenschaftler.

Auf der Tagung wurde allerdings nicht über Gegenwartsliteratur diskutiert, sondern über Texte aus dem klassischen Kanon: Über Thomas Mann, Goethe, Adam Smith und Robert Skidelskys. Einerseits also über literarische Texte, die wirtschaftliche Zusammenhänge thematisieren und andererseits über pur ökonomische Texte. Bislang sind Wirtschafts- und Literaturwissenschaftler kaum in einen Austausch getreten.

"Jetzt ist es aber so, dass genau die Lektüren mal überkreuzt werden sollen zum ersten Mal, sodass man genau vergleichen kann anhand eines Textes, und das ist eigentlich in dieser Form, würde ich sagen, als Arbeitsgespräch einmalig","

sagt Christine Künzel. Berührungsängste könnten so abgebaut werden. Solche Ängste hatte auch der Bremer Ökonom Rudolf Hickel:

""Ich will sagen, diese Art von Cross Reading oder wie man es auch immer nennen will, es ist ein sehr, sehr wichtiges Projekt. Ich muss auch ehrlich sagen, ich hatte große Hemmungen hierher zu kommen, weil ich schon dachte, ich werde jetzt ertappt als einer, der sozusagen in seiner Ökonomensprache sich bewegt."

Dass sich Literaturwissenschaftler zunehmend mit Fiktionen in der Wirtschaft beschäftigen, ist nach Ausbruch der Finanzkrise wirklich nicht verwunderlich: Die Finanzmärkte bieten geradezu eine Steilvorlage, denn ohne eine fiktionale Story läuft an den Märkten gar nichts. Die Akteure an den Börsen reagieren auf Zukunftsfantasien oder Wachstumsversprechen. Das ist Spannung pur. Und: Ohne Geld gibt es keine Wirtschaft. Wie es in die Welt gesetzt wird, erzählt ein Drama, das auf der Tagung eine zentrale Rolle spielte --- Faust II von Johann Wolfgang Goethe.

"Er hat die Problematik der Geldschöpfung deutlich geschildert und auch die Erfolge der Geldschöpfung, indem man eben nicht wie die ursprüngliche Alchemie meinte, dass man aus Blei Gold macht, aber aus Papier eben Geld","

sagt Hans-Christoph Binswanger. Der emeritierte Wirtschaftsprofessor der Universität St. Gallen diskutierte angeregt mit Jochen Hörisch auf dem Podium. Der Literaturwissenschaftler fand es einfach beschämend, wie wenig die kluge ökonomische Faust-Interpretation von Binswanger bis heute in seiner Disziplin angekommen ist. Das gleiche gelte aber auch für die Ökonomie, sagt Binswanger:
""Ich meine, dass es sehr wichtig ist, dass die Ökonomie auch von der Literatur lernt, weil die Ökonomie sich verhangen hat in abstrakten Modellen, und die Literatur kann eben diese Dynamik der heutigen Wirtschaft viel besser zum Ausdruck bringen."

Lebhafte Diskussionen gab es über die ökonomische Theorie von John Maynard Keynes, der zu den berühmtesten Ökonomen des zwanzigsten Jahrhunderts zählt. Im Zuge der Finanzkrise hat eine Rückbesinnung auf sein Werk eingesetzt. Viele meinen, man könne an seine Gedanken anknüpfen, um künftige Krisen wenn schon nicht zu vermeiden, dann wenigstens abzufedern. Das auf der Tagung vorgestellte Buch "Die Rückkehr des Meisters. Keynes für das 21. Jahrhundert" von Robert Skidelsky brachte vor allem die Literaturwissenschaftler zum Staunen.

Denn dem bekannten Keynes-Biograf gelingt es, Keynes’ komplexe Theorie in einfachen und klaren Sätzen zu beschreiben. So etwas sei wichtig, weil das allgemeine Interesse an ökonomischen Fragen groß sei. Ökonomen argumentierten jedoch häufig undurchsichtig, meinte der Bremer Ökonom Rudolf Hickel:

"Das hat auch damit zu tun, dass die meisten Ökonomen, Ausnahmen sind John Maynard Keynes und auch Skidelsky, aber dass die meisten anderen einfach keinen Wert darauf legen, auch sich kommunikativ zu vermitteln. Und das Wichtigste ist eine gute, schöne Sprache"."

66 Teilnehmer hatten sich auf den Weg nach Hamburg gemacht. Eine ziemlich rege Beteiligung für eine wissenschaftliche Tagung! Zufrieden waren denn auch nicht nur die Veranstalter, sondern auch die Teilnehmer. Franziska Schößler von der Uni Trier, die sich mit Thomas Manns Roman "Buddenbrooks" auseinandergesetzt hatte, dieser berühmten Schilderung des Niedergangs einer Lübecker Kaufmannsfamilie – resümierte:

""Mir hat sehr gut gefallen, dass Wirtschaftswissenschafter und Literaturwissenschaftler wirklich ins Gespräch gekommen sind. Das hat man nicht so häufig, dass man den Eindruck hat, Wirtschaftswissenschaftler lassen sich wirklich auf literarische Texte ein, man findet eine gemeinschaftliche Sprache. Gleichzeitig hab ich sehr viel gelernt in der Auseinandersetzung mit theoretischen Texten, mit Adam Smith und anderen, also durch die andere Perspektive."