"Ein riesiges visuelles Potenzial"

Marion Esch im Gespräch mit Katrin Heise · 06.09.2010
Das Image ist wichtig: Dass weniger begabte Frauen Matehmatik oder naturwissenschaftliche Fächer studieren, liegt auch am Fernsehen. In deutschen TV-Serien finden sich keine Vorbilder für technische Berufe, sagt Marion Esch.
Wer warum eine Profession zu seinem Traumberuf erklärt oder ein bestimmtes Studium ergreift, das hängt natürlich auch von Vorbildern ab. Von persönlichen Vorbildern, aber auch von medialen Vorbildern. Eine Studie der Technischen Universität Berlin hat ergeben, dass man die Berufe, die man gar nicht kennt, auch nicht ergreift. Mehr noch: Diesen Berufen schreiben junge Leute in der Regel ein schlechtes Image zu. Und auch dies ein Grund dafür, dass zu wenige begabte Frauen beispielsweise Mathematik oder Informatik studieren. In dieser Debatte wird dem Fernsehen, sprich Fernsehfilmen und Serien, zu wenig Beachtung geschenkt, so die Autorin der Studie, Marion Esch. Sie hat deutsche mit amerikanischen Serien verglichen und festgestellt, die Amerikaner sind da viel eher auf der Höhe der Zeit, die Deutschen eben nicht. In Deutschland sind keine coolen Ingenieurinnen auf Sendung, und deshalb ist das Bild von dieser Berufssparte bei Mädchen, aber auch bei Jungen doch eher von vorgestern. An der Technischen Universität in Berlin beschäftigt sich ein Projekt mit genau diesem Zusammenhang, nämlich den Fachgebieten Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz MINT, und ihrer Präsenz im Unterhaltungsfernsehen. Projektleiterin ist Marion Esch, schönen guten Tag, Frau Esch!

Marion Esch: Schönen guten Tag!

Heise: Da gibt es ja offensichtlich noch viel zu tun. Was ist denn eigentlich na ja sag ich mal der emanzipationsrelevante Unterschied zwischen der "Sachsenklinik" beispielsweise, dieser deutschen Serie, und "Dr. House", der amerikanischen Serie? Ärzteserien gibt es ja nun hier wie dort, aber es klingt für mich fast so, als ob in den USA in den Serien auf ein modernes Vorbild hingearbeitet wird, das also angelegt ist als Vorbild. Ist das so?

Esch: Es gibt in den USA – natürlich auch nicht in der Breite, aber bei vielen Erfolgsformaten – eine sehr, sehr enge Zusammenarbeit zwischen den Machern dieser Programme und den Naturwissenschaftlern, Naturwissenschaftlerinnen und Technologen. Der Grundgedanke, die Idee war nicht sicherlich bei CSI, nicht die Berufsrollenbilder, -vorbilder für die jungen Frauen in Szene zu setzen, sondern genau das Potenzial von Naturwissenschaft und Technologie in Szene zu setzen, damit neue visuelle Welten zu erschließen und auch einfach die Rolle, die Naturwissenschaft und Technologie haben bei der Diagnose und bei der Ermittlung, das sozusagen in Szene zu setzen. Dass gleichzeitig natürlich auch der Anspruch da ist, moderne sozusagen Figuren in Szene zu setzen, und auch moderne Frauenfiguren in Szene zu setzen, das ist sozusagen geschehen aus der Tatsache heraus, dass man eher das Bild dessen, was sich hinter den Türen von Forschungslaboren vollzieht, auch nach außen hin sichtbar werden sollte.

Heise: Dass man den Stoff einfach auch interessant fand. Welches Bild von Weiblichkeit in technischen Berufen wird denn nun in den USA vermittelt? Wenn Sie uns das noch mal genauer erklären würden?

Esch: Auch in den USA gibt es Formate wie die "Sachsenklinik". Also das, was auf unseren deutschen Sendern an amerikanischen Serien zu finden ist, das sind die absoluten Spitzen- und Erfolgsformate. Das muss man sich immer klarmachen. Was sehr deutlich ist, da die Beruflichkeit und auch das forschende Tun sehr viel stärker im Vordergrund steht und ...

Heise: ... in den Serien ...

Esch: ... in den Serien, und das geht nicht nur für die Krimiserien, das gilt auch für die Medicals wie zum Beispiel "Emergency Room", das ist sozusagen dann wirklich ganz hautnah direkt vor Ort im OP und mit allem, was dazugehört. Da steht nicht im Vordergrund die freundschaftlichen Beziehungen des Ärztekollegiums oder Doktor Kleist in seiner Familie, das sind sozusagen ganz andere Erzählformen, und damit verbunden sind natürlich auch die Frauenmodelle ganz andere. Die Frauen sind selbstverständlich wie die jungen Männer als Wissenschaftlerinnen tätig und sozusagen darüber werden sie auch gespiegelt, und nicht so sehr darüber, ob sie auch in der Familie eine gute Partnerschaft, viele Kinder oder Ähnliches hatten.

Heise: Allerdings ist das ja eine tatsächliche Frage bei der Berufswahl. Und wenn wir das immer so ein bisschen so im Hinterkopf haben, also Vereinbarkeit von Familie und Beruf, welches Bild zeigen denn da die Serien?

Esch: Es wird eher gar nicht in Szene gesetzt. Im Vordergrund steht tatsächlich das berufliche Tun und mit sehr spannenden Fällen und mit sehr spannenden Methoden. Die Schwierigkeit in Deutschland besteht ja darin, dass sich die MINT-Berufswirklichkeit tatsächlich komplett hinter verschlossenen Türen vollzieht. Das ist anders als der Bäcker oder die Ärztin oder der Arzt, wo wir immer schon mal gewesen sind und wo wir auch tagtäglich in den Medien dann wieder Beispiele dafür finden. Der MINT-Bereich ist schlicht und ergreifend nicht sichtbar und kommt damit für die meisten jungen Frauen überhaupt nicht in den Horizont. Jeden Tag sieht eine junge Frau, dass man als Ärztin akzeptiert, anerkannt und erfolgreich sein kann, ...

Heise: ... aber wie das bei der Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft oder Technik ist, also in diesem MINT-Bereich, das sieht man nirgendwo. Und genau darüber forscht an der Technischen Universität die Medienwissenschaftlerin Marion Esch, die wir im "Radiofeuilleton" hier im Studio haben. Frau Esch, wie groß ist denn tatsächlich der Einfluss, den solche Serien aufs Berufsbild und auf den Berufswunsch haben? Ich stelle mir den eigentlich nicht so groß vor, ehrlich gesagt.

Esch: Was machen die Serien: Sie bringen etwas in den Horizont und machen deutlich, was man mit Aussicht auf Anerkennung und kulturelle Wertschätzung als Mann und als Frau tut. Das kann beobachtet werden. Wir haben 2500 Jugendliche befragt unterschiedlicher Bildungszweige. 66 Prozent der jungen Frauen geben an, dass sie sehr häufig bis gelegentlich interessante Information über Berufe aus den Serien entnehmen. 40 Prozent sagten sogar, dass das häufig bis sehr häufig der Fall ist. Wenn man sich dann auch noch klarmacht, dass wiederum ein ungefähr ähnlicher Prozentsatz mindestens einmal die Woche, wenn nicht mehrmals die Woche diese Serien anguckt, weiß man einfach, was für ein Potenzial dahinter steht, und eben auch, was für ein Potenzial dahinter stände, Einblicke in Welten zu geben, die einem ansonsten verschlossen sind.

Heise: Sie forschen jetzt auf diesem Bereich oder in diesem Bereich seit 2007. Es gibt Ergebnisse, es gibt die angeführte Studie. Wie sind denn die Reaktionen? Ich meine, wenn das Potenzial da so groß ist, wird das denn auch jetzt schon irgendwie umgesetzt?

Esch: Wir haben im Rahmen dieser Forschungsinitiative zahlreiche Vertreter von Sendern, Produzenten, Produzentinnen, aber auch eine hohe Anzahl von Autoren und Autorinnen befragt, um genau das zu erkunden: Wie kommt es eigentlich, dass der Bereich, der für unsere deutsche Zukunftsfähigkeit, aber auch für unsere Vergangenheit so bedeutsam ist, keinen Eingang findet in die Erzählkultur? Was müsste getan werden, damit das geschehen kann? Das wesentlichste Ergebnis war sicherlich das, dass kaum ein Bewusstsein dafür da war, dass das so ist, dass man ein sehr verengtes Spektrum darstellt und dass das unbeabsichtigte Nebenwirkungen hat. Niemand hat, Jugendliche haben nicht das Ziel, Berufsorientierung zu betreiben, wenn sie Serien gucken, das ist etwas, was als willkommener Nebenbei-Effekt stattfindet, und natürlich haben auch Macher von solchen Programmen nicht das Ziel, Berufsorientierung zu betreiben. Aber das Interesse war durchaus hoch, und ein wesentliches Ergebnis ist in der Tat, dass bei den meisten Filmschaffenden sehr unausgeprägte Vorstellungen darüber da sind, was sich denn hinter dieser Welt verbirgt. Vielfach wurde uns dann gesagt, das lässt sich doch alles gar nicht darstellen und visualisieren. – Genau das Gegenteil zeigen uns die amerikanischen Serien, es ist sozusagen ein riesiges visuelles Potenzial und man stellt im Verlauf des Gespräches vielfach fest, dass sie überhaupt keine Vorstellungen haben, was da passiert. Immer wieder ist mir gesagt worden, oh Gott, eine Elektrotechnikerin, was zum Teufel macht die denn?

Heise: Aber man ist durch Sie ja zumindest mal darauf aufmerksam gemacht worden. Wie sieht das eigentlich im bildungspolitischen Bereich aus, müsste da nicht auch gerade, also hingehen, eine Initiative auch an Macher solcher Serien, dass eben niederschwellig dieses Angebot gemacht wird?

Esch: Das wird ja tatsächlich getan. Frau, Bundesbildungsministerin Frau Schavan ist das Thema ja sehr wichtig und diese ganze Initiative, die wir hier gestartet haben, wird ja auch vom Bundesbildungs- und Forschungsministerium finanziert und unsere Partner sind die großen außeruniversitären Forschungsorganisationen, Max Planck, Helmholtz und Fraunhofer-Gesellschaft, die ihre Tore geöffnet haben und genau das getan haben, den Filmschaffenden Einblicke in ihren Forschungsalltag, aber auch in ihre Lösungsvorschläge für die Probleme unserer Welt zu geben. Und das war in beiderseitigem Interesse sehr, sehr inspirierend, also das hat viele neue Perspektiven eröffnet und wir dürfen hoffen, dass sich diese dann irgendwann auch auf dem Bildschirm auswirken.

Heise: Also das heißt, der Anfang ist bereits gemacht.

Esch: Ja.

Heise: Die Fachgebiete Mathematik, Informatik, Naturwissenschaft und Technik, kurz MINT genannt, spielen bisher nur eine untergeordnete Rolle im deutschen Unterhaltungsfernsehen. Das soll sich ändern. Erfahrungen werden ab heute in Berlin auf einer internationalen Konferenz zu MINT und Chancengleichheit in fiktionalen Unterhaltungsserien ausgetauscht. Danke schön, Marion Esch, Projektleiterin an der Technischen Universität Berlin, ich wünsche Ihnen einen interessanten Austausch die Tage!