Ein Punk-Roadmovie

24.01.2007
Gelangweilt vom bürgerlichen Leben begibt sich Peter Hein auf die Suche nach den Mitgliedern seiner längst aufgelösten Punkband. Es beginnt eine Reise durch Deutschland, bei der sich ein abstruses Ereignis an das andere reiht und das Lebensgefühl von einst wieder aufkeimt.
Oliver Maria Schmitt - ein Name, dem etwas Sensibles, Feingeistiges innezuwohnen scheint, der eher "Klassik" assoziieren lässt als "Punk". Doch der Autor dieses Namens hat einen "Punkroman" geschrieben, wenn auch einen, wie der Untertitel einschränkt, "für die besseren Kreise". Wo doch jeder weiß, dass Punks "Johnny Rotten" oder "Sid Vicious" heißen und ihr Interesse an Literarischem sich auf die Beschriftung ihrer Lederjacken beschränkt! Kann das gut gehen?

Es kann. Ziemlich gut sogar. Und das liegt nicht daran, dass Oliver Maria Schmitt den Ich-Erzähler seines Roman-Debüts "Peter Hein" nennt – nach dem real existierenden Sänger der NDW-Band "Fehlfarben" übrigens, und wahrscheinlich mit dessen Einverständnis. Viel mehr ist das Phänomen Punk 30 Jahre nach seinem Auftauchen längst über die ohnehin nur von sehr einfältigen beziehungsweise ahnungslosen Zeitgenossen bemühte Gleichung "Drei Akkorde – ein Bier" hinausgewachsen und hat, ebenso wie der ehemalige prototypische Gegenpart "Hippie", einen festen Platz in der Ästhetik des (nicht nur popkulturellen) Mainstreams eingenommen. Und da die Punk-Bewegung ausreichend künstlerische und soziale Essenz und Kompetenz aufzuweisen hatte, noch dazu in einem spezifischen, originären Lebensgefühl verwurzelt war, blieb sie vom Schicksal eines kurzlebigen Jugend-Modetrends verschont.

Diese der Punk-Ethik eigentlich widersprechende Langlebigkeit schlägt sich nicht nur im kommerziellen Erfolg von Neo-Punk –Bands wie "Green Day" (oder Originalen wie den "Toten Hosen" oder den "Ärzten") nieder, sie spiegelt sich auch auf literarischem Terrain. Im englischsprachigen Raum sind Autoren wie Irvine Welsh ("Trainspotting") oder William "Cyper Punk" Gibson seit langem etabliert, und auch hierzulande haut die bekennende "Generation Punk" zunehmend fleißig in die Tasten – wobei die literarische Umsetzung sich offenbar bevorzugt dem Thema "Punk in der Provinz" widmet. Nach "Dorfpunk" von Rocko Schamoni wartet nun der 1966 in Heilbronn geborene Oliver Maria Schmitt mit dem in einem entsprechenden Milieu angesiedelten Roman "Anarchoshnitzel schrieen sie" auf.

Das fiktive schwäbische Nest "Hellingen" ist Ausgangspunkt einer wilden Reise durch das Deutschland der Gegenwart, auf der Ich-Erzähler Peter Hein und sein Kumpel Dr. Jürgen Hollenbach versuchen, ihre in alle Winde, vor allem in die neuen Bundesländer verstreute ehemalige Band "Gruppe Senf" zu einer Reunion zusammen zu trommeln. Formal für einen Auftritt in einer TV-Show, in Wirklichkeit, um aus dem langweilig gewordenen bürgerlichen Leben auszubrechen und im Falle von Hein vor allem, um seiner alte Flamme Itty Lunatic, ehemals Sängerin der Band, wieder näher zu kommen. Dabei geraten sie von einer abstrusen Situation in die nächste: Sie müssen an thüringischen Imbissbuden in der Gesellschaft schwuler Skinheads Unmengen Bratwürste verköstigen, lernen auf einer sächsischen Hanffarm die geheimen Erkennungszeichen der dort siedelnden Wessis (und die psychoaktive Potenz des "Minzprügels", einer Spezialität des Hauses) kennen, versuchen in einer Tagebau-Schlammgrube an der polnischen Grenze Liebe zu machen, stranden in ihrem frech gemieteten Super-Mercedes mit leerem Tank auf Rügen und entkommen in Magdeburg mit knapper Not einer im Rahmen einer politischen Versammlung freigesetzten Flut von Erbrochenem, um sich am Ende in einem Kölner TV-Studio als Gewinner des Wettbewerbs um den "schlechtesten Song aller Zeiten" feiern lassen zu dürfen.

Die (w)irre Geschichte endet – ziemlich unpunkig eigentlich - happy, doch ist es nicht in erster Linie der (im Übrigen stark an Hunter S. Thompsons Meisterwerk "Fear and Loathing in Las Vegas" angelehnte) Plot, der "Anarchoshnitzel" lesenswert macht, sondern der Erzählstil. Dieser erinnert deutlich an Eckhard Henscheid und dessen "Trilogie des laufenden Schwachsinns", von dem Schmitt unter anderem das Stilmittel der großzügig in den Erzähltext einfließenden wörtlichen Zitate übernommen hat. Diese Titanic-Connection – Schmitt ist ebenso wie Henscheid Mitarbeiter des Satire-Magazins – funktioniert "wie geschmiert", erzeugt unschlagbar Authentizität und liefert einige der witzigsten Stellen des Buches. Wie man hört, sorgt Schmitt bei Live- Lesungen für an Körperverletzung grenzende Lachorgien im Publikum. Vor Heiterkeit brüllend am Boden wälzen werden sich bei der privaten Lektüre zwar nur die wenigsten, aber zahlreiche zum Schmunzeln einladende Momente hält der oft deftige Humor von "Anarchoshnitzel schrieen sie" für dem Punk-Spirit nicht ganz abgeneigte Leser allemal bereit. Schmitts Spott macht vor nichts und niemandem halt, schon gar nicht vor sich selbst und ist Fun-Punk im besten Sinne.

Rezensiert von Helmut Heimann

Oliver Maria Schmitt: Anarchoshnitzel schrieen sie – Ein Punkroman für die besseren Kreise
Rowohlt Berlin 2006
345 Seiten, 19,80 Euro