Ein Politiker, zwei Lebensbeschreibungen

15.04.2010
Pünktlich zum 90. Geburtstag Richard von Weizsäckers bringen die Verlage neue Biografien des ehemaligen Bundespräsidenten heraus. Gunter Hofmann behandelt ihn als Inbegriff des vorbildlichen Deutschen, während Hermann Rudolph nüchtern auch Weizsäckers Politik als Regierender Bürgermeister untersucht.
Für den langjährigen "Zeit"-Korrespondenten Gunter Hofmann ist das Leben Richard von Weizsäckers eine einzige Auseinandersetzung mit seinem Vater. Der, Ernst von Weizsäcker, war Diplomat, NSDAP-Mitglied und SS-Oberführer, Staatsekretär unter Außenminister Ribbentrop und hatte Deportationsbefehle für französische Juden nach Auschwitz abgezeichnet. Er war aber auch ein Gegner der Kriegspläne Hitlers, manche hielten ihn gar für einen Widerständler; er sich selbst nicht.

Sein Sohn Richard hat ihn im sogenannten Nürnberger Wilhelmstraßenprozess mitverteidigt. Bis heute hält er den Prozess gegen seinen Vater, der mit einem Urteil auf sieben Jahre Haft endete, für falsch, den Vater selbst für unschuldig.
Hofmann kniet sich tief in die Frage, wie der Sohn den Vater sah. Richard von Weizsäckers Engagement als Präsident des evangelischen Kirchentags, sein Eintritt in die Politik Mitte der sechziger Jahre, seine bejahende Haltung zu den Ostverträgen, seine Rede zum 8. Mai 1985 – all das stellt er als den Versuch dar, es besser zu machen als der Vater. Dass man die Sicht des Sohnes von der Sicht des Politikers unterscheiden könnte, fällt dem Biografen freilich nicht ein, weil er sich gute Politik letztlich als eine Verwirklichung von persönlichen Überzeugungen vorstellt.
Folgerichtig behandelt er Weizsäcker als Inbegriff des vorbildlichen Deutschen. Wenn man das Pensum der Deutschen ganz in der Bildung ihres historischen Gedächtnisses nach 1945 beschlossen sieht, kann man dem gar nicht widersprechen. Noch vorbildlicher sind für Hofmann vielleicht nur Marion Gräfin Dönhoff und Helmut Schmidt, weshalb es ihm offenbar nicht möglich war, auch nur fünf Seiten über Weizsäcker zu schreiben, ohne die beiden anderen, Hofmanns ehemalige Chefs bei der "Zeit", in Bewunderung zu erwähnen.

Überhaupt legt sich der Autor die Phrase, Geschichte sei menschengemacht, so zurecht, dass, wenn nur die richtigen, nämlich moralisch Verantwortung einmahnenden Menschen am Geschichtshebel säßen, alles gut würde. Sobald darum Weizsäcker etwas sagt, das Hofmann gefällt, nickt der Biograph und rechnet das Gute daran dem guten Charakter seiner Helden zu. Da erscheint dann selbst ein völlig leerer Befund wie der, Deutschland sei mittendrin in Europa, als Weisheit.

Beruft Weizsäcker hingegen als Regierender Bürgermeister von Berlin den Rechtsaußen Heinrich Jodokus Lummer als innenpolitische Abrissbirne in sein Kabinett, oder zeigt er sich 1983 schon sehr beflissen, Bundespräsident zu werden, dann gehorcht der Held eben dem politischen Realitätsprinzip.
Andere, Helmut Kohl etwa oder Franz Josef Strauß, werden nicht so verständnisvoll behandelt. Dafür, dass Politik nicht in erster Linie aus Denkschriften besteht, fehlt dem politischen Journalisten der Sinn. Auch Weizsäckers Kritik der Parteien als "machtversessen" wird beklatscht, anstatt die Frage zu stellen, was Parteien denn sonst sein sollen. Im Grunde suggeriert Hofmann, ein Staat, der nur aus Weizsäckers – und natürlich Dönhoffs und Schmidts – bestünde, sei der beste denkbare. In einem früheren Zeitungsbeitrag zu Weizsäcker hatte Hofmann ihn einmal mit dem Künstler Christo verglichen: Er packe Politik, und zwar in Watte, ein. Die Voraussetzung dafür, dass andere sie zuvor gemacht haben, kommt in dieser Biografie nicht vor.
Den Vergleich mit Christo muss man bei Hermann Rudolph nachlesen, Hofmann hat ihn in seinen Text nicht aufgenommen. Rudolph, Herausgeber des Berliner "Tagesspiegels", hingegen schreibt ohne Sorge, am Ende ohne Lichtgestalt dazustehen. Er hat die sachlichere, die entspanntere Biografie geschrieben, die nicht nötig hat, beim hohen Ton mitzubieten.

Zwar hält sich Rudolph sehr eng an Weizsäckers eigene Erinnerungen, aber nie verliert er das Gefühl dafür, was Politik ist: kein Austausch von Wertereden. Und was Biografie ist: Das Buch geht ausführlicher auf Weizsäckers prägende Militärzeit von Anfang bis Ende des Zweiten Weltkriegs ein, beschreibt seine Anfänge in der Wirtschaft und hat auch ein gutes Gespür für Weizsäckers Stilwillen, nichts zu übertreiben: den Adel nicht, die Bürgerlichkeit nicht, Preußen nicht und die Liberalität nicht, das Konservative nicht und auch nicht das Religiöse. Stünde am Ende nicht die Rede zum 8. Mai 1985, man wäre fast geneigt, Weizsäcker eine politisch elegante Erscheinung zu nennen.
Vor allem aber gewinnt bei Rudolph die Zeit Weizsäckers im Bundestag ab 1969 sowie als Regierender Bürgermeister von Berlin mehr Farbe, weil der Biograph keinen Personenkult betreibt und sich für mehr als nur politische Grundsatzreden interessiert. Er macht immerhin darauf aufmerksam, dass Weizsäcker entsprechend seiner Natur entschied, als er 1984 das Reden in Bonn dem Handeln in Berlin vorzog.

Und schließlich ist Rudolphs Stil frei von der gönnerhaften und eigentlich fast ein bisschen unverschämten Rhetorik des "Hätten wir doch mehr von seinem Schlage". Wer also eine Biografie Weizsäckers lesen will, dem sei ganz entschieden die weniger pathetische empfohlen.

Über die Autoren:
Gunter Hofmann, geboren 1942, ist Journalist, hat Politikwissenschaft, Soziologie und Philosophie studiert und war bis 2008 Chefkorrespondent der "Zeit".

Hermann Rudolph, geboren 1939, ist ebenfalls Journalist, hat Literatur- und Sozialwissenschaften studiert, war Redakteur bei der FAZ, der "Zeit", beim Deutschlandfunk, der Süddeutschen Zeitung und dem Tagesspiegel. Er ist zur Zeit Herausgeber des Tagesspiegel.



Besprochen von Jürgen Kaube

Gunter Hofmann: Richard von Weizsäcker. Ein deutsches Leben
CH Beck, München 2010
295 Seiten, 19,95 EUR

!Hermann Rudolph: Richard von Weizsäcker. Eine Biografie
Rowohlt, Berlin 2010
288 Seiten, 19,95 EUR
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