Ein philosophierender Roboter und eine Mördergang mit Politparolen

Vorgestellt von Hans-Ulrich Pönack · 24.09.2008
"Wall-E" ist ein fantastischer Animationsfilm aus dem Hause Pixar, der einen Roboter zeigt, der seit Jahrhunderten eine völlig vermüllte Erde reinigt und säubert. Am Anfang wie ein Stummfilm entwickelt sich das Ganze zu einer hinreißenden, anspruchsvollen Satire auf die Gegenwart. "Der Baader-Meinhof-Komplex" zeigt die RAF als Bande von skrupellosen Mördern. Ein Action-Drama, gespickt mit zahlreichen historischen Verweisen und Dokumenten.
Wall-E - Der Letzte räumt die Erde aufUSA 2008. Regie: Andrew Stanton. Mit den Stimmen von Timmo Niesner, Luise Helm, Markus Maria Profitlich, Joachim Kerzel, Hans-Jürgen Dittberner. Länge: 95 min.

"WALL-E" von Andrew Stanton (USA 2007/Co-B+R); ist der mittlerweile neunte Spielfilm aus dem kalifornischen Animations-Hause Pixar. Gegründet am 9. Dezember 1985, ursprünglich als High-End-Rechner für Computer-Designs und zur Herstellung von Werbefilmen für staatliche Institutionen und für die Medizin-Branche; mit der berühmten Schreibtischlampe als Logo; seit 1995 mit Langfilmen außerordentlich kino-erfolgreich. Allein die ersten fünf Pixar-Filme - "Toy Story" (1995); "Das große Krabbeln" (1998); "Toy Story 2" (1999); "Die Monster AG" (2001) sowie "Findet Nemo" (2003) - brachten weltweite Einnahmen von rd. 2,5 Milliarden Dollar. Und auch die danach gedrehten Pixar-Produktionen "Die Unglaublichen" (2004); "Cars" (2006) und zuletzt "Ratatouille" waren allesamt ebenfalls sehr erfolgreich.

Für ihre Kurz- und Langfilme konnte Pixar bislang insgesamt sieben "Oscars" einheimsen (zuletzt bekanntlich mit "Ratatouille"). Ein Flop ist weit und breit nicht in Sicht, denn auch dieser 9. Pixar-Langfilm startete in den USA bereits phänomenal und sorgte allein dort für Kinokassen-Einnahmen von bislang rund 221 Millionen Dollar! Was doch etwas verwundert, stehen doch vor allem ökologische (Endzeit-)Motive im Blickpunkt des "weltlichen" Geschehens.

Übrigens, zum Titel: "WALL-E" steht für "Waste Allocation Loach Lifter - Earth Class", also für "Müllfahrzeug für die Erde". Und der Titel ist Programm: Der Planet Erde ist völlig verschmutzt. Deshalb haben die Menschen ihn auch fluchtartig aufgegeben. Sie kamen mit ihrem Müll nämlich nicht mehr klar. Die Erde ist ein einziger gigantischer Müll- bzw. Schrotthaufen. Auf der WALL-E immer noch, seit 700 Jahren, fleißig und brav, wie ihm einst befohlen, den Müll sammelt, sortiert und stapelt.

Wall-E, der letzte Roboter. Den man einfach vergessen hatte abzuschalten. Und der inzwischen, Tag für Tag, wolkenkratzerhohe Würfel-Mülltürme errichtet und dabei im Verlaufe der Jahrhunderte "nebenbei" eine eigene Persönlichkeit entwickelt hat. Sozusagen sich selbst "weiterentwickelt" hat. Wall-E sammelt Ersatzteile ebenso wie Kuriositäten. Besitzt einen eigenen Videorekorder und sieht sich dort gerne abends schon mal, "zur Entspannung" , den hollywoodschen Musical-Klassiker "Hello Dolly" von 1969 an mit Louis Armstrong. Putziger Kumpel von Wall-E ist eine aufgeweckte Kakerlake (auch gerne Küchenschabe genannt).

Die Maschine und das Insekt - die einzigen "Überlebenden" in einer völlig unbewohnten Welt. Irre. Irre-schön. Man muss sich das einmal vorstellen, eine erste fast-stumme Filmstunde inmitten einer trostlosen Szenerie, mit einer niedlichen Maschine im Blick- und Mittelpunkt, und es ist wie bei den alten, wunderbaren Stummfilmklassikern von Buster Keaton oder Charlie Chaplin: Wall-E als ein faszinierender Blech-Chaplin! Unglaublich, aber augenzwinkernd-wahr. Ebenso vergnüglich wie bauklötzestaunend-schelmenhaft. Aber weiter: Sie taucht auf. Die weiße, engelsgleiche Roboter-Lady EVE. Per Raumschiff. Zwar ballert sie erst einmal erschrocken mit ihrem Laser-Arm herum, dann folgt die "Annäherung". Zwischen WALL-E und EVE, dem wohl ungewöhnlichsten Liebespaar in der Geschichte des Films.

Doch halt, bis dahin ist es noch ein weiter Weg, denn erst einmal sorgt eine grüne Topfpflanze für aktionsreiches Geschehen. Man kehrt hinauf, mit dem besagten Raumschiff von ihr, zum Planeten Axiom. Dort haben sich die Menschen inzwischen angesiedelt. Aber wie: Sind zu faulen, aufgedunsenen, verfetteten Gestalten mutiert, weil Roboter ihnen buchstäblich und wortwörtlich alles an Bewegung und Geist abgenommen haben. Man braucht nur noch faul herumzuliegen, und das ist alles. Die Maschinen erscheinen weitaus "menschlicher" als die degenerierten Menschen.

Doch jetzt gibt es Hoffnung. Wegen besagter grüner Topfpflanze. Denn durch die wird signalisiert: Möglicherweise ist die gute, alte Erde doch noch bzw. wieder bewohnbar. Ein fröhlicher, ein trauriger, ein magischer, ein ins Staunen versetzender, ein poesievoller, ein herrlich einfallsreicher wie intelligenter Abenteuer-Spaß. Mit zwei phantastischen, hinreißenden Roboter-Identifikationsfiguren! Einmal mehr: Pixar-wunderbar: Unangestrengte Technik, liebevolle Details, eine hintergründig-spaßig-böse Botschaft mit feinem Philosophie-Polit-Geschmack.

Es funktioniert: Unterhaltung kann soooo clever sein. Natürlich mit Zitaten, Anspielungen, Erinnerungen an Klassiker wie "2001 - Odyssee im Weltraum", vor allem "Nr. 5 lebt", natürlich "E.T." oder "Star Wars". Und mit einem, wie gesagt, der kuriosesten Liebespaare in der Geschichte des Films: WALL-E und EVE. Die vergnüglich-listige Zivilisationskritik ist angekommen, von wegen träge Menschen mit abgeschalteten Gehirnen und cleveren Maschinen mit emotionalen Schüben: alles wird besser: Ein Animations-Meisterwerk!


Der Baader-Meinhof-Komplex
Deutschland 2007. Regie: Uli Edel. Darsteller: Martina Gedeck, Moritz Bleibtreu, Johanna Wokalek, Bruno Ganz, Alexandra Maria Lara, Nadja Uhl, Hannah Herzsprung, Jasmin Tabatabai. FSK: ab 12. Länge: 150 min.

<im_46671>"DER BAADER MEINHOF KOMPLEX" (NUR IM ZUSAMMENHANG MIT DEM FILMSTART)</im_46671>"Der Baader-Meinhof-Komplex" von Uli Edel, nach einem Drehbuch des Produzenten Bernd Eichinger (D 2007), basierend auf dem gleichnamigen Sachbuchbestseller des Ex-"Spiegel"-Chefs Stefan Aust. Das Sachbuch wurde erstmals 1985 veröffentlicht und 1997 aktualisiert, ist jetzt in einer neu überarbeiteten Fassung erschienen und gilt als das Standardwerk über die Geschichte der Roten Armee Fraktion (RAF).

Davon können der 61-jährige Uli Edel und der 59-jährige Bernd Eichinger schon als gemeinsame Filmhochschüler (an der Hochschule für Fernsehen und Film in München) geträumt haben: Noch einmal mit einem Kinofilm die Schlagzeilen in Deutschland zu beherrschen. Rund 27 Jahre nach ihrem aufsehenerregenden Film "Wir Kinder vom Bahnhof Zoo" über die drogensüchtige Christiane F. (1981) ist ihnen aber genau das erneut geglückt. (1989 verfilmten beide zusammen übrigens auch noch den Hubert-Selby-Roman "Letzte Ausfahrt Brooklyn").

Dabei ist zunächst präzise der Titel zu beachten: Nicht die große Doku über jene zehn Unruhe-Jahre deutscher Geschichte (von 1967 bis 1977) ist gefragt, mit den vielen Hintergründen, Analysen und Beteiligten innerhalb und außerhalb des Gemeinwesens, sondern es geht hier nur und ausschließlich um die Themen und Führungs-Figuren der berühmt-berüchtigten Terrorgruppe RAF. Dabei eben nicht verpackt in verklärendes Gefühlskino, sondern als modernes, also rasant geschnittenes Polit-Drama. Das ganz auf melodramatische Zuschnitte verzichtet, mit großartigen Schauspielern aufwartet und ungeheuerlich spannend den Kopf, also die Gedanken und Erinnerungen, authentisch nahe wie aufregend-unterhaltsam durchschüttelt. Motto: WIR BEFINDEN UNS IM KINO, SEHEN, empfinden EINEN S P I E L F I L M.

Die 60er Jahre. In der Bundesrepublik wächst eine Generation heran, die mehr und mehr das Verhalten ihrer Eltern während des Nationalsozialismus kritisch betrachtet. Private wie "amtliche" Autoritäten werden zunehmend infragegestellt. "Das System" wird misstrauisch beäugt: Der Kapitalismus, die parlamentarische Ordnung, das Knüppel-Auftreten der Polizei, die bürgerlichen Lebensformen. Verstärkt durch die "internationale Stimmung": Der Vietnam-Krieg der USA, die Unterdrückungs-Politik des Schahs in Persien, der Nahost-Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern. Vielerorts traten Bürgerrechtsbewegungen lauthals in Erscheinung, in den großen Universitätsstädten Westeuropas kam es zu Massenprotesten. In der Bundesrepublik entstand die außerparlamentarische Opposition.

Doch vielen Studenten reichten die Straßen-Proteste längst nicht mehr aus. Sie schließen sich zusammen (im Sozialistischen Deutschen Studentenbund), planen Aktionen oder tauchen ab in den Untergrund. "Wir haben gelernt, dass Reden ohne Handeln unrecht ist", bekennt Gudrun Ensslin vor Gericht, wo ihr 1968 nach Brandanschlägen auf Frankfurter Kaufhäuser mit Andreas Baader und anderen der Prozess gemacht wird.

1970 wird, nach dem tödlichen Schuss eines Polizisten auf den demonstrierenden Studenten Benno Ohnesorg und nach dem Attentat auf den Studentenführer Rudi Dutschke, nach Medienkampagnen und prügelnder Staatsgewalt, die "Rote Armee Fraktion" (RAF) gegründet. Eine linksextremistische Terrororganisation, mitten in der Bundesrepublik Deutschland. Ihre Gründer waren u.a. Andreas Baader, Gudrun Ensslin, Horst Mahler und Ulrike Meinhof. In ihrem Selbstverständnis betrachtete sich die Gruppe als kommunistische, antiimperialistische Stadtguerilla nach südamerikanischem Vorbild, ähnlich den Tupamaros in Uruguay. Und glaubt, "handeln" zu können, zu dürfen, wie man will. Die Rechtfertigungs-Ideologen: Skrupellos greifen die Anhänger der RAF zur Waffe, um Banken zu überfallen, Bomben zu schmeißen und Menschen zu töten. Die RAF ist schließlich für 34 Morde verantwortlich.

Davon erzählt, handelt der Film, der nicht die Geschichte Einzelner in den Mittelpunkt stellt und damit auch keine etwaigen "Helden" zulässt, sondern der sehr zielgerichtet, hart, überzeugend-atmosphärisch und immer an den Fakten bleibend von dieser BRD-Epoche aufwühlend "berichtet". "Fetzendramaturgie", nennt Bernd Eichinger diese 150 Minuten deutsches Polit-Spielfilm-Kino: Immer wieder prasseln Fotos, alte Filmaufnahmen oder Ausschnitte aus Fernsehnachrichten auf den Betrachter ein, stakkatoartig wie Gewehrsalven. Von denen es reichlich gibt, denn auch hier blickt man ungeschminkt, ungeschönt auf die brutalen Ereignisse.

Widerliche, exzessive Gewalt wird als solche gezeigt, nichts wird beschönt, verklärt, "beruhigt". Aber: diese Gewalt wird nie spekulativ eingesetzt/benutzt bzw. "unterhaltend". Am Ende des Films ist man mitgenommen, betroffen, fassungslos. Die RAF als das, was sie tatsächlich war: Eine gnadenlose, mitleidlose Mörderbande, der es völlig wurscht war, wenn sie auch Fahrer oder Leibwächter abknallten. Am Ende räumt Brigitte Mohnhaupt gegenüber jungen RAF-Sympathisanten mit dem Mythos um Baader & Meinhof kühl auf: "Ihr habt die Leute nie gekannt. Hört auf, sie so zu sehen, wie sie nie waren!".

Mit der Tötung und dem eingefrorenen Bild des Arbeitgeber-Präsidenten Hanns Martin Schleyer endet der Film, der unter die Haut kriecht, der verstört, der großartig aufregt, der viel kreative (Nach-)Denk-Unruhe hinterlässt. Und: der als großartiges deutsches Kino-Ereignis in Erinnerung bleibt.

Weil er das Andenken der Opfer nicht beschädigt; weil er grandios - im Rahmen seiner (zeitlichen) Möglichkeiten - die Jahrzehnt-Fakten zusammenbringt; weil er beeindruckend Schauspieler-besetzt ist. Moritz Bleibtreu trifft den Macho-"Lebemann" Andreas Baader hautnah; Martina Gedeck rekonstruiert Ulrike Meinhof bis in die tiefen Haut- und Seelen-Poren; Johanna Wokalek ("Hierankl"/2002) ist als Gudrun Ensslin von beängstigender Kühle. Drumherum: Der einmal mehr brillante Bruno Ganz als BKA-Chef Horst Herold, der die Täter verstehen will, um ihnen das Handwerk zu legen ("Psychologie statt Waffen"), der jedoch mit seinen Argumenten in dieser aufgeladenen BRD-Atmosphäre der allgemeinen großen Verunsicherung bei den politisch Verantwortlichen auf erhebliche Skepsis stößt.

Desweiteren im großartigen Ensemble: Jan Josef Liefers, Heino Ferch, Nadja Uhl (als Brigitte Mohnhaupt), Hannah Herzsprung und Stipe Erceg (als Holger Meins).

Und imponierend der kühle Aufwand: 123 Sprechrollen, 6300 Komparsen, 140 Motive; an Originalschauplätzen wie der Deutschen Oper, Berlin; Audimax der Technischen Universität, Berlin; JVA Stuttgart-Stammheim in 74 Drehtagen von März bis November 2007 realisiert. Fazit: 150 Minuten dampfendes, packendes deutsches Geschichts- bzw. Polit-Spannungskino.
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