Ein Ort gegen das Vergessen

Von Alexander Musik · 23.08.2013
Aus Wien sind Mitte der 1930er-Jahre etwa 150.000 Juden vor den Nationalsozialisten geflohen. Daran wollen die Österreichische Gesellschaft für Exilforschung und die Theodor-Kramer-Gesellschaft erinnern und ein Museum des Exils gründen. Die Chancen stehen nicht schlecht.
Wien war nicht nur die Stadt mit der größten jüdischen Bevölkerung im deutschen Sprachraum, es war auch die Stadt, aus der die meisten Menschen schon von 1934 an geflüchtet sind, heißt es in einer Erklärung der Theodor-Kramer-Gesellschaft. Ist es da nicht an der Zeit, ein Museum des Exils aufzubauen, das an jene schätzungsweise 150.000 Emigranten erinnert und ihre Schicksale museologisch aufbereitet? Konstantin Kaiser, Exil-Experte und Mitbegründer der Theodor-Kramer-Gesellschaft:

"Die Idee hab ich schon seit 20 Jahren, dass es notwendig wäre. (...) Man könnte ja auf manchen Gebieten sagen, dass gut die Hälfte, wenn nicht mehr als die Hälfte der irgendwie qualifizierten Leute, etwa auf dem Gebiet der Medizin, Österreich verlassen mussten. Und wir haben einen Verlust, der in Relation zur Bundesrepublik oder zum damaligen Deutschland und zur Bevölkerung viel größer, viel höher ist! Das Exil ist ein viel größerer Einschnitt in der Geschichte Österreichs, könnte man fast sagen. Und in der österreichischen Kultur."

Die Nobelpreisträgerin Herta Müller, selbst 1987 aus Rumänien nach Deutschland ausgewandert, war noch in Bukarester Antiquariaten auf Kramers Werk gestoßen: "Kein anderer fand für das Schwerste so leicht einen Klang, keiner war so mündlich im Ton und so einprägsam", schrieb sie später über ihn. Und verlieh 2011 ihrer Forderung nach einem Museum des Exils in Deutschland Nachdruck:

"Das Exil ist die Konsequenz der ersten Vertreibung aus Deutschland. Schriftsteller, Musiker, Maler, Architekten, aber auch Ärzte, Juristen und natürlich Politiker wurden von den Nationalsozialisten aus dem Deutschen Reich vertrieben oder verhaftet und in Konzentrationslagern ermordet. (...) Für fast alle gilt: Nach dem Krieg wollte man nichts mehr von ihnen wissen. Die Nobelpreisträger hatten natürlich eine herausgehobene Position. Aber Konrad Merz und die unzähligen anderen, die vor dem Krieg wichtige Stimmen waren, wie etwa Theodor Kramer, der im englischen Exil noch Tausende großartige Gedichte schrieb, wurden vergessen und sind es immer noch."

Die Öffentlichkeit ist begeistert
Zwar gebe es in Wien ein Theodor-Kramer-Gymnasium und eine gleichnamige Gasse, sagt Konstantin Kaiser. Doch frage man auf der Straße nach dem Schriftsteller, dessen Gedichte Anfang der 1930er-Jahre zu den am meisten publizierten im deutschen Sprachraum gehörten, stoße man auf ernüchternde Ignoranz. Kein Wunder, dass sich auch der Sozialwissenschaftler und Präsident der Österreichischen Gesellschaft für Exilforschung, Fritz Hausjell, für ein Museum des Exils stark macht:

"Weil sich in der Vergangenheit gezeigt hat, dass doch das Thema Exil, das Thema Asyl in der Erinnerungskultur, zu kurz kommt. Wir haben es zum Beispiel nicht geschafft, eine große Exil-Ausstellung bis jetzt zu machen, obwohl es dazu Anläufe gegeben hat. Und eine Institutionalisierung dieses Themas im Rahmen eines ‚Hauses des Exils‘ würde ganz sicher gewährleisten, dass das zum fixen Bestandteil der österreichischen Identität in der Erinnerungskultur dann gehört."

Kürzlich ging die Kramer-Gesellschaft mit ihrer Idee an die Öffentlichkeit. Die Reaktionen auf die angezettelte Debatte waren begeistert, erzählt Kaiser, und auch für die Stadt Wien sei ein solches Haus eine Investition, die nur Vorteile bringe: als prestigeträchtiger Bau und Besuchermagnet.

"Die Initiative Herta Müllers hat in der Bundesrepublik dazu geführt, dass man jetzt wieder ein virtuelles Museum des Exils errichten will, obwohl ein solches in einer gewissen Form durch die Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft schon existiert. (…) Unsere Frage - und da haben alle überein gestimmt - war doch die: Wenn das Exil schon in diesen Ländern eine oft nur virtuelle Existenz fristet, in den Herkunftsländern, wie kann dann gerade eine virtuelle Präsentation diesem Umstand abhelfen?"

Konstantin Kaiser spielt auf das Webportal exil-archiv.de an, doch mit einem solchen - virtuellen - mag man sich in Wien nicht zufrieden geben. Und auch die Exil-Definition, die in dem geplanten Haus Anwendung finden soll, beschränkt sich nicht auf Österreich als Auswanderungsland. Der Blick der künftigen Besucher und Forscher soll nicht in der Vergangenheit heften bleiben, sondern bis in die Gegenwart reichen. Fritz Hausjell:

" "Das ist ja auch der Gedanke der Verquickung des historischen Exils mit den Fragen des gegenwärtigen Asyls und der Frage der Zuwanderung, ohne dass dabei die wesentlichen Unterschiede ausgeblendet werden sollen. Denn das ist immer auch eine Gefahr. Aber auch eine Herausforderung die wir uns auch leisten sollten.

Weil, würden wir nur uns mit dem Exil der 30er-, 40er-Jahre beschäftigen, würde mit Sicherheit ein kritisches Publikum dann die Frage stellen: Und was ist denn mit den Menschen, die heute hier Asyl finden? Was im Übrigen zum Teil tatsächlich ähnliche Auswirkungen hat für die Lebensbedingungen, denn wir sind auch ein Land, in dem zum Teil wider Willen des Landes und größerer Teile der Gesellschaft dieses Landes hier Asyl gefunden wird, Zuflucht gefunden wird."

Nach Einschätzung der Forscher gingen Österreicher ab 1934 in 64 Länder ins Exil. Ebenso vielfältig ist die Herkunft derjenigen, die heute oder vor 20 Jahren in Österreich eine neue Heimat gefunden haben. Es werde zu viel gefragt, was die Exilanten von heute alles nicht könnten, sagt Hausjell, und zu wenig, was sie zur österreichischen Gesellschaft beizutragen hätten.

"Auch da sind wir ja etwas ähnlich mit der Situation, dass Menschen, die aus Wien oder aus anderen Teilen geflohen sind in den 30er-Jahren ihr Können in manchen Bereichen sehr gut einbringen konnten, und in anderen Bereichen ist es einfach ignoriert worden. Und die Menschen sind darüber verzweifelt, haben sich mit anderen Tätigkeiten über Wasser gehalten und haben später, da die allermeisten nicht zurückgekehrt sind, aus ganz unterschiedlichen Gründen, wesentlich auch, weil sie nie gerufen worden sind, haben auch dann die späte Anerkennung nicht bekommen. Die oft posthume Anerkennung haben sie durch unsere wissenschaftliche Arbeit bekommen! Das ist nicht ganz unwichtig."

Auf der Suche nach Unterstützern für ein Haus des Exils
Beispiel Theodor Kramer. 1939 musste er als Jude Wien verlassen und hielt sich als Bibliothekar in einer britischen Provinzstadt über Wasser. Zurück nach Wien kam er erst 1957: verbittert und verlassen.

"Er war, obwohl er erst 60 Jahre alt war, nicht gesund, ist wenige Monate später in Wien gestorben. Und es waren bitteren Monate für ihn in Wien, weil er zwar einerseits hier Freunde hatte, aber andererseits auf sehr viel Ablehnung und Ignoranz gestoßen ist. Er wurde zwar unterstützt, aber zugleich ausgegrenzt."

Und zwar auch von der Germanistik, die den Dichter lange nicht ernst nahm. So wie ihn schon in den 30er-Jahren die Linke verachtete, weil sie das nötige Klassenbewusstsein in seinen Gedichten vermisste. Erst 1983 wurde Kramer als Dichter rehabilitiert – durch eine Ausstellung der Theodor-Kramer-Gesellschaft, die auf ein breites Echo stieß.

Tausende andere Exilanten – und noch viele mehr, die keine Intellektuellen waren – sind bis heute vergessen, ihre Hinterlassenschaften, falls vorhanden, in aller Welt verstreut. Das Haus des Exils soll das ändern. Wieso gibt es kein Haus des Exils? fragt Konstantin Kaiser mit einem Seitenhieb auf das öffentlich geförderte "Haus der Heimat" in Wien.

"Man könnte natürlich sagen, das ‚Haus der Heimat‘ könnte genau so virtuell existieren - insofern diese Heimat der Vergangenheit angehört und nur in den rekonstruktiven Bemühungen der verschiedenen Heimatvertriebenenverbände zu einer Ganzheit zusammenwächst und dann als Heimat generell bezeichnet wird.

Auch das Exil ist natürlich eine ungeheure vielfältige Sache. Ich habe einmal gesagt, das Exil ist ein Turm von verschiedenen Lebensläufen und -entwürfen, wie eine hochspringende Wasserfontäne geradezu. Das hat auch etwas Großartiges, es hat etwas Schreckliches etwas Schlimmes und auch etwas Großartiges. Weil flüchten, das Vermögen zu flüchten - diese Widerstandshandlung ist nicht zu unterschätzen."

Derzeit suchen Kaiser und Hausjell weitere Mitstreiter, um ihre Idee auf ein breiteres Fundament zu stellen. Dann erst wolle man sich um einen möglichen Ort für ein künftiges Museum des Exils kümmern. Ob es tatsächlich einmal dazu kommen wird? Wenn er keine Chance sähe, sagt Fritz Hausjell, hätte er die Debatte gar nicht erst angezettelt.
Mehr zum Thema